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29.07.2013 10:40 Alter: 11 yrs
Kategorie: Nachhaltigkeit

Verpassen Stadtwerke Chancen des dezentralen Energiemarkts?

Die Energiewende beschleunigt die Transformation des Energiesektors und bietet Unternehmen insbesondere in den Bereichen der dezentralen Erzeugung und des „Internets der Energie“ vielfältige Geschäftschancen. Neue Marktteilnehmer treten in diesen Geschäftsfeldern als Partner, Dienstleister und Wettbewerber für Energieversorger und Stadtwerke auf. Dr. Helmut Edelmann, Director Utilities bei EY Germany und Autor der Stadtwerkestudie 3.0 - 2013, nennt im folgenden für ThemenMagazin Energie wesentliche Kernaussagen der Untersuchung.


Neben der Dezentralisierung der Erzeugung, die vor allem auf die Nutzung Erneuerbarer Energien setzt, ist das dezentrale Energieversorgungssystem der Zukunft durch bilaterale Informations- und Energieflüsse gekennzeichnet. Die Transformation des Energiesektors nimmt Gestalt an. Eine wesentliche Folge dieser Transformation ist die zunehmende Konvergenz von Märkten, die sich in zwei Trends niederschlägt:

1. Es treten neue Marktteilnehmer in den Energiemarkt ein und verdrängen zunehmend die etablierten  Energieversorgungsunternehmen. Inaktive Konsumenten entwickeln sich mehr und mehr zu „Prosumern“.

2. Die traditionelle Wertschöpfungskette verändert sich, neue Wertschöpfungsstufen wie die Energiespeicherung oder der Vertrieb von Energiedienstleistungen sind entstanden bzw. entstehen zurzeit. Durch die zunehmende Bedeutung von IKT wachsen Branchen zusammen (Konvergenz). Dies eröffnet neue Wertschöpfungsmöglichkeiten im Bereich der leitungsgebundenen  Energieversorgung, erhöht jedoch auch die Komplexität der Geschäftsprozesse.

Potential IT-gestützter Energielösungen

Energie wird in Deutschland künftig verstärkt dort erzeugt, wo sie gebraucht wird – und die traditionellen Energieversorger bekommen dabei starke Konkurrenz von Unternehmen aus energienahen Branchen. Bereits heute erzeugt fast jedes zweite Unternehmen (47 Prozent) aus energienahen Branchen selbst Energie, ein weiteres Viertel plant ein solches Engagement für die nächsten Jahre. Am beliebtesten sind Blockheizkraftwerke, Photovoltaik-Anlagen sowie Windkraft und Biomasse.  Mehr als drei Viertel dieser Unternehmen sind der Meinung, dass die Energiewende nur mit dezentraler Energieerzeugung gelingen kann, und sechs von sieben Befragten glauben, dass neue Marktteilnehmer wie Unternehmen mit eigenen Heizkraftwerken, Stromhändler oder Anbieter von Solarpaneelen deshalb weiter an Bedeutung gewinnen werden.

Gerade ein Energienetz mit vielen dezentralen Erzeugern benötigt eine umfassende ITgestützte Steuerung. Viele Unternehmen haben die damit verbundenen Erfordernisse und Chancen allerdings noch nicht erkannt: Lediglich 42 Prozent der befragten Manager halten den Ausbau eines umfassenden „Internets der Energie“ für unabdingbar, soll die Energiewende gelingen. 11 Prozent halten diese Entwicklung sogar für völlig überflüssig. Energieversorger unterschätzen „noch“ das Potenzial IT-gestützter Energielösungen. Wobei sich das Thema Datensicherheit als größte Herausforderung für Entwicklungen im „Internet der Energie“ zeigt.

Wachstumsmarkt Smart Energy

Erkennbar ist eine gewaltige Umwälzung auf dem Energiemarkt – und die Energieversorger tun gut daran, schnell aktiv zu werden. Bislang laufen aber vor allem Stadtwerke und Regionalversorger Gefahr, zu langsam auf diese Veränderungen zu reagieren. Denn externe Wettbewerber können ihnen den Rang ablaufen – vor allem wenn es um den riesigen Wachstumsmarkt Smart Energy geht. 47 Prozent der befragten Unternehmen sind bereits heute der Ansicht, dass die Stadtwerke kompetente Kooperationspartner brauchen, um das „Internet der Energie“ auf den Weg zu bringen. Jedes dritte Unternehmen, das bereits selbst Energie erzeugt oder dies vorhat, sieht in der Beschaffung von Echtzeitinformationen zu Anlagen und Netzen die wichtigste Vorbedingung für die Entwicklung einer „Smart Energy“: Erst auf dieser Basis ist der Aufbau automatisierter Geschäftsprozesse und eines effektiven Datenaustausches möglich.

Die neuen Marktteilnehmer sind für die traditionellen Energieversorgungsunternehmen (EVU) nicht nur Konkurrenten, sondern werden auch dringend als Lieferanten von Branchen-Know-how, Spezialprodukten und Infrastruktur gebraucht. Je mehr Stellen aktiv an der Stromversorgung teilnehmen – EVU, dezentrale Erzeuger, erzeugende Verbraucher – desto komplexer wird auch die Steuerung des Energienetzes. Kein Einzelunternehmen kann hierfür eine überzeugende und effiziente Struktur bieten – das können nur umfassende Kooperationen.

„Internet der Energie“ noch unterschätzt

Die IT-gestützte Energieversorgung bietet große Chancen, doch viele Energieversorger sehen diese positiven Perspektiven offenbar nicht. Dabei wird bereits massiv in die so genannten "Smart Grids" investiert. Experten rechnen dabei mit Investitionen von weltweit 1,5 Billionen Euro für den Aufbau solcher intelligenter Stromnetze. Beim "Smart Grid" werden Stromflüsse automatisch an den aktuellen Bedarf angepasst, beim "Internet der Energie" werden zusätzlich Informationen der Marktteilnehmer z. B. zur Preisfindung einbezogen und somit auch alle dezentralen Anbieter mit eingebunden.

Virtuelle Kraftwerke, intelligente Häuser oder die Fernablesung („Smart Metering“) mögen bereits zum Teil Realität sein, dennoch: Das umfassende „Internet der Energie“ sehen lediglich vier von zehn befragten Unternehmen mit Erfahrung im Bereich „Smart Energy“ als unerlässliche Voraussetzung der Energiewende.

11 Prozenterkennen sogar überhaupt keine entsprechende Notwendigkeit. Jeder zweite Befragte mit Erfahrung im Bereich „Smart Energy“ sieht in der künftigen IT-Ausrichtung der Energieversorgung sogar nur eine Ergänzung zum traditionellen Geschäft, keineswegs aber die völlige Neuausrichtung. Ebenso viele Unternehmen glauben sogar, dass die zunehmende Nutzung und Übertragung von Informationen im Bereich der Energieversorgung überschätzt wird.

Fazit

Trotz bisher erreichter Fortschritte befindet sich die Transformation des Energiesektors noch in einem sehr frühen Stadium. Der Weg bis zu einer dezentralen und nachhaltigen Energieerzeugungsstruktur und zu einem „Internet der Energie“, das letztendlich die Umstellung auf eine dezentrale Energiewelt erst ermöglicht, ist noch sehr weit.

Stadtwerke und EVU müssen zusammen mit Unternehmen aus anderen Branchen wie der Telekommunikation, der Technologie und der Geräteherstellung noch stärker und gezielter auf eine gemeinsame Marktentwicklung hinarbeiten.

Dabei geht es nicht um die Frage „Wettbewerb oder Kooperation“. Wer in der neuen Energiewelt erfolgreich sein will, muss beides tun: im Wettbewerb kämpfen und gleichzeitig mit seinen Wettbewerbern kooperieren. Mit tradiertem “Lagerdenken“ werden die Herausforderungen des zukünftigen Energieversorgungssystems nicht zu bewältigen sein.