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03.09.2019 10:40 Alter: 5 yrs

Unser größter Feind ist die Trägheit

Was ist der Schlüssel zur erfolgreichen Digitalisierung und was hat John F. Kennedy mit der Digitalisierung zu tun?


In einem Gastbeitrag zeigt Dr. Jens-Uwe Meyer, Geschäftsführer der Innolytics GmbH, Leipzig und Autor des Buches „Digitale Gewinner“ auf: Es kommt darauf an, Trägheit zu überwinden!

Foto: Innolytics

Was ist der Schlüssel zur erfolgreichen Digitalisierung? Die Antwort ist fast fünfzig Jahre alt. Als John F. Kennedy am 12. September 1962 das Apollo-Programm an der amerikanischen Rice University verkündete, sagte er entscheidende Sätze: Binnen eines Jahrzehnts werden die USA Menschen auf den Mond landen lassen und sicher wieder zurückbringen. Die Rede wurde im amerikanischen Fernsehen übertragen, mehrere tausend NASA-Ingenieure zuckten zusammen. Hin und sicher wieder zurück? Oneway, also von der Erde zum Mond, das war 1962 technisch vorstellbar. Aber zurück? Unmöglich. Jahrelang wurden unzählige Varianten getestet. Alle versagten. Bis sich schließlich eine Außenseiteridee durchsetzte: die Mondlandefähre.

Was hat das mit Digitalisierung zu tun?

Was hat das mit der Digitalisierung der Energiebranche zu tun? So wie John F. Kennedy in den 60er Jahren gegen die Trägheit seines gegenüber der Sowjetunion zurückliegenden Weltraumprogramms ankämpfte, kämpfen Führungskräfte in der Energiebranche mit der Trägheit von Unternehmen: Ob Entscheidungen über digitale Vertriebsstrategien, wirklich neu gedachte Angebote rund um Smart Metering oder Innovation Labs zur Entwicklung innovativer Dienstleistungen. Das Apollo- Programm bleibt bei vielen Unternehmen der Energiebranche aus. Stattdessen Trägheit in der Zielsetzung, Trägheit in der Entscheidungsfindung und Trägheit in der Umsetzung.

Eine digitale Vision à la John F. Kennedy würde so klingen: „Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden wir ein voll digitaler Energieversorger mit Produkten und Angeboten, die wir uns heute noch nicht im Entferntesten vorstellen können. Jeder Ablauf und jeder Prozess wird heute, morgen und übermorgen täglich auf den Prüfstand gestellt und auf Basis der neuesten verfügbaren Technologien neu gedacht.“
Das klingt anders als „Wir werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle der Energiebranche in den kommenden Jahren konsequent analysieren und die digitale Transformation vorantreiben“ oder „Wir werden die Entwicklungen der verschiedenen Vertriebswege für Energieprodukte beobachten und wenn notwendig die entsprechenden Maßnahmen einleiten.“ Doch mutiges Machen ist nicht Abwarten und die Lage im Arbeitskreis besprechen.

Wie Trägheit den Fortschritt verhindert

Im Januar entschließt sich ein Stadtwerk, eine Arbeitsgruppe zur Digitalisierung zu bilden. Bis zum ersten internen Workshop dauert es drei Monate, weil kein Termin gefunden werden kann, an dem alle Beteiligten gleichzeitig verfügbar sind. Im Mai und Juni werden erste Ideen zum Management von Datenmengen aus Einspeisung und Netzbetrieb entwickelt. Auch werden innovative Ansätze zur Wertschöpfung aus dem Bereich E-Mobility entwickelt. Erste Konzepte werden favorisiert, doch die Rechtsabteilung und der Datenschutz melden Bedenken an. Die Verträge mit bestehenden Stromkunden müssen zunächst bezüglich ihrer Konformität mit den Plänen geprüft werden. Folge: Die Projekte werden gestoppt. Die rechtliche Prüfung zieht sich bis Ende September hin, weil zwischenzeitlich überraschend Sommerferien waren.

Im November sollen Prototypen für die einzelnen Konzepte entwickelt werden. Der Einkauf besteht auf einer Ausschreibung. Die Gestaltung des Ausschreibungsprozesses zieht sich drei Monate lang hin. Im Februar fällt die Auswahl auf einen der verbleibenden Anbieter, als sich die IT zu Wort meldet: Gemäß der internen Richtlinien müssen alle Lösungen auf unternehmenseigenen Servern installiert werden. Leider fehlen dazu aktuell die Ressourcen. Die internen Umstrukturierungen in der IT brauchen drei Monate. Das Projekt kann theoretisch starten, doch es ist wieder Sommerpause...

Wie die Zeit vergeht…

Eine solche Situation ist noch viel zu oft Alltag. Niemand der Beteiligten möchte die digitale Transformation der Energiebranche und des eigenen Unternehmens stoppen. Niemand handelt böswillig. Im Gegenteil: Alle Beteiligten handeln aus gutem Grund. Ob die Rechtsabteilung wie auch der Datenschutz oder die IT. Nur wenden sie Regeln an, die für die Sicherheit und Beständigkeit des operativen Geschäfts entwickelt wurden: Für die Sicherheit der Energieversorgung. Nicht für die Entwicklung innovativer Energiedienstleistungen.

Mit der gleichen Logik könnte man eine einfache Google-Suche im Unternehmen verhindern. „Tut uns leid, die Datenschutzerklärung von Google entspricht nicht dem, was unsere Rechtsabteilung verlangt, wir haben unsere Anforderungen an die Verantwortlichen in Mountain View, Kalifornien, geschickt.“ „Wie bitte, Google läuft nicht auf unseren Servern? Das geht nicht.“

Mutige Visionen gefragt

Digitalisierung bedeutet: Mutige Visionen zu entwickeln ohne zu wissen, wie die folgenden Schritte technologisch und organisatorisch genau zu bewältigen sind. Straffe Zeitpläne zu erstellen, die das Tempo der Veränderung diktieren. Und das Erreichen der Ziele vor alles andere zu stellen. In seiner Rede 1962 liefert Kennedy die Antwort: „Nicht weil sie (die Dinge) einfach sind, sondern weil sie schwer sind. Weil dieses Ziel dazu dienen wird, das Beste aus unseren Energien und Fähigkeiten herauszuholen und zu bewerten. Weil diese Herausforderung eine ist, die wir bereit sind anzunehmen, eine, die wir nicht verschieben wollen, und eine, die wir gewinnen wollen.“

Erfolgreiche Digitalisierungsstrategien bekämpfen die Trägheit. Jeden Tag. Und immer wieder aufs Neue. Es darf an allem gezweifelt werden: An den derzeitigen Formen des Energievertriebs, an der Datenstrategie im Zusammenhang mit Smart Metering, an der Rolle des Unternehmens im Bereich der E-Mobilität. Es darf über alles diskutiert werden. Nur das Ziel steht außer Frage: „We choose to go to the moon.“

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Digitale Gewinner: Erfolgreich den digitalen Umbruch managen; ISBN 9783869804507 Dr. Jens-Uwe Meyer, Verlag BusinessVillage, 2019