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Scheitert die Energiewende auf der letzten Meile?
„Die Unternehmen müssen dringend aus ihrer abwartenden Haltung herausfinden, sonst werden sie die Transformation nicht bewältigen.“
Die schleppende Transformation der Verteilnetze gefährdet die Energiewende in Deutschland. Denn es gibt einen dramatischen Rückstand beim Smart-Meter-Rollout und dem Ausbau intelligenter Netze. Dies zeigt eine Umfrage der auf den Energiesektor spezialisierten Managementberatung AXXCON. Über die Ergebnisse informiert Maik Neubauer, Partner Energy & Critical Infrastructures bei AXXCON für THEMEN!magazin.
Ein dramatischer Rückstand beim Smart-Meter-Rollout, kaum smarte Technik und riesige Finanzierungslücken. Das ist das alarmierende Ergebnis der Umfrage „Scheitert die Energiewende auf der letzten Meile?“ von AXXCON, an der sich 104 Verteilnetzbetreiber in Deutschland beteiligt haben. Als alarmierend zeigen sich die Aussagen, dass nur drei Prozent der Verteilnetzbetreiber sogenannte Smart-Grid-Technologien vollständig in ihr Netz integriert haben. 44 Prozent der Netztechnologie stammt aus der Nachkriegszeit und lediglich ein Drittel der benötigten Investitionen von hochgerechnet rund 50 Milliarden Euro können die Unternehmen aus eigener Kraft stemmen.
Die Netzbetreiber benötigen zur Sicherstellung von Netzstabilität und Integration von Flexibilitäten eine in Echtzeit steuerbare Infrastruktur – so genannte Smart Grids. Jedoch geben lediglich drei Prozent der befragten Unternehmen an, Smart-Grid-Technologien weitgehend oder vollständig in ihre Netzarchitekturen integriert zu haben und umfassend zur Steuerung und Optimierung zu nutzen.
Die Mehrheit von 65 Prozent hat lediglich erste Pilotprojekte gestartet, befindet sich in der Planungsphase oder hat noch gar nicht angefangen. Lediglich elf Prozent der befragten Unternehmen geben an, ihre digitale Infrastruktur sei optimal auf die zunehmende Datenmenge eingestellt. Der Einsatz von KI zur Netzsteuerung wird bislang nur von rund einem Fünftel der befragten Verteilnetzbetreiber geprüft, konkrete Anwendungen sind bislang kaum vorhanden.
Steuertechnologie aus den Nachkriegsjahren
Moderne Schalt- und Steuerboxen wurden bisher nur von wenigen Unternehmen in größerem Umfang eingeführt. Lediglich fünf Prozent berichten, dass der Einsatz komplett abgeschlossen ist. 19 Prozent erklären, es gebe entsprechende Vorrichtungen in einigen Bereichen. 23 Prozent befinden sich in einer sehr frühen Phase. Nicht zuletzt erklären 44 Prozent, dass sie zur Steuerung nur vereinzelt über alte Anlagen mit Rundsteuerempfängern verfügen. Deren noch immer weite Verbreitung passt ins Gesamtbild der Studie.
Schätzungen zufolge basiert etwa 50 Prozent der deutschen Verteilnetztechnik auf Anlagen und Komponenten, die in den Nachkriegsjahren installiert wurden. Künftig wird jedoch ein „near-time-fähiges“ Energiesystem benötigt, das hohe Daten- und Signalmengen in Echtzeit verarbeiten kann, um die hohen Volatilitäten in Ein- und Ausspeisung zu bewältigen. Nicht zuletzt wird die Koordinierung der Prozesse und der Datenaustausch zwischen den Verteilnetzbetreibern und der übergeordneten Hochspannungsebene immer wichtiger. Gelingt dieser Austausch nicht, reichen die Risiken von stark schwankenden Strompreisen bis hin zu vielen Netzengpässen oder sogar Blackout-Situationen.
Engpass Smart Meter
Bei den Smart Metern, die zur Generierung der benötigten Daten gebraucht werden, ist der Engpass bekannt: Lediglich zwei Prozent aller deutschen Haushalte sind laut Bundesnetzagentur mit den digitalen Zählern in Kombination mit einem Kommunikationsmodul ausgestattet. Bis Ende dieses Jahres sollen es laut dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende 20 Prozent der darin definierten Pflichteinbaufälle sein – u. a. Haushalte ab einem Verbrauch von jährlich 6.000 kWh bzw. mit PV-Anlagen ab einer bestimmten Leistung. Im Jahr 2032 soll jede Messstelle zumindest über einen digitalen Zähler verfügen. Laut der vorliegenden Studie hat ein Drittel der Netzbetreiber bislang zehn bis über 25 Prozent seiner Pflichteinbaufälle ausgestattet. Bei 58 Prozent sind es unter zehn Prozent oder der Rollout wurde noch gar nicht begonnen. Daraus folgt: Ohne flächendeckende digitale Messstelleninfrastruktur befinden sich die Verteilnetzbetreiber in der neuen Energiewelt im Blindflug.
Erhebliche Finanzierungslücken gefährden die Transformation
- „Auch wenn viele Netzgesellschaften auf der Planungsebene bereits in der Zukunft auf Basis Ihrer Netzszenarien angekommen sind, fehlt es in Umsetzung dieser Planungen an den entsprechenden Finanzierungen sowie qualifizierten Mitarbeitern.” - Maik Neubauer
Hinsichtlich Finanzierung kann knapp die Hälfte der befragten Unternehmen den notwendigen Investitionsbedarf für die komplette Transformation des eigenen Stromnetzes benennen. Dieser liegt im Durchschnitt bei etwas über 100 Millionen Euro. Multipliziert mit einer Anzahl von deutschlandweit rund 500 größeren Verteilnetzbetreibern (von 862 insgesamt), ergibt sich hochgerechnet ein Investitionsbedarf von 50 Milliarden Euro.
Nur etwa ein Drittel davon kann laut der Studie aus eigenen Mitteln finanziert werden. Rund zwei Drittel der befragten Netzbetreiber planen eine klassische Fremdfinanzierung über Banken, die Hälfte will auf Kooperationen mit anderen EVUs setzen. 38 Prozent setzen zudem auf staatliche Fördermittel. Die Netzbetreiber tun sich sichtlich schwer, die gesetzlichen Anforderungen, aber auch den Finanzierungsbedarf langfristig umzusetzen. Deshalb wäre eine effiziente Nutzung der Stärken in Stadtwerke-Kooperationen dringend zu empfehlen.
Als größte Herausforderung der Netztransformation sehen die befragten Unternehmen regulatorische Anforderungen, insbesondere bemängeln sie unklare und sich häufig ändernde Rahmenbedingungen. Ein weiteres zentrales Problem für rund drei Viertel der Verteilnetzbetreiber ist der Mangel an Fachkräften. Nur ein Drittel der Unternehmen fühlt sich im Hinblick auf seine Personalressourcen gut gerüstet – insbesondere kleine kommunale Unternehmen tun sich schwer, die benötigten Experten zu finden.
Netzentgelte werden steigen
Trotz der in der Studie deutlich gewordenen Hindernisse hält die Hälfte der befragten Unternehmensvertreter die Stromnetztransformation unter den aktuellen Rahmenbedingungen für machbar. Jeder Zweite geht dabei von einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren aus. Insbesondere mittelgroße Unternehmen äußern jedoch Zweifel an der Realisierbarkeit – eine Einschätzung, die die AXXCON-Experten teilen. Denn ändert sich das bislang vorgelegte Tempo nicht dramatisch, sind zehn Jahre bis zur vollständigen Netztransformation unrealistisch.
Von den Unternehmen wird zudem ein erheblicher Kostenanstieg bei den Strompreisen erwartet. So geht jeder Fünfte der befragten Experten davon aus, dass sich die Netzentgelte bis 2030 um mindestens 40 Prozent erhöhen werden. Ein Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 3.500 kWh würde dadurch etwa 150 Euro mehr zahlen. Bei einem Unternehmen fallen schnell fünfstellige Beträge an. Dies kann die Diskussion um die hohen Strompreise in Deutschland zusätzlich anheizen.
Die Studie kann unter info@axxcon.com angefordert werden.