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Sechs-Punkte-Plan für eine „grüne“ Transformation
„Unsere Strategie setzt ein positives Signal: Wir können die grüne Transformation meistern, und zwar zu relativ niedrigen Kosten, wenn die Politik diese sechs Punkte – und nur diese Punkte – umsetzt und sie vorausschauend kommuniziert.“
Die Politik sollte die richtigen Leitplanken setzen, damit Preisanreize eine effiziente und kostengünstige Energiewende ermöglichen. Das fordern Reint E. Gropp und Oliver Holtemöller, Präsident und Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), in einem Strategiepapier zur grünen Transformation. Darin empfehlen die Autoren aufeinander abgestimmte Punkte, die nur als Paket wirksam sind. Anlass für THEMEN!magazin, ein Gespräch mit Prof. Reint E. Gropp zu diesem Thema zu führen.
Herr Prof. Gropp, warum diese Wortmeldung zur „grünen“ Transformation?
Es ist wissenschaftlich unstrittig, dass ein deutlicher Temperaturanstieg aufgrund von Treibhausgasen zu dramatischen Kosten weltweit führen würde. Daher ist eine Transformation hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft unerläßlich um den Klimawandel zumindest zu begrenzen. Sie wird aber auch sehr viel Geld kosten, da existierende Infrastrukturen, Produktionsanlagen, Heizungen und Kraftfahrzeuge vorzeitig ersetzt werden müssen. Deswegen sollte dieser Anpassungsprozess so effizient wie möglich sein. Mit dem Sechs-Punkte-Plan stellen wir einen Rahmen für solch eine möglichst effiziente Anpassung vor.
Welche Kernaussage steht über dem Strategiepapier?
Im Kern geht es bei der grünen Transformation darum, fossile Energieträger durch erneuerbare Energien zu ersetzen, die Energieeffizienz zu steigern und eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Dies erfordert erhebliche Investitionen in neue Technologien und Infrastruktur ebenso wie Anpassungen in der Gesetzgebung und Regulierung. Unternehmen müssen ihre Produktionsprozesse umstellen, neue Geschäftsmodelle entwickeln und nachhaltige Produkte und Dienstleistungen anbieten. Haushalte müssen persönliche Mobilität und das Heizen ihrer Wohnungen anpassen. Damit die Menschen bereit sind die Kosten dieser Transformation zur Klimaneutralität zu tragen, müssen sie die Verteilung dieser Anpassungslasten als gerecht empfinden. Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten heißt für uns, dass immer dort CO2 eingespart werden sollte, wo es am günstigsten ist. Es darf nicht so sein, dass dort wo Lobbys und Interessensverbände am stärksten sind, die Kosten vertagt oder durch Subventionen ganz vermieden werden können.
Als einen Diskussionspunkt sehen Sie die CO2-Zertifikate?
Zunächst einmal ist es entscheidend, dass die EU-Klimaziele die relevanten sein sollten. Derzeit gelten in Deutschland ehrgeizigere Ziele, nämlich eine niedrigere Treibhausgas-Obergrenze und ein früheres Erreichen der Klimaneutralität. Dieser Ansatz ist einfach falsch, denn ehrgeizigere Ziele in Deutschland führen zu keiner Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen, sondern nur zu einer ungleichen Verteilung der Anpassungslast innerhalb der EU und damit zu ungunsten Deutschlands.
Gegeben diese Ziele, ist der Europäische Emissionshandel seit 2005 das zentrale Klimaschutzinstrument innerhalb der EU. Ziel ist die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen der teilnehmenden Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie. Die Europäische Union will den Ausstoß an Treibhausgasen um 55 Prozent bis zum Jahr 2030 senken und bis zum Jahr 2050 auf netto Null Emissionen kommen. Zentral dabei als Anreiz ist der CO2-Preis. Hohe CO2-Preise geben Unternehmen und Haushalten damit Anreize, dreckige Energie einzusparen sowie neue Technologien einzusetzen
und zu entwickeln, die CO2 vermeiden.
Hebel des Paketes ist der Emissionshandel (Emissions-Trading System, kurz EU ETS). Er definiert sich nach einem einfachen Prinzip: Wer CO₂ ausstoßen will, muss CO₂-Zertifikate erwerben, die dazu berechtigen eine Tonne CO2 pro Jahr auszustoßen. Diese Zertifikate müssen frei miteinander handelbar sein.
Die Treibhausgas-Obergrenze bestimmt die Menge der CO2-Zertifikate, mit denen Unternehmen und indirekt die Haushalte für ihren Kohlendioxid-Ausstoß zahlen. Die Menge der Zertifikate sollte jährlich abnehmen, und zwar langfristig vorgegeben, damit Unternehmen und Bürger sich darauf einstellen können. Somit steigt zunächst der CO2-Preis. Haben alle Sektoren auf eine überwiegend CO2-freie Energieversorgung umgestellt, sinkt der Preis. Da er ja mit den europäischen Klimazielen kongruent sein muss, muss der Zertifikatehandel europäisch und sektorübergreifend sein, was ab 2027 geplant ist. Dies sollte von der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt und kommuniziert werden.
Die grüne Transformation ist ein zentrales Thema unserer Zeit. Sie beschreibt im weiteren Sinne den umfassenden Wandel der deutschen und europäischen Wirtschaft hin zu einer nachhaltigeren, umweltfreundlicheren und zukunftsfähigeren Wirtschaftsweise. Im engeren Sinne wird grüne Transformation verstanden als ein Prozess, Energie zunehmend treibhausgasneutral zu erzeugen.
Können Klimazölle einer Produktionsverlagerung deutscher Unternehmen ins Ausland gegensteuern?
Eine Tonne CO2, die in China ausgestoßen wird, ist genauso klimaschädlich wie eine Tonne CO2 in Deutschland. Daher muss es weiterhin Klimazölle geben, um Anreize auch im Ausland zu schaffen und zu verhindern, dass europäische Unternehmen in das nicht EU-Ausland abwandern. Klimazölle bedeuten, dass auf alle Importe Zölle erhoben werden, die sich dann aus den festgestellten Mengen CO₂ pro importierter Einheit und dem Preis pro Tonne CO₂ ergeben. Auch die Klimazölle können nur auf der EU-Ebene erhoben werden, da Deutschland erstens nicht das Recht hat, Zölle zu erheben und da sie zweitens mit dem EU-CO2-Preis korrespondieren müssen.
Reicht für den Klimaschutz allein ein Angebot an klimaneutralem Strom aus?
Der Stromverbrauch wird durch die Elektrifizierung der Sektoren Verkehr und Wärme von etwa 560 TWh im Jahr 2021 auf 750 TWh bis 2030 steigen. Deshalb muss der Stromsektor in Zukunft einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Sektoren Gebäude, Industrie und Verkehr klimaneutral zu versorgen. Diese steigende Nachfrage aber können selbst mehr Windräder und Solarzellen nicht decken, erst recht nicht wegen des gleichzeitigen Ausstiegs aus Atomenergie. Die Nutzung weiterer Energiequellen sollte entgegen ideologischer Vorbehalte deshalb einbezogen werden.
Wie sehen Sie den Stand von Forschung und Entwicklung?
Innovationen und technologischer Fortschritt sind Voraussetzungen für Energiewende und Klimaneutralität. Energieforschung kann die Entwicklung neuer und effizienterer Ansätze vorantreiben und muss daher ein strategisches Element der Energiepolitik sein. Ob energieeffiziente und nachhaltige Heizungsanlagen und Dämmmaterialien, Elektrolyseure für grünen Wasserstoff oder KI-basierte Steuerungstools für die optimale Systemintegration erneuerbarer Energien: Für die Vollendung der Energiewende werden neue Technologien, Prozesse und Dienstleistungen benötigt.
Nach unserer Sicht ist das Tempo beim technischen Fortschritt und beim Ausbau erneuerbarer Energien selbst unter besten Voraussetzungen wahrscheinlich zu gering, um die Klimaschutzziele komplett zu erreichen. Deshalb sollten Forschung und Entwicklung von Energieeffizienz und -innovation stärker gefördert werden. Dazu gehören auch Technologien, mit denen Kohlendioxid aus der Atmosphäre geholt werden kann.
In den Fokus rücken Sie auch den Strukturwandel und seine Folgen?
Struktureller Wandel beeinflusst maßgeblich die langfristige Entwicklung einer Volkswirtschaft. Er führt zu Aufschwung und Niedergang von Regionen, Wirtschaftszweigen und Betrieben und hat direkte Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und die Produktivität der Unternehmen. Im Fokus unserer Arbeit als IWH stehen Produktivität, Unternehmensdynamik und Arbeitsmarktergebnisse wie beispielsweise Beschäftigung und Lohnniveau. Unsere Abteilung Strukturwandel am IWH untersucht Prozesse des strukturellen Wandels, die unter anderem durch die Dekarbonisierung der Wirtschaft oder technologische Neuerungen erzeugt werden können.
Strukturwandel bedeutet, Lebenswelten befinden sich im Umbruch. Der Strukturwandel der grünen Transformation kann zu sozialen Härten führen. Der Staat sollte sie innerhalb des bestehenden Sozialsystems abfedern. Allerdings sollten staatliche Hilfen nur bedürftigen Haushalten zugutekommen und Subventionen nur an Unternehmen fließen, wenn deren Zahlungsbereitschaft für CO2-Zertifikate gewahrt bleibt.
Thyssenkrupp Steel hat als einer der ersten Stahlhersteller Klimaziele von der SBTi validieren lassen, die im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens stehen und bis 2045 Netto-Null erreichen sollen.
Herr Prof. Gropp, wir danken für das Gespräch.
Weitere Informationen unter: www.halle-iwh.de
IWH: Sechs-Punkte-Plan zur grünen Transformation
1. Die Klimaziele der EU sollten Maßstab auch der deutschen Politik sein. Ehrgeizigere Ziele in Deutschland führen zu keiner Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen, sondern nur zu einer ungleichen Verteilung der Anpassungslast innerhalb der EU.
2. Die Treibhausgas-Obergrenze bestimmt die Menge der CO2-Zertifikate, mit denen Unternehmen und indirekt die Haushalte für ihren Kohlendioxid- Ausstoß zahlen. Der Zertifikatehandel sollte europäisch und sektorübergreifend erfolgen, was ab 2027 geplant ist.
3. Die steigenden CO2-Kosten bieten Anreize für Unternehmen, die Produktion ins Ausland zu verlagern. Es muss klar kommuniziert werden, dass selbst eine Klimapolitik auf EU-Ebene nur mit Klimazöllen eine effektive Wirkung auf den globalen Ausstoß von Klimagasen haben kann.
4. Deutschland sollte mehr klimaneutralen Strom produzieren. Weitere Energiequellen sollten genutzt werden. Aus Klimaperspektive sollte auch Atomkraft in Betracht gezogen werden.
5. Forschung und Entwicklung von Energieeffizienz und -innovation sollten stärker gefördert werden. Dazu gehören auch Technologien, mit denen Kohlendioxid aus der Atmosphäre geholt werden kann.
6. Der Strukturwandel der grünen Transformation kann zu sozialen Härten führen. Der Staat sollte sie innerhalb des bestehenden Sozialsystems abfedern. Und bei Unternehmen sollte deren Zahlungsbereitschaft fü CO2-Zertifikate gewahrt bleiben.