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Wie steht es um den Roll-out intelligenter Messsysteme in Deutschland?
„Ist die deutsche ‚Feinregulatorik‘ im Messwesen für das Gelingen des Roll-outs notwendig?”
Der Umbau unseres Energiesystems hin zu mehr erneuerbaren Energien erfordert einen sicheren und effizienten Netzbetrieb. In Zukunft werden Stromerzeuger und -verbraucher über ein intelligentes Netz (Smart Grid) miteinander verknüpft und kommunizieren digital. Hierfür sind Smart Meter die Grundlage. Zum Stand der Einführung eine kritische Standortbestimmung von Dr. Michael Weise, Rechtsanwalt und Partner bei Becker Büttner Held.
Die Idee für die breite Einführung (den „Roll-out“) von „Smart Metern“ – oder, wie sie in Deutschland energiewirtschaftlich korrekt bezeichnet werden: intelligente Messsysteme (iMS) – stammt ursprünglich aus Brüssel und reicht mindestens bis zur Strombinnenmarktrichtlinie aus 2009 zurück. Diese Richtlinie forderte damals, dass bis 2020 mindesten 80 % der Messstellen im Stromsektor mit intelligenter Messtechnik ausgestattet werden. In Umsetzung dieser europäischen Vorgabe beschloss der Deutsche Bundestag am 23.06.2016 das „Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“.
Mit diesem Artikelgesetz wurde das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) aus der Taufe gehoben. Das MsbG ist das zentrale Rechtsregime für den Messstellenbetrieb in den regulierten Sparten. Man kann ohne Übertreibung vom „Grundgesetz des Messwesens“ sprechen. Den Kern dieses Gesetzes bilden die Einbaupflichten für iMS – eine Technologie, die (hierüber besteht im Grundsatz Konsens) für das Gelingen der Energiewende unverzichtbar ist. Der vom BMWE in Auftrag gegebene Monitoringbericht („Energiewende. Effizient. Machen“) hat dies jüngst bekräftigt: „Die Digitalisierung der Energiewende ist der entscheidende Wegbereiter für eine effiziente Energiewende“, heißt es dort.
Im nächsten Jahr wird das MsbG 10 Jahre alt. Aus Sicht des Autors ein angemessener Anlass, um zu fragen: Wo stehen wir heute beim Roll-out von iMS?
Der Roll-out in (ernüchternden) Zahlen

- Der Rollout von intelligenten Messsystemen (Smart Metern) ist Grundlage für die Digitalisierung der Energiewende. Mit Smart Metern können Verbraucher sowie Unternehmen ihren Stromverbrauch beziehungsweise die Einspeisung ihres Stroms etwa aus Photovoltaik besser und komfortabler managen sowie von neuen Tarifen profitieren. Ebenso ermöglichen Smart Meter, dass Erneuerbare-Energien-Anlagen und steuerbare Verbraucher wie Elektroautos oder Wärmepumpen effizient in das Stromnetz integriert werden.
Grafik: BMWE
Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat Ende Oktober die Roll-out-Quoten der grundzuständigen Messstellenbetreiber (gMSB) zum Stichtag 30.06.2025 auf ihrer Homepage veröffentlicht. Wir wissen damit ziemlich genau, wo wir aktuell beim Roll-out von iMS stehen:
Die Gesamteinbauquote für iMS (absolut) liegt bei 3 Prozent (gegenüber den Zahlen aus dem ersten Quartal 2025 eine Steigerung von 0,3 Prozentpunkten). Betrachtet man das gesetzliche Pflichtprogramm für den Einbau von iMS (d. h. die über alle gMSB erreichte Pflicht-Ausstattungsquote für die Kunden > 6.000 kWh bis 100.000 kWh Jahresverbrauch sowie die §14a EnWG-Einbaufälle), sind 16,4 % erreicht – eine Steigerung gegenüber Q1 2025 um ca. einen Prozentpunkt. Bei den unterbrechbaren Verbrauchseinrichtungen (§14a EnWG) ist ein Rückgang (!) zu verzeichnen: Von bundesweit ca. 1900 Einbaufällen (in Q1 2025) auf ca. 900 Einbaufälle.
Über die politische und energiewirtschaftliche Bewertung dieser Roll-out-Zahlen herrscht Einigkeit. Sie sind miserabel. Es gibt keine ernstzunehmende Stimme in der Branche, die behauptet, dass diese Zahlen auch nur zufriedenstellend sind. Im europaweiten Vergleich gehört Deutschland zu den Schlusslichtern (dazu später noch näher). Für das BMWE und die BNetzA ist klar: Es muss (deutlich!) schneller gehen!
Was tun?
Um den Roll-out zu beschleunigen, denkt das BMWE aktuell über einen neuen Regulierungsansatz nach, der das Eigeninteresse der Verteilnetzbetreiber am Roll-out erhöhen soll (konkreter wird das BMWE dazu aktuell nicht). Zudem werden „strukturelle Defizite“ vor allem bei Teilen der Gruppe der kleineren gMSB gesehen, die durch die (erleichterte) Ermöglichung von Kooperationen beseitigt werden sollen. Angekündigt ist für kommendes Jahr daher eine weitere (umfassende) Gesetzesnovelle. Schon wieder?
Mit Stand zum 11.07.2025 gab es bereits zwölf (!) Gesetzesänderungen des MsbG, darunter sehr umfassende Novellen wie das „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“. Eine weitere Änderung des MsbG wird aktuell im Bundestag gelesen (und wohl zum Veröffentlichungszeitpunkt dieses Beitrags verabschiedet sein).
Allein die Anzahl an Gesetzesänderungen und Novellen zeigt: Der politische Gestaltungswille ist groß und er scheint von der Vorstellung getrieben, dass die richtigen Vorschriften den Roll-out entfesseln werden. Kann das sein? Ist es möglich, dass wir nur ein „besseres Gesetz“ benötigen, um den Roll-out zu beschleunigen? Oder könnten die zahlreichen Änderungen, Novellierungen und Neujustierungen des MsbG – die über die Zeit zu einer erheblichen Steigerung der normativen Komplexität geführt haben – vielleicht eine (Mit-) Ursache für das Vollzugsdefizit sein?
Apropos Komplexität: Man muss wissen, dass das enge normative Korsett, in dem der intelligente Messstellenbetrieb steckt, nicht allein aus dem MsbG besteht. Hinzu kommen weiter Vorgaben des BSI (Schutzprofil, Technische Richtline, Sichere Lieferkette etc.), der BNetzA (Prozessvorgaben, Musterverträge, Sicherheitskataloge etc.), der PTB (eichrechtliche Anforderungen) und der energiewirtschaftlichen Verbände (VDE bzw. FNN).
Herstellung, Einbau und Betrieb von iMS sind mittlerweile „feinreguliert“. Technik, Logistik, Einbau, Vertragswesen, Entgelte und Abrechnung: Für den kompletten Lebenszyklus und Betrieb von iMS bestehen umfangreiche gesetzliche und untergesetzliche Vorgaben.
Ist der sich ständig ändernde Rechtsrahmen das Problem?
Der Autor berät im Bereich des intelligenten Messstellenbetriebs seit mehr als zehn Jahren. Zahlreiche gesetzliche Anpassungen waren mit dem Anspruch angetreten, den Roll-out (jetzt endlich!) zu entfesseln. Eingelöst wurde dieser Anspruch bisher nicht. Und so hat sich über fast eine Dekade von MsbG-Novellen ein schleichender Verdacht mit jeder weiteren Gesetzesänderung erhärtet: Könnte ein sich ständig ändernder, zunehmend komplexer werdender normativer Rahmen eine (Mit-)Ursache sein für den schleppend verlaufenden Roll-out?
Der Autor ist mittlerweile davon überzeugt, dass hier ein Zusammenhang besteht. Wie reagieren Normadressaten (hier vor allem: die gMSB), die beinahe verlässlich jedes Jahr mit immer neuen – und zum Teil grundlegenden – Gesetzesänderungen konfrontiert werden? Die Erfahrung zeigt, dass viele gMSB darauf ähnlich reagieren: Sie warten ab, sie beobachten, anstatt zu agieren und treffen vorerst keine (weiterreichenden) Investitionsentscheidungen. Sie beschränken sich auf ein Minimalprogramm. Diese Haltung ist nicht vorwerfbar und sie wurde letztlich mit jeder weiteren Gesetzesnovelle bestätigt.
Muss das sein?
Ist die deutsche „Feinregulatorik“ im Messwesen für das Gelingen des Roll-outs notwendig? Eine Untersuchung des bitkom e. V. aus dem Jahr 2022 (Erfolgsfaktoren für einen zügigen Smart Meter Rollout - Die Beispiele Spanien, Italien, Schweden und Niederlande) spricht eher dagegen, dass ein „feinregulatorischer Ansatz“ ein zwingender Erfolgsfaktor für den Roll-out ist.
In Spanien (100 % Roll-out-Quote seit Ende 2018) hat der Staat nur einen groben regulatorischen Rahmen gesetzt, in Italien (100 % Roll-out-Quote seit ca. 2017) war der Energieversorger der Treiber für den Rollout, der Staat hat die Einbaupflicht erst später verpflichtend vorgegeben, in Schweden (100 % Roll-out-Quote seit 2009) gab der Staat lediglich das Ziel vor, dass Haushalte verpflichtend monatlich abzulesen sind (keine staatliche Verpflichtung zum Einbau einer bestimmten Technik) und in den Niederlanden (ca. 95 % Roll-out-Quote seit Anfang 2021) wird der Roll-out durch die Netzbetreiber organisiert – auch hier hält sich der Staat zurück.
Der Autor kennt aus eigener Anschauung die ungläubigen Reaktionen, wenn ausländischen Investoren das regulatorische Umfeld des Messstellenbetriebs in Deutschland erläutert wird. Der normative Komplexitätsgrad hat Ausmaße angenommen, der in Teilbereichen nur noch als grotesk bezeichnet werden kann.
Was muss sich ändern?
Was muss also geschehen, wenn der Roll-out tatsächlich beschleunigt werden soll? Aus Sicht des Autors liegt die mögliche Antwort nicht allein in neuen Gesetzesnovellen, sondern in einem grundlegenden Umdenken:
- Weniger Feinregulierung, dafür Beschränkung auf Zielvorgaben und einen zwingend notwendigen normativen Rahmen.
- Kein Festhalten an starren Roll-out-Quoten – Sanktionen durch Anreize ersetzen.
- Mehr Freiheitsgrade und Gestaltungsmöglichkeiten für die Normadressaten und mehr Vertrauen in die gMSB.
- Mehr Verlässlichkeit auf den Bestand der gesetzlichen Regelungen.
- Auf die Wünsche von Kunden und von Netzbetreibern eingehen: Welcher Funktionsumfang von iMS wird wirklich für das Gelingen der Energiewende benötigt?
Wie geht es weiter?
Selbstverständlich wird es weitere Gesetzesnovellen zum MsbG geben. Und ganz ehrlich: Der Autor freut sich darauf! Die Freude würde aber noch erheblich gesteigert, wenn der Roll-out tatsächlich Fahrt aufnimmt. Denn wir brauchen intelligente Messtechnik in Deutschland – ohne sie wird das Projekt Energiewende nicht gelingen. Zur Erinnerung noch einmal die Zahlen. In Deutschland liegen 240 gMSB bei 0 % Roll-out-Quote. Damit haben ca. ein Drittel aller gMSB noch kein iMS verbaut.
Wir müssen daher zügig den richtigen Weg finden, um den Roll-out wirklich zu beschleunigen. Auf der Suche nach diesem Weg ist politischer Mut gefragt. Es darf keine Denkverbote geben, denn dafür ist das Thema zu wichtig.
Anfragen an den Autor unter:
www.bbh-online.de



