Nachricht

< Keine Entflechtung von Wasserstoff- und Gasnetzen
21.12.2022 14:09 Alter: 1 year

Zur Debatte um den richtigen Weg zum Klimaschutz

Klimaschutz und Energiepolitik sollten ideologiefrei betrachtet werden und in der Klimafrage geht es auch um Arm gegen Reich auf globaler Ebene. Wir müssen internationale Lösungswege für das Klimaproblem finden unterstreicht Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Mitglied des Club of Rome und des UN-Council of Engineers on the Energy Transition (CEET) im Gespräch mit THEMEN!magazin.


Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Club of Rome Foto: Volkmar Könneke

„Alle Beteiligten sehen, dass sie das Problem allein nicht lösen können, behaupten aber dennoch, sie seien auf dem Weg, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten. Wir beobachten ein „Panikkonzert“, bei dem mit inadäquaten Methoden versucht wird, ein 50 Jahre altes Problem zu lösen. Dies getreu dem Motto: Als sie ihre Ziele aus den Augen verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengungen“. Prof. Dr. Radermacher

Herr Prof. Radermacher, scharf gefragt, kann Deutschland allein das internationale Klima retten?

Deutschland kann und wird die Welt alleine nicht retten können. Wir müssten unter 200 Staaten eine einvernehmliche Lösung finden, aber davon sind wir weit entfernt. Die Diskrepanz zwischen arm und reich ist größer denn je. Wir haben uns über Jahre nie über eine faire Lastenverteilung einigen können. Bis zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen (2009) war immer eine globale Lösung das Ziel. Danach war Schluss.

Bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 wurde jede Einheitlichkeit und jede Verbindlichkeit aufgegeben. Es wurden nur noch „Nationally Determinded Contributions“, kurz NCDs verlangt. Also freiwillige Ziele, die jedes Land für sich erklären sollte. Damit haben wir uns in Unverbindlichkeiten verloren. Jeder steckt sich seine Ziele selbst, sie sind völlig unverbindlich, werden von niemanden kontrolliert oder gar eine NichtEinhaltung sanktioniert. Das bringt uns global kaum einen Schritt voran. Alle Beteiligten sehen, dass sie das Problem allein nicht lösen können, behaupten aber dennoch, sie seien auf dem Weg, das 1,5 GradZiel einzuhalten. Das gilt auch für die 27. Weltklimakonferenz 2022 (COP27), die gerade in Sharm El-Sheik (Ägypten) zu Ende gegangen ist.

Oft hat man den Eindruck, die deutsche Energiepolitik ist zu ideologiebelastet ...

Unser Wohlstand der letzten 70 Jahre wurde auf fossilen Energieimporten aufgebaut. 80 Prozent der weltweit eingesetzten Energie ist fossil. Fossil ist mit CO2 verbunden, dies kann man mit noch so viel Ideologie nicht wegstreichen. Sicher erleben wir in den letzten Jahren in Form der Erderwärmung, dass dies dem Klima nicht gut tut. Wenn uns der Ausstieg aber zu teuer kommt- und die Erneuerbaren sind im Sinne von Total Cost of Ownership teuer-, bedeutet das Wohlstandsverlust- den keiner will. Ergo müssen wir auch an anderen Fronten arbeiten. Und wir sollten nicht vergessen, die Welt braucht Energie, sonst gibt es massive soziale Probleme.

Wenn man eine Klimakatastrophe vor Augen hat, die uns brutal treffen wird, ist es nicht der richtige Weg, den Kohleausstieg zu forcieren. Es darf nicht völlig auf fossile Energie verzichtet werden. Diese Sicht ist auch in der Position des letzten G20-Gipfels in Rom enthalten. Zudem kann die Welt nicht von jetzt auf gleich aus den Fossilien aussteigen. So kann und wird Indien beispielsweise nicht einmal mittelfristig aus Kohle, Öl und Gas aussteigen- ebenso wenig wie China. Wir haben auf der Erde noch Kohle für 2000 Jahre. Auch das Gas reicht noch für 300 Jahre. Allein in Asien und nun auch in Afrika entstehen immer mehr Kohlekraftwerke.

Jetzt kommt die deutsche Politik. Wir wollen raus aus der Kohle und zahlen dafür auch noch 40 Mrd. Euro, um bis zum Jahr 2037 aus 40 Gigawatt Kohlekapazität auszusteigen. Die Chinesen haben allein in 2019 und 2020 je 40 GW neue Kohlekapazitäten ans Netz gebracht: Da wäre doch die Frage zu stellen, was wir mit unserem Geldeinsatz bewirken.

Kohleverstromung wird in Deutschland seit Jahren ideologisch bekämpft, wäre die Carbon-CaptureTechnologie nicht eine Lösung?

Die Kohle hat ein CO2 -Problem. Wenn es gelingt, dieses CO2 zuverlässig abzufangen und in früheren Öloder Gasförderstätten einzulagern, hätten wir viele Probleme weniger. Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, ist die CO2 -Abscheidung und -Speicherung der CO2 -Emissionen ein vielversprechender Weg. Denn die Carbon-Capture-Technologie kann bis zu 95 % der CO2 - Emissionen, die bei Nutzung fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung und durch industrielle Prozesse entstehen, auffangen und dauerhaft unterirdisch speichern.

Das Verbot der CCS-Technologie will ich nicht weiter kommentieren. Immerhin hatte der Vattenfall-Konzern bereits 40 Mio. Euro in ein Versuchsprojekt in Brandenburg investiert. Mein Vorschlag bleibt: CO2 direkt am Kohlekraftwerk abzufangen. Aber die deutsche „Szene“ lehnt das ab. Kritiker befürchten einen Lock-in-Effekt zugunsten der Kohle, die damit sauber erscheinen könnte. Wir setzen aber KFW-Mittel ein, um CO2 mittels Direct-Air-Capture-Technologie direkt aus der Atmosphäre zu holen- auch wenn das zehnfach so teuer ist.

Und auch wenn in Deutschland vor Jahren durch den Gesetzgeber CCS-Projekte abgebrochen wurden, Carbon-Capture findet in den USA und Norwegen bereits in größerem Ausmaß statt. Das CO2 wird in ausgebeutete Öl- und Gasfelder geleitet und dort gespeichert. Die Verwahrung ist sicher.


Wir sollten nicht vergessen, die Welt braucht Energie, sonst gibt es massive soziale Probleme.

Politik wird nicht müde, mehr erneuerbare Energien als Lösung zu propagieren. Ist das der Königsweg?

Zumindest nicht in der aktuell einseitig verfolgten Form. Windenergie und Photovoltaik leisten zwar Beiträge, allein lösen sie unser Problem nicht. Zudem sind unsere Flächen begrenzt und die Sonne scheint nicht 365 Tage im Jahr. Erneuerbare Energien sind zudem sehr teuer, wenn Stabilität der Versorgung das Ziel ist - aber das will niemand zugeben. Alle tun so, [Club of Rome] als wäre dies die allein preiswerteste Art der Energiegewinnung.

In den Sonnengürteln der Erde dagegen können wir erneuerbaren Strom für 1,5 Cent pro kWh in fast beliebigem Umfang produzieren. Aber wir haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als Protektionismus-Gesetz so organisiert, dass grüner Strom von außen bei uns praktisch nicht verkauft werden kann. Grüner Strom von außen ist bei uns nicht gewünscht und wird auch nicht gefördert. Nicht einmal aus der EU kann grüner Strom zu uns geliefert werden. Das widerspricht völlig der Grundidee des gemeinsamen Marktes, wurde und wird aber wegen der Besonderheiten der Klimafrage bisher vom Europäischen Gerichtshof geduldet.

In Deutschland erzeugter Ökostrom wird massiv gegen jede Konkurrenz privilegiert. Deshalb ist für die aktuelle Diskussion zu Stromlieferungen aus sonnenreichen Regionen zu bedenken, dass bei uns kein grüner Strom aus Afrika zu verkaufen ist, weil bei uns immer der eigene grüne Strom bevorzugt ins Netz eingespeist wurde und wird.

Wie sehen Sie die Diskussion um eine Renaissance der Kernkraft?

Grundsätzlich ist die Kernenergie eine stabile Energiequelle und klimaneutral und daher in Klimafragen ein wichtiger Ansatz. Deshalb war ich seinerzeit mit dem Nachhaltigkeitsbeirat von Baden-Württemberg auch gegen den Ausstiegsbeschluss in Deutschland. Ich fände es gut, wenn man die Laufzeit unserer Kernkraftwerke verlängern würde. Mit der aktuellen Diskussion um Versorgungssicherheit und Energiepreise bekommt die Diskussion ja wieder Fahrt.

Es gibt inzwischen die Techniken mit sehr kleinen Anlagen, deren Risiko deutlich verringert wurde. Die Franzosen und Spanier planen solche Anlagen. Wir sollten auf diese Erfahrungen aufbauen und ideologiefrei prüfen, welchen Weg wir künftig gehen wollen. Auch wenn der Beschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft unumstößlich scheint. Wissen wir, ob der bisherige Weg unserer Energiewende der Königsweg ist?

Ein aktuelles Thema ist die Mobilität. Kann die All-Elektrik-Strategie das Problem der CO2-Reduzierung lösen?

Der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor scheint bei allen Fahrzeugherstellern beschlossene Sache zu sein. Offensichtlich, weil es die Politik so möchte. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob es die richtige Strategie ist, allein auf die batteriegestützte E-Mobilität zu setzen. Das Elektroauto ist nicht die Lösung für die Welt. Wir arbeiten in Europa nur an punktuellen Lösungen. Die Batterie-Elektrik verlangt eine völlig neue Infrastruktur. Sie verlangt stabile Netze mit dauernd verfügbarem grünen Strom. Davon sind wir weit entfernt bei uns, weltweit noch viel mehr. Wir stecken sehr viel Geld in eine neue Infrastruktur und fördern das einzelne E-Auto mit bis zu 20.000 Euro. Alleine von der Förderung eines einzelnen E-Autos können in Afrika vier Familien ein ganzes Jahr leben. Ist das noch moralisch? Auf dem Globus gibt es aber rund 1,3 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennermotor. Für diese brauchen wir eine Lösung.

Wir brauchen Technologieoffenheit. Einen Lösungsansatz bieten synthetische Kraftstoffe. Wir brauchen eine Lösung, bei der Benzin und Diesel klimaneutral sind, hergestellt aus grünem oder CO2 -armen Strom. Das gleiche gilt auch für Heizgas und Heizöl. Aber in der deutschen grünen Logik werden diese Lösungen abgelehnt. Somit liefern wir auch keine Lösungen für die Welt. Vielmehr versuchen wir, der Welt die BatterieElektrik aufzuzwingen, die in ärmeren Ländern überhaupt nicht bezahlbar ist.

Ihre Sicht zu den angesprochenen Themen?

Die Armen werden alles tun, um Wohlstand zu erlangen und dafür ihre Fossilien nutzen. Nach Pariser Vertrag ist ihnen dies auch erlaubt. Deswegen ist Verzicht in Europa als dominantes Programm der falsche Fokus: zu wenig Klimawirkung für das viele eingesetzte Geld. Jeder will, dass das eigene Geld in Deutschland bzw. in Europa bleibt. So kommen wir aber nicht weiter. Seit nunmehr gut 50 Jahren ist der Konflikt zwischen Arm und Reich in weltweiter Perspektive nicht gelöst. Wir müssen uns endlich mit viel Geld für die Lösung der Klima- und Wohlstandsfragen in den ärmeren Ländern engagieren. Aber das wollen wir nicht. Und je größer die Bedrohung wird, umso mehr gehen wir in der Meinungsbildung in Richtung Moralismus. Wir wollen die Guten sein, obwohl das Klimaproblem nicht gelöst wird.

Lösung erfordert einen internationalen Klimafinanzausgleich mit hohem Volumen. Aber gibt es dafür Mehrheiten in den „reichen“ Ländern? Deswegen ist die psychologische Brücke, dass wir lieber selber ärmer werden und die anderen arm bleiben müssen. Und im Blick auf Lebensstil kann man sich einreden, dass diese Entwicklung besser ist. Im Sinne eines neuen Wohlstands, weil wir dann mehr Freizeit haben, weniger „Konsumstress“ ausgesetzt sind und bei frischer Luft auf dem Fahrrad fahren.

Downtown Lagos Markt (Balogun), Nigeria; Foto: iStock/peeterv

„Nehmen wir nur Afrika. Dort wird sich die Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Der Energiehunger wird auch durch den erforderlichen Bauboom massiv wachsen. Hinzu kommt der riesige Hunger nach Rohstoffen. In Afrika wird in den nächsten zehn Jahren mehr gebaut als in Europa im gesamten letzten Jahrhundert. Grund: auf dem schwarzen Kontinent kommt alle zehn Jahre die Bevölkerungsgröße von ganz Europa hinzu. Dort müssen bis zum Jahr 2050 1,2 Mrd. zusätzliche Menschen versorgt werden.“ Prof. Dr. Radermacher