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15.02.2021 10:32 Alter: 3 yrs

Monitor Deloitte – Zukunft der Netzwirtschaft

Was halt die Energiewende fur Verteilnetzbetreiber bereit? Wie wird die Zukunft des deutschen Stromverteilungsnetzgeschaftes im Jahr 2050 aussehen? In einem Gastbeitrag fur THEMEN!magazin geben Dr. Thomas Schlaak (Partner) und Christian Grapatin (Director) bei Deloitte Deutschland einen Einblick in die Zukunft des Verteilnetzes.


Dr. Thomas Schlaak, Partner Deloitte Deutschland Christian Grapatin, Director Deloitte Deutschland Fotos: Deloitte

Verteilnetze sind der Knotenpunkt der Energiewende. Verteilnetzbetreiber besetzen daher eine Schlüsselrolle, müssen jedoch angesichts der Vielzahl ungewisser, komplexer Treiber und Trends überprüfen, wie sie diese Rolle in Zukunft ausfüllen.

Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Digitalisierung sind zwei der wesentlichen Treiber der neuen Energielandschaft und verändern diese nachhaltig. Die Grenzen zwischen Konsumenten und Erzeugern verschwimmen, getrieben durch fortschreitende technologische Entwicklungen und neue Regulierungen. Mit dem Verschmelzen der Infrastrukturen müssen auch Verteilnetzbetreiber (VNB) Ihre Rolle im Energiesystem der Zukunft neu bestimmen. Entsprechend gibt es eine Vielzahl von Unsicherheiten, wie sich die Zukunft der Netzwirtschaft für und durch die verschiedenen Marktakteure ändern wird. Szenarien zeigen, wie unterschiedlich die zukünftigen Entwicklungen sein können.

Szenarien – Grundlage für dynamische Strategien

Deloitte stellt die Zukunft der Verteilnetze in verschiedenen Szenarien auf den Prüfstand. Szenarien sind Beschreibungen alternativer Zukünfte, die eine solide Grundlage für die Entwicklung dynamischer Strategien und robuster Handlungsoptionen bieten. Wie wird also die Zukunft der Netzwirtschaft aussehen und welche Implikationen ergeben sich für die verschiedenen Akteure? Um diese Fragen zu beantworten haben wir vier mögliche Szenarien entwickelt.

Szenarien erlauben es uns, komplexe Zusammenhänge zu verdichten und handhabbar zu machen. Wir fassen so über 50 Treiber der Netzwirtschaft, die mithilfe von KIbasierten NLP-Algorithmen und Experteninterviews identifiziert wurden, zu zwei kritischen Unsicherheiten zusammen. Diese bilden die Basis der Szenarioanalyse. Im Folgenden beleuchten wir jedes Szenario ausführlich um zu verstehen, welche Chancen und Risiken sich für die Marktakteure bieten. Die wesentlichen technologischen und regulatorischen Trends bilden die Grundlage der Szenarioentwicklung.

Kritische Unsicherheiten – Trends, die die Zukunft der Netzwirtschaft prägen

Die erste kritische Unsicherheit, die die Zukunft der Netzwirtschaft bestimmen wird, ist der Grad der Dezentralisierung des Energiesystems. Entweder kann das Energiesystem weitgehend dezentralisiert werden mit einer weiten Verbreitung von kleinen, haushaltseigenen Anlagen (z. B. PV-Anlagen, Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, Batterien) und einer unterstützenden Netzumgebung, oder die Dezentralisierung des Energiesystems ist begrenzt mit einer umfassenden Nutzung der zentralen (grünen) Energieerzeugung und einer begrenzten Verbreitung von haushaltseigenen Anlagen.

Die zweite kritische Unsicherheit, die die Zukunft der Netzwirtschaft beeinflussen wird, ist die Art der Regulierung der Netzumgebung. Die Regulierung könnte weiterhin auf traditionelle Weise erfolgen, wobei der Schwerpunkt auf herkömmliche Netzausbauten (z. B. neue Stromleitungen und/ oder physische Verstärkungen anderer bestehender Netzinfrastrukturen) und z. B. der Anwendung volumenabhängiger Netzentgelte liegen könnte. Auf der anderen Seite würde sich eine transformatorische Regulierung z. B. durch kapazitätsbasierte Netzentgelte, lokale Energiemärkte und eine auf digitale Lösungen ausgerichtete Netzausbaupolitik manifestieren. Aus der Kombination dieser beiden kritischen Unsicherheiten ergeben sich somit insgesamt vier plausible, aber sehr unterschiedliche Zukunftsvisionen.

[Deloitte]

Abb.: Wesentliche Trends der kritischen Unsicherheiten

Mögliche Szenarien zur Zukunft der Netzwirtschaft

Um sich bestmöglich auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten, müssen Verteilnetzbetreiber und Energieversorger ihren Blick gleichzeitig auf verschiedene Welten richten. Es reicht nicht aus, sich auf eine singuläre Vision der Energiezukunft zu verlassen, die sich aus dem derzeitigen kollektiven Narrativ von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft formt. Der Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, dass dieses Narrativ sich fortlaufend ändern kann, sei es durch singuläre Quantensprünge (Atomausstieg, Covid-19-Pandemie) oder stetigen, nachhaltigen Wandel (Digitalisierung, Energiewende). Die nachfolgenden Szenarien präsentieren daher konkrete Ansätze zur Strukturierung von Strategien zur Begegnung dieser Herausforderungen.

Szenario 1: Orchestrierung der Massen Im ersten Szenario, "Orchestrierung der Massen", sind, neben der heutigen erneuerbaren Energieerzeugung, in den Haushalten auch kleine Energieanlagen üblich. Als sogenannte „Flexumer“ erzeugen und vermarkten Haushalte erneuerbare Energie und Flexibilität, ermöglicht durch effiziente Mikronetze und lokale Energiemärkte. Die Verteilnetzbetreiber profitieren stark von diesen Entwicklungen, die auf ihre Stärken einzahlen, und werden von den Regulierungsbehörden beauftragt, wichtige Aufgaben bei der Marktorchestrierung und dem Netzausgleich zu übernehmen. Die Regulierungsbehörden fördern diese Entwicklungen durch vorausschauende Vergütungssysteme und eine liberale Wettbewerbsregulierung weiter.

Szenario 2: Dezentrale Rivalitat Das zweite Szenario, "Dezentrale Rivalität", beschreibt eine Welt, in der die dezentrale Erzeugung erneuerbarer Energien aufgrund der niedrigen Kosten dieser Technologien allgegenwärtig ist. Der soziale Druck für saubere Energie und die Nachfrage nach Autarkie ist hoch. Kleine Erzeugungs- und Speichergeräte in den Haushalten sind weit verbreitet. Die Verbraucherpräferenz für Komfort verhindert jedoch deren Einsatz zu Regelungszwecken. Daher muss der Netzausgleich durch andere Mittel gewährleistet werden, wobei man sich meist auf traditionelle Netzaufrüstungen und kommerzielle, vorqualifizierte Flexibilitätsanlagen stützt.

Szenario 3: Grune Giganten Im dritten Szenario, den sogenannten „Grünen Giganten“, ist die NIMBY-Mentalität Mainstream, und die Installation erneuerbarer Anlagen erfolgt weitgehend zentral in großflächigen Anlagen an den Außengrenzen Europas. Ermöglicht wird dies durch Bemühungen der EU, ein integriertes europäisches Übertragungsnetz zu schaffen. Initiativen zur Beteiligung der Privathaushalte an der Energiewende (z.B. PV, Batterie) sind ins Stocken geraten. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) verwalten das intereuropäische Stromnetz auf übergeordneter Ebene, wobei die VNB den Strom an die Endverbraucher verteilen. Für VNB ist der klassische Netzausbau die Methode der Wahl, da im Verteilungsnetz wenig Intelligenz erforderlich ist und ein hohes CAPEX-Vergütungssystem vorherrscht.

Szenario 4: Neue Wege Das vierte Szenario schließlich, "Neue Wege", beschreibt eine Welt, in der die gegenwärtige Energiewende durch inkrementelle technologische Fortschritte bei der großtechnischen grünen Erzeugung unterstützt wird. Fortschritte in der CCS-Technologie ermöglichen es auch der konventionellen Erzeugung, zum Energiemix beizutragen. Um die gesellschaftlichen Kosten der Energiewende zu mindern, setzen die Regulierungsbehörden Gesetze zur Kostensenkung und zur Förderung von Innovationen bei netzstabilisierenden Anlagen um. Aufgrund der zentralisierten Strukturen des Energiesystems bleiben die Übertragungsnetzbetreiber die gesamtverantwortliche Ausgleichsinstanz und können dabei auf erhebliche Ressourcen aus einem intelligenten Übertragungsnetz zurückgreifen. Die Verteilnetzbetreiber spielen beim Energietransit zwischen Netz und Verbraucher eine immer geringere Rolle.

Abb.: Vier mögliche Szenarien zur Zukunft der Netzwirtschaft

Was folgt für den Weg in die Zukunft der Netzwirtschaft?

Es liegt an Verteilnetzbetreibern und Energieversorgern die für Ihre jeweiligen Organisationen relevanten Implikationen und Ziele festzulegen, Lücken zu identifizieren und konkrete Handlungsoptionen zu definieren. Das Management der identifizierten Treiber wird in jedem Szenario unerlässlich. Es gilt für Unternehmen zu bestimmen, welche Entwicklungen aktiv beeinflusst werden können und wo eine Entschärfung der Auswirkungen notwendig ist.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor wird das effektive Stakeholder- Management sein: Wie können Energieunternehmen die Reise ihrer Kunden in den Szenarien gestalten? Welche Möglichkeiten bestehen bei der Gestaltung der Netzregulierung? Was bedarf es, um Investoren zu lenken? Welche Stakeholder müssen generell informiert werden?

Um diese Fragen zu beantworten ist es jetzt notwendig, dass Energieversorger und Verteilnetzbetreiber ihr eigenes Bild der Zukunft konkretisieren. Wir schlagen den strategischen Entscheidern von Verteilnetzbetreibern dafür drei konkrete Schritte vor: Energieversorger und Netzbetreiber gewährleisten so die nachhaltige Positionierung inmitten des konstanten Wandels der Energiewelt. Die Zukunftsszenarien der Netzwirtschaft dienen dabei als Referenz- und Startpunkt für eine robuste, ganzheitliche Antwort auf kommende Herausforderungen.

Weitere Information unter: https://www2.deloitte.com/de/de/pages/energy-and-resources/ topics/power-utilities.html