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17.10.2019 11:42 Alter: 5 yrs
Kategorie: Klimaschutz

Wie viel Gas geben wir?

Der Ausstieg aus der Kernenergie ist beschlossen, der Abschied von der Kohle eingeleitet. Die Energieversorgung der Zukunft soll klimafreundlich, sicher und bezahlbar sein. Doch welche Rolle spielen gasförmige Energieträger bei der Energiewende?


Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender der VNG AG Foto: Joerg Glaescher

Antworten darauf versuchte die Handelsblatt-Jahrestagung Gas 2019 in Berlin zu geben. Stellvertretend für die inhaltliche Diskussion stehen die Kerngedanken der Tagungs-Keynote von Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender der VNG AG Leipzig, die wir mit seiner Abstimmung für diesen Beitrag aufgenommen haben.

Mit der Bedeutung von Erdgas, Biogas, Wasserstoff und Co. im Energiemix der Zukunft befasst sich der Dialogprozess „Gas 2030“ des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi). Ergebnis des Dialogprozesses: Erdgas wird in den kommenden Jahren weiter einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung in Deutschland leisten. Gas deckt heute knapp ein Viertel unseres Primärenergieverbrauchs. Mit einem Jahresverbrauch von rund 95 Milliarden Kubikmetern ist Deutschland einer der größten Absatzmärkte für Erdgas in der Europäischen Union.

War im Programm der Gastagung 2018 noch die Frage formuliert: „Wo geht die Reise für die Gaswirtschaft hin?“, steht im aktuellen Programm 2019: „Gas als Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft! Ohne Gas wird die Energiewende nicht gelingen!“ Im letzten Jahr war es noch eine Frage, heute ist die Rolle von Gas als klare Aussage formuliert.

Die Gastagung 2019 ist auch eine Widerspiegelung von 365 Tagen gesellschaftspolitischer Diskussion, beginnend mit den Themen Kohleausstieg und Strukturwandel. Das BMWi veröffentlichte das 7. Energieforschungsprogramm und es folgten Ausschreibungen für Reallabore. Allein in diesem Zeitraum wurden 561.000 neue Gasheizungen installiert. Das macht pro Minute einen Kessel und weniger CO2 im Wärmemarkt. Entscheidend aber ist, wir sind als Gasbranche mit dem BMWi in einen Dialog getreten, dessen Ergebnispapier „Gasdialog 2030“ die tatsächlichen Fakten, das Notwendige und das Machbare sehr gut abbildet.

Umsetzung der Gasstrategie braucht Monitoring

Die Umsetzung der Erkenntnisse des Gasdialogs wird sehr komplex und gelingt nicht von heute auf morgen. Wichtig wird sein, die Umsetzung zu monitoren und dies auch zu institutionalisieren. Denn ein Papier allein ist definitiv nicht hinreichend. Erforderlich ist nun eine klare Roadmap, um die zahlreichen Handlungsempfehlungen auch strukturiert abarbeiten zu können, in enger Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft. Denn oft trägt Politik an die Wirtschaft teils nicht realisierbare Erwartungen beim Angang neuer Themen heran, die kaum zu erfüllen sind. Der Wirtschaft ist wiederum oft nicht gänzlich klar, welche Hürden Politik bei der Implementierung neuer (Förder-)Rahmenbedingungen tatsächlich nehmen muss, z. B. beim EU-Beihilferecht.

Diese Missverständnisse gilt es frühzeitig aus dem Weg räumen. Denn es braucht vor allem Unternehmen, die bereit sind zu investieren. Ich plädiere daher dafür, für die „Roadmap zum Gasdialog 2030“ einen Wirtschaftsbeirat einzusetzen, der die Umsetzung als beratendes Gremium begleitet. So könnte die Politik dauerhaft gemeinsam mit der Gaswirtschaft und der Industrie an der Vergrünung von Gas arbeiten.

Klimaschutz und Energiepolitik mit Industriepolitik verbinden

In der Diskussion um den Klimaschutz dürfen wir bei aller klimapolitischen Notwendigkeit nicht zu leichtfertig mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland und unserer Wertschöpfung umgehen. Demonstrationen auf der IAA, Bürgerinitiativen gegen den Stromnetzausbau, ja sogar gegen den Bau von Elektrolyseuren zeigen, dass wir in einem Dilemma stecken. Noch ist Deutschland in Punkto industrieller Wertschöpfung ein Global Player. 23 % steuerte das Verarbeitende Gewerbe 2017 zur Bruttowertschöpfung in Deutschland bei. Zum Vergleich: In Frankreich lag der Anteil bei 12 %, in Großbritannien bei 10 %. Warum diese Zahlen genannt werden sollten?

Weil die Zukunft von Gas – und hier sind wir schnell bei Wasserstofftechnologien – eng mit der Entwicklung des Maschinenbaus, aber auch mit der Chemie- und Stahlindustrie verbunden ist. In Zeiten von sich abzeichnender wirtschaftlicher Abkühlung müssen wir mit aller Kraft versuchen, über technologischen Fortschritt und Innovationen auch konjunkturelle Effekte zu erzielen.

Die Beschlüsse des Klimakabinetts gehen ein Stück in diese Richtung. 54 Mrd. Euro will die Bundesregierung bis 2023 für Klimaschutzmaßnahmen ausgeben. Das wird sicher die Konjunktur stärken. Was aber beim Klimaschutzprogramm 2030 fehlt, ist ein industrieller Weitblick. Denn: In bestimmen Segmenten kann sich Klimaschutz zum echten Exportschlager entwickeln, wie sich am Thema Wasserstoff festmachen lässt!

Wasserstoff-Strategie als Technologieentwicklung und Konjunkturprogramm

Erfreulich ist, dass die Bundesregierung in den kommenden Wochen eine Wasserstoff- Strategie entwickeln wird. Denn Deutschland wird in den kommenden Jahrzenten bei der Endenergie weiter auf Moleküle (also Gas und perspektivisch synthetische Kraftstoffe) setzen müssen – Wasserstoff in all seinen Formen spielt dabei eine zentrale Rolle. Beim Blick auf den derzeitigen Endenergieverbrauch wird deutlich, wie wichtig Moleküle auch in Zukunft sind: Strom macht derzeit knapp 527 TWh Endenergieverbrauch aus, davon sind knapp 200 TWh erneuerbar. Bei den Molekülen sind es über 2.000 TWh Energieverbrauch, davon sind auch nur knapp 200 TWh erneuerbar.

Ein Großteil unserer Endenergie muss also noch grün werden. Das wird nicht alles mit Strom gehen. Gleichzeitig erfordert eine immer größere Erzeugung von Strom mit Wind und Sonne die Speicherung von Strom zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit. Mit Wasserstoff kann dies gelingen. Auf dem Untergrundgasspeicher unserer Tochter VNG Gasspeicher GmbH in Bad Lauchstädt wollen wir eine Kaverne komplett auf grünen Wasserstoff umrüsten und so den realen Nachweis erbringen.

Wasserstoff ist aber nicht nur unter energieund klimapolitischer Perspektive ein wichtiger Treibstoff unseres Energiesystems, sondern auch Treibstoff der industriellen Entwicklung. Eine Studie von Frontier Economics und dem IW Köln sieht allein die Wertschöpfungseffekte eines schnellen Markthochlaufs für grünen Wasserstoff in Höhe von 27 Milliarden Euro. Das entspricht rund 350.000 Arbeitsplätzen. Schauen wir aber hier nicht nur auf Deutschland. Die ganze Welt blickt auf die Entwicklung einer neuen Wasserstoffwirtschaft. Wenn wir die Elektrolyseure nicht in Deutschland bauen, dann machen es eben andere.

Wasserstoff stärkt internationale Energiepartnerschaften

Mit Wasserstoff lässt sich auch das wichtige Thema Energiepartnerschaften verbinden. Deutschland muss in einer zunehmend dekarbonisierten Welt in großem Umfang Energie importieren. Dies wird mit ausschließlich heimischer Stromproduktion nicht gelingen. Hier müssen und werden wir weiter auf Importe von Molekülen setzen. Dafür notwendige Energiepartnerschaften zwischen Unternehmen aber auch Nationalstaaten könnten für beide Seiten vorteilhaft sein. Unsere Technologien könnten anderen Ländern dabei helfen, ihre eigenen Volkswirtschaften zu vergrünen und uns selbst schneller Zugang zu mehr klimaneutraler Energie verschaffen – eine echte Win-Win Situation.

Nichts ist ein besserer Friedensgarant als enge wirtschaftliche Beziehungen.

Wir sollten aber auch den Aspekt der Sicherheitspolitik sehen. Seit Jahrzehnten besteht eine zuverlässige Erdgaslieferpartnerschaft zu Russland. Diese hatte zweifellos immer auch eine sicherheitspolitische Bedeutung. Nichts ist ein besserer Friedensgarant als enge wirtschaftliche Beziehungen. Auch VNG pflegt eine langjährige und vor allem zuverlässige Partnerschaft zu russischen Partnern. Im Rahmen unserer wissenschaftlich- technischen Zusammenarbeit diskutieren wir intensiv über die schrittweise Erweiterung unserer Erdgaspartnerschaft durch eine Wasserstoff-Partnerschaft. Im Fokus steht dabei blauer Wasserstoff und die Pyrolyse. Wir sollten auch nicht unterschätzen, dass Russland erhebliche Potenziale für die Erzeugung günstigen grünen Stroms bietet, insbesondere aus Windenergie.

Wasserstoffstrategie braucht internationale Vernetzung und Fokus auf Akzeptanz

Abschließend soll noch ein weiterer Diskussionspunkt genannt werden: Um die kommende Wasserstoffstrategie aber auch die Gasstrategie des Gasdialogs dauerhaft zu internationalisieren, steht der Vorschlag, dass die Bundesregierung im kommenden Jahr eine internationale Gaskonferenz ausrichtet und alle notwenigen Player zusammenholt, um für die deutsche Wasserstoff- und Gasstrategie zu werben. Außerdem sollte die Bundesregierung einen internationalen Wasserstoff- Beirat gründen, um dauerhaft für sich selbst, aber auch für die deutsche Energiewirtschaft und die deutsche Industrie ein globales Netzwerk zu etablieren.

Neben der Vernetzung auf internationaler Ebene zwischen Wirtschaft und Politik ist der gesellschaftliche Dialog in Deutschland zu Zukunftsthemen zentral. Innovationen brauchen zunächst die Akzeptanz im eigenen Land. Es braucht daher eine gemeinsame Kommunikation von Politik, Gesellschaft und der Gasbranche. Wenn wir in den kommenden Jahren an konkreten Projekten wie Elektrolyseuren, Anlagen für die Methanpyrolyse oder CCS-Projekten arbeiten und in F&E in großem Stil investieren wollen, dann brauchen wir auch die Gewissheit, dass die gesellschaftliche Stimmung den Bau dieser neuen und nachhaltigen Anlagen nicht blockiert.

Wir brauchen Akzeptanz. Das geht nur im engen Zusammenspiel mit Politik und gesellschaftlichen Akteuren. Das können die Unternehmen der Gasbranche nicht allein leisten.

Wir danken Herrn Heitmüller für die Nutzung seines Keynote-Beitrages.

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