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02.06.2021 17:22 Alter: 3 yrs

Wasserkraft – unverzichtbarer Teil sicherer Stromversorgung in Europa

Am 8. Januar 2021 stand Europa kurz vor einem Blackout. Einmal mehr zeigte sich, wie Wasserkraft in Krisensituationen maßgeblich zur Stabilisierung der europäischen Stromnetze beiträgt. VGB PowerTech, der technische Verband der Energieanlagen-Betreiber, und seine Wasserkraftmitglieder haben einen Hintergrundbericht zum Ereignis unter der besonderen Berücksichtigung der Rolle der Wasserkraft verfasst.   Für THEMEN!magazin informieren Dr. Mario Bachhiesl, Leiter Erneuerbare Energien und dezentrale Erzeugung, VGB und Dr. Peter Bauhofer, Leiter Energiestrategie, TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG, zu Kernaussagen des Berichtes.


Dr. Mario Bachhiesl, Leiter Erneuerbare Energien und dezentrale Erzeugung, VGB PowerTech Dr. Peter Bauhofer, Leiter Energiestrategie, TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG Fotos: VGB, TIWAG

Eine Kaskade von Ausfällen von Betriebsmitteln wie Strom - leitungen und Schaltanlagen in Südosteuropa führte am 8. Januar 2021 zu einem kritischen Zustand im europäischen Stromnetz. Dies erklärte der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E in einem Zwischenbericht zur Untersuchung der Vorfälle. Auf Basis der vorläufigen Ergebnisse soll eine Expertenkommission nun die Ereignisse entsprechend der gesetzlichen Vorgaben vollständig aufklären.

Die schwerwiegende Stromnetzstörung vom 8. Januar 2021 unterstreicht nicht nur die Bedeutung von gesicherter Reserveleistung und Regelenergie. Zugleich wurde deutlich, Wasserkraft trägt in Krisensituationen maßgeblich zur Stabilisierung der europäischen Stromnetze bei und bietet mit Reservehaltung, Regelenergiebereitstellung in Kombination mit hoher Regeldynamik sowie Schwarzstart- und Inselbetriebsfähigkeit ein unabdingbares Asset für die Stabilität und Sicherheit der Energieversorgung in Europa. Eine weitere intelligente Kombination von Stromerzeugern und -verbrauchern im Netz verlangt die Wasserkraft als effizienter, zuverlässiger, flexibler und speicherfähiger Teil der „erneuerbaren Familie“.

Der Bericht zum Ereignis des 8. Januar blickt deshalb über eine Analyse der Stromnetzstörung hinaus und zeigt auf, welche Herausforderungen mit dem laufenden Umbau des europäischen Energiesystems verbunden sind und dass Wasserkraftanlagen zukünftig noch weitergehend zu Netzabsicherung und Versorgungssicherheit beitragen werden.

Das Ereignis

Ein Frequenzabfall bedingt durch die Auslösung eines Überstromschutzschalters in einem Umspannwerk in Kroatien am 8. Januar 2021 führte beinahe zu einem großflächigen Blackout im europäischen Stromnetz. Als Folge der Schalterauslösung führte eine Kaskade von Ausfällen von Stromleitungen und Schaltanlagen in Südosteuropa zu einer krisenhaften Entwicklung des Betriebszustandes im europäischen Stromnetz, was zur automatischen Systemtrennung des südöstlichen vom nordwestlichen Netzteil führte.

Da vor Eintritt der Störung Strom von Ost nach West exportiert wurde, führte der Erzeugungsüberschuss im Ostteil zu einem Frequenzanstieg auf 50,6 Hz und das Erzeugungsdefizit im Westteil zu einer Unterfrequenz von 49,74 Hz. Das europäische Hochspannungsstromnetz wird normalerweise auf 50 Hz synchronisiert, somit können stärkere Frequenzabweichungen zu systematischen Abtrennungen und Abschaltungen von Teilnetzen und somit auch zu Stromausfällen führen.

Die Maßnahmen

Durch rechtzeitig und zielgerichtet eingeleitete Gegenmaßnahmen konnte jedoch ein Blackout vermieden werden. Angesichts der Unterfrequenz im nordwestlichen Teilnetz glichen Großkraftwerke aller Erzeugungsarten mit wesentlichem Beitrag durch große Laufkraftwerke sowie Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke nach dem ersten Abfangen durch die Schwungmassen der rotierenden Maschinensätze (Synchronous Inertia) mit rascher Leistungssteigerung über die Aktivierung der Primärregelreserve das Erzeugungsdefizit aus. Weiterhin wurden dafür vertraglich vorgesehene Lasten in Form von Industrieverbrauchern mit einer Leistung von insgesamt 1,7 GW vor allem in Frankreich und Italien vom Netz genommen.

Auch im südöstlichen Teilnetz wurden aufgrund der erhöhten Frequenz automatische und manuelle Gegenmaßnahmen aktiviert. So wurde der Leistungsüberschuss einerseits mit Hilfe der Rücknahme von Erzeugung und der Abschaltung von Erzeugungsanlagen reduziert, und es wurde nach ersten Erkenntnissen andererseits ein forcierter Pumpeinsatz in Pumpspeicherkraftwerken für diese Region eingeleitet, um Energie aus dem System zu nehmen.

Die Herausforderungen

Der Dekarbonisierungsprozess des europäischen Stromsystems, verbunden mit dem teilweisen Atomausstieg, schreitet rasch voran und wird zur Erreichung der nunmehr verschärften EU-Klimaziele in den kommenden Jahren weiter intensiviert. Gemeinsam mit der Wasserkraft bilden derzeit die großen thermischen Erzeugungseinheiten das Rückgrat für die Systemflexibilität in allen Zeitbereichen (präqualifizierte Reserveleistung) am Beispiel Deutschland (siehe Abbildung) bis hin zur saisonalen Flexibilität.

Mit dem Ausscheiden großer thermischer Einheiten geht dem System schrittweise ein wesentlicher Teil seiner flexiblen Leistungen (Flexibility Facilities) samt synchroner Inertia verloren. Die Bedeutung der Wasserkraft, hier vor allem die der hochflexiblen Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke, wird daher weiter steigen. Dieses Thema liegt im Fokus des ordnungspolitischen Rechtsrahmens der EU (z. B. TEN-E Regulation) bzw. der strategischen Planungspapiere der ENTSO-E (Zehnjahresnetzentwicklungsplan TYNDP 2020 samt Begleitdokumenten), damit das hohe Maß der Stabilität des europäischen Stromnetzes weiterhin sichergestellt bleibt.

Bedeutung Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke

Wo vorhanden, sind Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke integrativer Bestandteil des technischen Krisenmanagements im Netzbetrieb. Wäre es zu einem Blackout gekommen, wäre das europäische Verbundsystem im Extremfall in mehrere Teilnetze zerfallen und Erzeugung sowie Lasten weitreichend vom Netz entkoppelt worden. Fotos: VGB, TIWAG In einem solchen Fall werden vor allem mit Hilfe schwarzstartfähiger Wasserkraftanlagen nach definierten Prozessschritten der Reihe nach Netzinseln aufgebaut, nach Möglichkeit mit Pumpen das Lastverhalten stabilisiert, schrittweise konventionelle Lasten und weitere Kraftwerke in der Insel herangeführt und in weiterer Folge die Teilnetze wieder zum Systemverbund synchronisiert.

Ohne externe Stromversorgung können schwarzstartfähige Anlagen selbst stabil hochfahren, Spannung vorgeben, den Blindleistungshaushalt ausgleichen und bei Inselbetriebsfähigkeit die Netzinsel stabil betreiben. Große Wasserkraftwerke sind infolge ihrer großen Schwungmassen und hohen Regelfähigkeit besonders für diesen Zweck geeignet. Auch für den Normalbetrieb ist die Rolle der Wasserkraft zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und Netzstabilität äußerst weitreichend.

[VGB PowerTech]

Wasserkraft liefert einen überwiegenden Beitrag zu Reserveleistungen, welche zum Ausgleich der Schwankungen im Stromnetz innerhalb von Sekunden („Primärreserve (PRL)/ Frequency Containment Reserves (FCR)“), fünf Minuten („Sekundärreserve (SRL)/ automatic Frequency Restoration Reserves (aFRR)“) oder Viertelstunden („Minutenreserve (MRL)/ manual Frequency Restoration Reserves (mFRR)“) benötigt werden.

Ein Ausblick

Der jüngste Vorfall vom 8. Januar 2021 wird unter Branchenexperten als Warnsignal und weiteres Indiz für das steigende Risiko eines Blackouts gesehen. Krisenvorsorgeexperten prognostizieren schon jetzt, dass binnen der nächsten 5 Jahre mit einem europaweiten Blackout zu rechnen ist, sofern nicht umgehend weitere koordinierte Maßnahmen vorgenommen werden. Foto: Alexander Basile / STEAG GmbH Auch die Schweiz agiert sicherheitsorientiert: In der jüngsten Risikogesamtanalyse für die Schweiz wird ein Blackout als eines der am höchsten angesiedelten Gefährdungspotenziale erkannt. Zur Dämpfung eines nationalen Blackout-Risikos und zur Überbrückung der zu erwartenden Winterlücke infolge des forcierten PV- und Windkraftausbauprogramms wurde der geförderte Ausbau von 2 TWh Großspeicherkraft beschlossen und wird voraussichtlich 2021 gesetzlich verankert werden.

Neben dem Aus- und Umbau des Versorgungsnetzes ist eine weitere intelligente Kombination von Stromerzeugern und -verbrauchern im Netz erforderlich. In diesem Zusammenhang kommt der Wasserkraft als Teil der „erneuerbaren Familie“ insbesondere wegen ihrer hohen Effizienz, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Speicherbarkeit eine Schlüsselrolle als Dienstleister für die Versorgungssicherheit und Netzstabilität zu. Daher bleibt die Wasserkraft eine unverzichtbare erneuerbare Energiequelle, die im Rahmen einer ehrgeizigen Energie- und Klimapolitik für Europa weiterzuentwickeln und zu bewahren ist.

Weitere Information unter

www.vgb.org