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Wir haben Herkulesaufgaben zu meistern
„Es geht um mehr als Energie - es geht um unsere Verantwortung für Heute und Morgen.”
Mehr als Energie - unter diesem Leitthema stand der BDEW- Kongress 2025. Im Juni kamen mehr als 1.700 Fach- und Führungskräfte aus Energiebranche, Politik und Wissenschaft in die STATION Berlin zur Diskussion über die aktuellen Themen der Energiewirtschaft. Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums des BDEW, im Gespräch mit THEMEN!magazin zu einer ersten Einschätzung dieses Branchentreffs und hier diskutierten Themen.
Frau Andreae, wie lautet Ihr Fazit nach dem BDEW-Kongress 2025?
Unser Kongress war ein voller Erfolg. Wir haben mit unseren Mitgliedsunternehmen und der Politik die entscheidenden Themen diskutiert und konnten den neuen Bundesministern Katherina Reiche und Carsten Schneider zentrale Anliegen mit auf den Weg geben. Die Energiebranche steht trotz großer Herausforderungen wie ein Fels in der Brandung – und macht ihren Job. Unsere Bilanz als Fundament für Wirtschaft und Gesellschaft kann sich sehen lassen: Die Versorgungsicherheit war stets gewährleistet, wir haben mehr als 50 Prozent Erneuerbare in der Bruttostromversorgung, 1,7 Millionen Netzanschlüsse allein im Jahr 2024, der Grundstein beim Wasserstoffkernnetz ist gelegt, die Unternehmen bringen die kommunale Wärmeplanung voran und wir haben 2024 rund 60 Milliarden Euro investiert. Und eine Erfolgsstory möchte ich hervorheben: Die E-Mobilität. Es gab Ende letzten Jahres gut 160.000 Ladepunkte in Deutschland, allein 8.000 Schnelllader sind 2024 hinzugekommen. 97 Prozent der E-Mobilisten würden wieder ein E-Auto kaufen. Es gibt viele gute Geschichten zu erzählen und das ist der Energiebranche zu verdanken.
Wir haben eine neue Bundesregierung, ein Lichtblick für die Energiewirtschaft?
Die Energiewirtschaft ist Fundament für wirtschaftliche Stärke und Wachstum. Vor diesem Hintergrund startet die schwarz-rote Koalition in ihre Amtszeit und die neue Legislaturperiode mit großen Erwartungen. Die Herausforderungen sind groß: wachsende geopolitische Unsicherheiten, die Umstellung auf ein auf Erneuerbaren Energien basierendes Stromsystem und zugleich der Anspruch, die Energieversorgung sicher, bezahlbar und klimaneutral zu gestalten. Mit ihrem Regierungsprogramm hat die neue Bundesregierung eine pragmatische, lösungsorientierte Richtung eingeschlagen. Energiepolitik braucht ambitionierte Machbarkeit – also klare Ziele, realistische Umsetzungspfade und eine Politik, die Hürden erkennt und beseitigt.
Es ist gut, dass die Koalition keine Kehrtwende bei der Energiewende plant, sondern energiepolitische Kontinuität und einen innovationsgetriebenen Kurs Deutschlands voranbringt. Entscheidend für unsere Industrie und den Erfolg der Energiewende ist das Thema Wasserstoff. Dazu brauchen wir dringend Nachbesserungen im Bundeshaushalt, die dieses wichtige Zukunftsthema auch angemessen unterlegen.
Welche Diskussionsschwerpunkte sehen Sie aktuell?
Es ist sicher notwendig, den Industriestandort Europa und Deutschland in seiner Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dazu hat die EU-Kommission den Weg für einen Industriestrompreis in Deutschland freigemacht, den wir jedoch kritisch betrachten. Der angedachte Pfad würde erhebliche Markteingriffe bedeuten, die negative Effekte nach sich ziehen. Uns ist daher wichtig, dass bei der nationalen Umsetzung neben der Industrie auch die Energiewirtschaft eingebunden wird.
Wir setzen uns weiter dafür ein, dass die Wirtschaft in der Breite und auch Verbraucher durch die Senkung der Stromsteuer beim Strompreis entlastet werden. Dadurch würden Investitionen in Wärme und E-Mobilität attraktiver. Zudem brauchen wir mit der Energiewende ein Kraftwerkssicherheitsgesetz und einen integrierten Kapazitätsmarkt, um Schwankungen in der Energieerzeugung auszugleichen.
Darüber hinaus ist der schnelle und pragmatische Hochlauf von Wasserstoff – technologieneutral und europäisch koordiniert – ein zentrales Schlüsselelement der klimaneutralen Energiezukunft. Der Wärmesektor muss konsequent mitgedacht werden, insbesondere mit Blick auf das ab 2027 greifende EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS 2).
Nicht zuletzt ist der Bürokratieabbau ein drängendes Thema: Auf Bundesebene sind derzeit rund 96.500 Normen in Form von einzelnen Paragrafen und Artikeln in Kraft. Davon muss die Energiewirtschaft 15.500 Einzelnormen beachten. Das führt klar vor Augen: Die Branche braucht dringend ein eigenes Bürokratieentlastungsgesetz, um ihre Umsetzungskraft zu stärken!
"Energiepolitik braucht ambitionierte Machbarkeit!" - Kerstin Andreae
- Podiumsdiskussion „Starke Infrastrukturen für Deutschland” im Plenum des BDEWKongress 2025 - Mehr als Energie: Foto: Pedro Becerra @ stageview.de
Kommen wir beim Thema Anreizregulierung voran?
Die Netze sind der Schlüssel für den Erfolg der Energiewende. Digitalisierung, Modernisierung und eine attraktive Kapitalverzinsung müssen zusammengedacht werden. Derzeit arbeitet die Bundesnetzagentur an einer Neuregelung der Anreizregulierung im Netzbereich, dem sogenannten NEST-Prozess. Die bisher veröffentlichten Eckpunkte sind eher enttäuschend. Hier gilt es die Branche einzubinden, um die richtigen Weichen zu stellen. Ziel muss eine faire, international wettbewerbsfähige Anreizregulierung sein, die robust ist und den Fokus auf die Leistungs- und Investitionsfähigkeit der Netzbetreiber legt.
Wie sehen Sie auf das Thema Versorgungssicherheit und Gaskraftwerke?
Klar ist: Insbesondere mit Blick auf zukünftig planmäßig aus dem Markt gehende Kohlekraftwerke brauchen wir eine Grundlage, auf der die Aufsichtsräte der Unternehmen entsprechende Entscheidungen für die erforderlichen Investitionen in H2-ready- und Gas-Kraftwerke treffen können. Wir unterstützen die neue Bundesministerin darin, jetzt sehr zügig den Weg für den Zubau steuerbarer Kraftwerke freizumachen. Als gesetzliche Grundlage empfehlen wir, den Referentenentwurf zum Kraftwerksicherheitsgesetz der Ampel-Regierung praxisnah anzupassen, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden und eine tragfähige Investitionsgrundlage herzustellen.
- Engagierte Frauen aus der Energiewirtschaft: Get-together am Auftakt-Abend des BDEW Kongress 2025, Foto: BDEW/ Schweizer/ Becerra
- Die BDEW-Nachwuchsinitiative: Studierende und junge Nachwuchskräfte erhielten auf dem BDEW Kongress 2025 die Gelegenheit, sich zu vernetzen, fachlich einzubringen und Perspektiven für ihre Zukunft in der Energiewirtschaft zu entwickeln. Foto: BDEW/ Schweizer/ Becerra
- Im Dialog mit dem BDEW-Präsidenten: Katherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie sowie Stefan Dohler, BDEW-Präsident und Vorstandsvorsitzender EWE, Foto: Christian Schlenker
Diskutiert wird oft über die EU und zu viel Regulierung ...
Es ist sinnvoll, dass die EU-Kommission Klimaschutz und Industriepolitik stärker zusammendenkt. Wichtig ist, dass Brüssel groß im Großen und klein im Kleinen bleibt. Die Kommission ist gefragt, die großen Leitplanken zu setzen und darf sich nicht in Regulierung bis in Details verlieren. Wir werten es positiv, dass die EU den von uns oft geforderten Bürokratieabbau stärker ins Visier nimmt.
Gesamteuropäisch steht angesichts der Weltlage sicher das Thema Resilienz oben auf der Agenda. Strategisch entscheidend ist der weitere Zubau von Produktionskapazitäten für Erneuerbare-Energie-Anlagen in Deutschland und Europa sowie der Schutz von kritischen Infrastrukturen gegen digitale und physische Bedrohungen. In Europa gibt es viel zu tun: Die Modernisierung und der Ausbau der Energieinfrastruktur sind wichtige Grundlagen für eine resiliente Energieversorgung. Daher unterstützt die deutsche Energiewirtschaft die klare Zielsetzung der EU, insbesondere den grenzüberschreitenden Netzausbau mit dem „EU Grids Package” zu beschleunigen. Gut ist auch, dass unter der neuen Bundesregierung Deutschland eine führende Rolle in einer europäischen Wasserstoff-Allianz einnehmen soll. Die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag gilt es nun mit Leben zu füllen. Ziel muss es sein, im europäischen Schulterschluss langfristige Planungssicherheit und praxisnahe Vorgaben zu erreichen, um einen zügigen und pragmatischen Wasserstoffhochlauf zu ermöglichen und die notwendigen Investitionen auszulösen.
Abschließend, Ihre Botschaft?
Die Leitlinie unserer Branche ist und bleibt das energiewirtschaftliche Dreieck: Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Klimaschutz. Und über allem steht die Akzeptanz der Menschen. Deshalb ist es wichtig, immer wieder zu überprüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Viele Institute, die Politik und Unternehmen der Branche haben sich jüngst mit der Frage beschäftigt: Wie können wir die Kosten der Energiewende senken? Der BDEW hat die Kosten- und Systemeffizienz in den Vordergrund seiner Arbeit gestellt - und wir werden nicht nachlassen. Wir wissen, laufen die Kosten aus dem Ruder, ist es schlecht um die Akzeptanz bestellt. Denn es geht um mehr als Energie – es geht um unsere Verantwortung für Heute und Morgen.