Nachricht

< Klimapolitik muss einfach besser werden
23.08.2023 11:33 Alter: 339 days

Zielbild: Entfesselung von Investitionen in gesicherte Leistung

„Die Zielsetzung für den Umbau des Energiesystems muss sich weiterhin aus dem energiewirtschaftlichen Zieldreieck mit den Eckpunkten „Versorgungssicherheit“, „Nachhaltigkeit“ und „Wirtschaftlichkeit“ ergeben.“


Foto: Amprion GmbH/ Hartmut Nägele

Die Ereignisse des letzten Jahres haben viele Gewissheiten auf den Kopf gestellt und die Energiebranche nachhaltig verunsichert. Der Rahmen, in dem wir agieren, hat sich geändert. Was sich aber nicht geändert hat, was sich nicht ändern darf, sind unsere Ziele. Diese Botschaft benennt Dr. Hans-Jürgen Brick, Vorsitzender der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers Amprion in einem Gastbeitrag für THEMEN!magazin.

Seit Beginn des vergangenen Jahres operiert die Energiebranche im Krisenmodus: Ukrainekrieg und Energiepreiskrise führen weiterhin zu massiven Verwerfungen – wir wissen nicht, wie sich die Energiepreise in den kommenden Monaten entwickeln werden. Wir wissen aber sehr wohl, dass unsere Energie- und Klimaziele wichtig sind und deren Einhaltung notwendig ist. Neben Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit bleiben Sicherheit und Stabilität zentrale Ankerpunkte einer erfolgreichen Energiepolitik. Und das Thema „Resilienz“ hat an Aktualität noch zugenommen. Die gegenwärtigen Diskussionen um LNG-Terminals und die weiterhin sehr hohen Energiepreise führen uns deren Bedeutsamkeit schmerzlich vor Augen, zeigen uns aber auch: Selbst in einer solchen Situation wie wir sie derzeit erleben, bleibt unser Energiesystem verlässlich. Die Lichter brennen, industrielle Prozesse laufen stabil und die Gasspeicher sind gut gefüllt. 

Ziele im Blick behalten - Geänderte Rahmenbedingungen beachten

Die politischen Ziele sind eindeutig: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Den Anfang wird der Stromsektor machen – er muss bereits 2035 klimaneutral sein, um die nachgelagerten Sektoren Industrie, Verkehr und Wärmeerzeugung mittels Elektrifizierung zu dekarbonisieren. Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, einen stabilen Rahmen für Investitionen zu schaffen, die wir für die angestrebte Transformation des Energiesystems brauchen. Aus meiner Sicht haben sich drei Rahmenbedingungen im vergangenen Jahr maßgeblich verändert: Zum Ersten funktioniert Erdgas als Brückentechnologie bestenfalls noch eingeschränkt. Zum Zweiten ist Energie deutlich teurer geworden. Dass sie wieder dauerhaft günstig wird, ist zumindest in den kommenden Jahren unwahrscheinlich. Drittens hat sich die gesellschaftliche Bereitschaft, die Energiewende nun mit vollem Einsatz anzugehen, erhöht. Es ist entscheidend, gemeinsam einen klaren Arbeitsplan zu entwickeln, der den geänderten Gesetzmäßigkeiten Rechnung trägt. Wir müssen dafür nüchtern, vorurteilsfrei und ohne ideologischen Dogmatismus vorgehen und stattdessen ehrlich miteinander in den Diskurs gehen. Diese Polarisierung der politischen Debatten und die entsprechend geringe Kompromissbereitschaft sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft helfen uns nicht weiter. Ich denke da vor allem an die zahlreichen Lösungsansätze für das Problem der dringend benötigten gesicherten Kraftwerksleistung, die nüchtern gegeneinander abgewogen werden sollten. Denn zahlreiche Ansätze kamen in den vergangenen Jahren sprichwörtlich unter die Räder. Im Ergebnis steigen wir nach der Kernkraft in den nächsten Jahren auch aus der Kohle aus, bei den verbleibenden Erdgaskraftwerken sind wir immer stärker vom Import des teuren LNG abhängig. Als zukünftige CO2 -freie Alternative gibt es im Grunde keine mehrheitsfähige Lösung mit Ausnahme der Errichtung von neuen Kraftwerken, die mit grünem Wasserstoff funktionieren. Nur: Diese Anlagen und die dazugehörige Infrastruktur sind noch gar nicht verfügbar. Jetzt drängt die Zeit, eine tragfähige Lösung zu entwickeln, die uns bereits in diesem Jahrzehnt hilft und den Kohleausstieg bis 2030 ermöglicht. Wir als Übertragungsnetzbetreiber arbeiten mit Hochdruck daran, wichtige Leitungen früher als ursprünglich geplant fertigstellen zu können, um den grünen Strom zu den Verbrauchszentren transportieren zu können. Mit unseren Stabilitätsanalysen leisten wir darüber hinaus einen unverzichtbaren Beitrag zur Bedarfsermittlung zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Wir beobachten die Entwicklungen ständig und sind auch mit der Politik in engem Austausch darüber, wie wir den Wegfall der steuerbaren Erzeugung aus Kohle und Kernkraft auffangen können. 

Ohne gesicherte Leistung geht es nicht

Die Relevanz des Themas zeigt ein beispielhafter Blick auf den Dezember vergangenen Jahres. Die Abbildung Seite 5 verdeutlicht das Ausmaß der Herausforderung: Nach dem Kohle- und Kernenergieausstieg müsste der gesamte Bereich der „Steuerbaren Erzeugung“ vorübergehend durch Erdgas bereitgestellt werden, im gezeigten Zeitraum über 70 % der gesamten Stromerzeugung. Wenn wir bis 2030 die Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen, die Windstromerzeugung in etwa verdoppeln und die PV-Stromerzeugung vervierfachen, bleibt dennoch eine eklatante Lücke, die durch gesicherte Leistung bereitgestellt werden muss. Laut dem Versorgungssicherheitsbericht der Bundesnetzagentur brauchen wir bis 2030 mindestens 20 Gigawatt gesicherte Leistung. Das entspricht 40 neuen Großkraftwerken mit einer Leistung von jeweils 500 Megawatt. Diese werden zunächst mit Gas und perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden müssen. 

Ein nachhaltiges Energiesystem braucht einen stabilen Rahmen

Im letzten Winter war für die Sicherstellung der Energieversorgung viel „Brandbekämpfung“ notwendig. Die verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke wurden übergangsweise in den begrenzten Streckbetrieb überführt, eigentlich bereits aus dem Markt ausgeschiedene Kohlekraftwerke durften zum Teil in den Markt zurückkehren. Wir haben sehr schnell mit dem Import von LNG begonnen, verbrauchsseitig haben viele Branchen ihren Teil durch Verbrauchsreduktionen beigetragen. Mit dem Blick nach vorne ist aber ein stabiler Rahmen unerlässlich. Hier müssen wir nun offen die denkbaren Lösungsansätze gegeneinander abwägen. Nach wie vor gilt: Die Energiewende muss vom Ende her gedacht werden. Konkret heißt das: Welche Maßnahmen müssen wir heute auf den Weg bringen, um Klimaneutralität im Jahr 2045 zu erreichen? Damit hängt insbesondere die Fragestellung zusammen, wie unser Energiesystem funktioniert, wenn wir kein CO2 mehr ausstoßen, weil Wind und Sonne beinahe die vollständige Stromversorgung übernehmen, Autos elektrisch fahren und Häuser mit Wärmepumpen beheizt werden. Wir werden uns also zukünftig sehr stark vom Wetter abhängig machen, doch dafür brauchen wir neben notwendiger Expertise auch die passende Infrastruktur. Nach dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, muss unser Energiesystem dem Motto folgen „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur zu wenig Flexibilität und Netze“. 

Gesicherte Leistung hat einen Preis

Mit den weiterhin ausbleibenden Investitionen in gesicherte Kraftwerksleistung bei zugleich immer ambitionierteren Dekarbonisierungszielen ist es im letzten Jahr weitgehender Konsens geworden, dass wir den „Energy Only“-Markt um einen weiteren Zahlungsstrom ergänzen müssen. Derzeit werden zwar produzierte und gelieferte Kilowattstunden entlohnt, nicht aber Kilowatt an Erzeugungsanlagen, die dann einspringen, wenn sie benötigt werden. Es ist im Grunde einfach: Wenn ein immer größerer Anteil der Elektrizität durch volatile Erzeuger wie Wind und Sonne bereitgestellt wird, sinkt der Marktanteil für steuerbare Kraftwerke. Die zu erwartenden Einsatzstunden gehen immer weiter zurück – so weit, dass sich eine Kraftwerksinvestition kaum mehr wirtschaftlich darstellen lässt, weil anstelle einer gleichmäßigen Auslastung mit moderaten Preisen eine hochgradig volatile Auslastung mit extremen Preisausschlägen tritt. Im Ergebnis schnellen die von den finanzierenden Banken geforderten Risikoprämien in die Höhe und die Investitionen bleiben mangels Wirtschaftlichkeit aus. Damit aber rechtzeitig die unbedingt erforderlichen Investitionen in Kraftwerke zur Bereitstellung gesicherter Leistung stattfinden können, muss der Investitionsrahmen noch in diesem Jahr definiert werden, damit in 2024 die Gesetzgebungsprozesse abgeschlossen werden können. Die definierten Investitionsbedingungen müssen so klar und verlässlich sein, dass erste Investitionsentscheidungen spätestens in 2025 erfolgen. Das Systemmarktkonzept von Amprion Amprion schlägt hierfür einen Mechanismus vor, nach dem Investoren örtlich differenzierte Zahlungen für die Bereitstellung gesicherter Leistung erhalten. Der Mechanismus entspricht einem zentral organisierten Kapazitätsmarkt mit lokal differenzierter Erlöskomponente. Es wird demnach nicht nur ein Anreiz gesetzt, überhaupt in gesicherte Leistung zu investieren, sondern es erfolgt auch eine geografische Steuerung, damit Investitionen an möglichst systemdienlichen Orten statt finden. Das würde einmal den Bedarf für zusätzlichen Netzausbau reduzieren und gleichzeitig das Stromnetz stabilisieren. Wie genau geografisch gesteuert werden muss, hängt von zahlreichen Faktoren ab, etwa der Technologie und der damit verbundenen regionalen Brennstoffverfügbarkeit, der Netzinfrastruktur, aber auch von der Ansiedlung neuer Lasten wie Wasserstoffelektrolyseuren und der Umsiedlung bestehender Lasten. Somit wird einmal mehr deutlich, dass wir das Gesamtsystem im Blick behalten müssen. 

Strombereitstellung im Dezember 2022. Datenquelle: Eigene Darstellung www.smard.de

Das Systemmarktkonzept von Amprion

Amprion schlägt hierfür einen Mechanismus vor, nach dem Investoren örtlich differenzierte Zahlungen für die Bereitstellung gesicherter Leistung erhalten. Der Mechanismus entspricht einem zentral organisierten Kapazitätsmarkt mit lokal differenzierter Erlöskomponente. Es wird demnach nicht nur ein Anreiz gesetzt, überhaupt in gesicherte Leistung zu investieren, sondern es erfolgt auch eine geografische Steuerung, damit Investitionen an möglichst systemdienliches Orten stattfinden. Das würde einmal den Bedarf für zusätzlichen Netzausbau reduzieren und gleichzeitig das Stromnetz stabilisieren. Wie genau geografisch gesteuert werden muss, hängt von zahlreichen Faktoren ab, etwa der Technologie und der damit verbundenen regionalen Brennstoffverfügbarkeit, der Netzinfrastruktur, aber auch von der Ansiedlung neuer Lasten wie Wasserstoffelektrolyseuren und der Umsiedlung bestehender Lasten. Somit wird einmal mehr deutlich, dass wir das Gesamtsystem im Blick behalten müssen. 

Systemdienstleistungen sicherstellen

Neben der gesicherten Leistung sind auch die Systemdienstleistungen unverzichtbar für die Stabilität des Stromnetzes. Systemdienstleistungen wie Blindleistung und Momentanreserve werden derzeit vorwiegend von konventionellen Kraftwerken erbracht und müssen zukünftig an den richtigen Stellen im Stromnetz verortet werden. Auch hier macht unser Systemmarktkonzept einen Vorschlag.  

www.amprion.net