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< Alterung, Braunkohleausstieg und Klimapaket
27.02.2020 09:11 Alter: 4 yrs
Kategorie: Transformation

Raus mit der Kohle – Was steckt im Kohleausstiegsgesetz?

Wir erinnern uns: Die Kohlekommission hatte vor rund einem Jahr in ihrem Bericht empfohlen, die Kohlekraftwerkskapazitäten zwischen 2022 und 2030 möglichst linear zu verringern. Aus der Linie sind nun ziemliche Stufen geworden: Der Gesetzentwurf sieht nämlich vor, zwischen 2022 und 2025 gar keine Braunkohlekraftwerke stillzulegen. Während im Kalenderjahr 2022 die Braunund Steinkohle auf jeweils 15 GW reduziert wird, sollen bis 2030 nur noch 8 GW Steinkohle und 9 GW Braunkohle Nettonennleistung möglich sein. Spätestens 2038 ist dann ganz Schluss mit der Kohleverstromung. Die fehlende Reduktion der Braunkohle sollen nun die Steinkohlekraftwerke ausgleichen, im Schnitt also früher vom Netz gehen als ursprünglich gedacht.


Prof. Dr. Ines Zenke, Partner und Rechtsanwältin, BBH Becker Büttner Held PartGmbB und Dr. Christian Dessau, Partner Counsel und Rechtsanwalt, BBH Becker Büttner Held PartGmbB, Fotos: Nanna Heitmann

Ein Jahr nachdem die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung aka Kohlekommission ihren Abschlussbericht vorgelegt hatte, beschloss die Bundesregierung nun am 29.01.2020 das Kohleausstiegsgesetz. Eine 1:1-Umsetzung der Kommissions-Empfehlung steckt in dem Gesetzentwurf allerdings nicht. Regelungen zum weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien sucht man ebenfalls vergebens.

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Ines Zenke und Dr. Christian Dessau.

Braunkohle vs. Steinkohle

Apropos Braunkohle: Für die Stilllegung von Braunkohlekraftwerken haben sich die Betreiber mit der Bundesregierung auf Entschädigungszahlungen geeinigt. Allerdings könnte hier noch das Beihilferegime der EU ein Wörtchen mitzureden haben. Je nachdem wie sich die Preise im Europäischen Emissionshandel in den nächsten Jahren entwickeln, könnten Kohlekraftwerke schon früher marktwirtschaftlich unrentabel werden. Die Entschädigungszahlungen an die Betreiber hätten dann den Charakter einer Leistung ohne wirkliche Gegenleistung. Anders als die Braunkohle erfolgt die Stilllegung von Steinkohlekraftwerken über Ausschreibungen um Stilllegungsprämien, die für das Jahr 2020 noch 165.000 Euro/ MW Nettonennleistung betragen und bis 2026 auf 49.000 Euro absinken. Sollten die Ausschreibungen zwischen den Jahren 2024 und 2026 unterzeichnet sein, kann die Bundesregierung von einer Entschädigung absehen. Ab 2027 entfallen die Prämien grundsätzlich. Die Kohlekommission hatte hier noch empfohlen, auch im Falle einer ordnungsrechtlichen Abschaltung eine Entschädigung zu zahlen.

Ein Puzzlespiel?

Man sollte also meinen, dass jetzt Steinkohlekraftwerksbetreiber gerade mit dem Rechenschieber sitzen und ausknobeln, wann für sie der wirtschaftlich passendste Zeitpunkt für ihren ganz persönlichen Coal-Exit (C-Exit?) ist. Schieben sie den Ausstieg auf die lange Bank, könnten sie am Ende leer ausgehen. Gehen sie zu früh raus, könnten ihnen Gewinne aus der Stromerzeugung entgehen. Aber tatsächlich können sich die Kraftwerksbetreiber gar nicht automatisch frei entscheiden: Sind sie im Süden der Republik, müssen sie die erste und lukrativste Ausschreibungsrunde eh aussetzen. Sitzt ihr Kraftwerk an einem netztopologisch neuralgischen Punkt, können die Netzbetreiber einen Erfolg in der Ausschreibung verhindern.

Was wird also passieren? Es werden nicht die klimatechnisch ineffizientesten Kraftwerke mit dem höchsten Ausstoß an CO2/MWh zuerst abgeschaltet, sondern nichtnetzrelevante Steinkohlekraftwerke – mehr oder weniger unabhängig vom CO2-Ausstoß.

Klimapolitisch besser als reine Stromerzeugungsanlagen sind Kraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Aber wenn sie auf Kohle beruhen, müssen sie dennoch stillgelegt werden – und zwar schneller als bei der Errichtung vermutet. Das gilt auch für vergleichsweise junge Anlagen mit hohem Wirkungsgrad. An diesen Kraftwerken hängen aber wiederum Wärmenetze, teilweise für industrielle Anwendungen teilweise aber auch einfach Fernwärme für Haushalte. Für diese Netze müsste dann – wenn es passt – auf Gas-KWK umgerüstet werden – eine Technologie, die für die Unterstützung der Erneuerbaren sinnvoll eingesetzt werden kann. Die Branche hat aber schon kommuniziert, dass die vorgesehenen Anreize dafür nicht ausreichen.

Es bleiben offene Fragen

Immerhin: Um einen europaweiten klimapolitischen Effekt des Kohleausstiegs zu spüren, werden die Emissionszertifikate parallel zur Stilllegung eines Kraftwerks im Europäischen Emissionshandelssystem in eine Reserve überführt bzw. gelöscht. Das soll den sog. Wasserbett- Effekt vermeiden und fand sich in frühen Entwürfen noch nicht im Text.

Vergeblich sucht man im Kohleausstiegsgesetz nach der weiteren Rolle der Erneuerbaren Energien. Das Klimaschutzprogramm 2030 hat das Streichen des PV-Deckels von 52 GW klar verankert. Im Gesetzesentwurf findet sich nichts. Auch die Umsetzung der im Klimaschutzprogramm beschlossenen finanziellen Beteiligung der Kommunen an Windenergieanlagen zur Erhöhung der Akzeptanz fehlt genauso wie weitere (erhofft) akzeptanzsteigernde Vorgaben wie der Mindestabstand.

Die Verbraucher und insbesondere die energieintensive Industrie wiederum fragen sich, ob ihre Stromkosten durch den Kohleausstieg steigen werden. Schon die Kohlekommission hat daher deutlich gemacht, dass die steigenden Kosten kompensiert werden sollen: für alle durch eine Senkung der Übertragungsnetzentgelte und für die energieintensive Industrie auch noch darüber hinaus (weil die Netzentgelte bei diesen in den Gesamtkosten nur einen kleineren Anteil ausmachen). Die große Kunst wird es nun werden, die Kosten, die durch den Kohleausstieg bedingt sind, sauber zu identifizieren – denn davon hängt jede künftige Entlastung ab. Soll die Industrie in Deutschland bleiben, kann es bei der jetzigen „Kausalitätsregel“ wohl auch kaum bleiben. Letztendlich: An der Umsetzung des Kohleausstiegs gibt es noch einiges zu feilen. Im April soll alles erledigt sein.
Anfragen an die Autoren unter: Opens external link in new windowbbh@bbh-online.de

Braunkohletagebau Profen, Sachsen-Anhalt, Foto: Rainer Weisflog