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< Zukunft für die Lausitz geht nicht ohne Strukturentwicklung
17.08.2021 15:41 Alter: 3 yrs

Mein Credo: Vielfalt, Teamgeist und Vertrauen

Sigrid Nagl ist die erste Frau im Vorstand der envia Mitteldeutsche Energie AG (enviaM) und hat mitten in der Corona Krise die Verantwortung als Personalvorständin und Arbeitsdirektorin übernommen. Wir sprachen mit ihr über die Personalführung in der Corona-Krise und die Perspektiven der Personalpolitik nach der Pandemie.


Sigrid Nagl, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin enviaM Foto: enviaM

Die gebürtige Münchenerin ist seit Mai 2021 Personalvorständin und Arbeitsdirektorin beim führenden regionalen Energiedienstleister in Ostdeutschland mit Sitz in Chemnitz.

Sie ist damit verantwortlich für rund 3.300 Beschäftigte und 280 Auszubildende. Neben dem Personalmanagement ist die gelernte Diplom-Kauffrau auch für das IT- und Immobilienmanagement sowie Arbeitssicherheit und Umweltschutz zuständig.

Frau Nagl, wie fühlt es sich an, als Neuling in der Vorstandsetage das Personal eines Unternehmens unter den Vorzeichen der Pandemie zu führen?

Ich habe mich zu Beginn wie in einem falschen Film gefühlt. Ich bin im Ausnahmezustand bei enviaM angekommen. Im November letzten Jahres war bundesweit der zweite Lockdown verkündet worden. Im Dezember war offiziell mein erster Arbeitstag in Chemnitz. Seitdem habe ich mich kaum im Büro aufgehalten. Stattdessen bin ich unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und Regelungen des Krisenstabs der enviaM vier Monate lang konstant im Homeoffice geblieben. Damit erging es mir so wie dem Großteil unserer Belegschaft, die inzwischen seit fast eineinhalb Jahren von zu Hause aus arbeitet

Eine absolut atypische Situation, oder?

In der Tat. Als Personalerin liebe ich es, unter Leuten zu sein und mich mit den Kollegen persönlich auszutauschen. Ich habe mich sehr auf die Begegnungen mit vielen neuen Menschen in einem neuen Unternehmen und einer neuen Region gefreut. All dies musste zunächst notgedrungen unterbleiben

Wie haben Sie im Lockdown dennoch Kontakte geknüpft und gehalten?

Ich bin kreativ geworden und habe mich neben den üblichen Telefon-, Videokonferenzen und Live-Streams auch zu virtuellen Flurgesprächen, Mittagessen oder Kaffeetrinken verabredet, um die Kollegen unter vier Augen kennenzulernen. Geholfen hat mir auch mein Blog, den ich im Intranet eingerichtet habe. Hier schildere ich meine Eindrücke und Erlebnisse und stehe allen Mitarbeitern für Anregungen und Fragen zur Verfügung. Anfang Juli haben wir unser „Öffnungskonzept“ umgesetzt, das der aktuellen Corona-Lage Rechnung trägt. Ich freue mich schon sehr auf die ersten Begegnungen vor Ort.

Wie hat die Corona-Krise das Zusammenarbeiten im Unternehmen verändert?

Die Corona-Krise hat völlig neue Freiräume in der Zusammenarbeit geschaffen, die wir uns auch nach der Pandemie erhalten werden. Die wichtigste Erkenntnis lautet: Gute Arbeitsergebnisse sind nicht von einem gemeinsamen Arbeitsort abhängig. Dank der Digitalisierung ist es egal geworden, ob ich mich im Büro oder Zuhause aufhalte. Entscheidend ist eine gute Arbeitsorganisation, Vertrauen, Teamgeist und klare Ziele.

Das von Ihnen verantwortete Projekt Arbeit 4.0. bei enviaM verfolgt genau diesen Grundgedanken. Was haben Sie vor?

Wir werden unsere flexiblen Arbeitsmodelle künftig weiter ausweiten und eine gesunde Mischung aus Arbeiten von Zuhause und Arbeiten im Büro anbieten. Wir wollen so die Work-Life-Balance unserer Beschäftigten nachhaltig verbessern. Dies wird von der Belegschaft sehr begrüßt, wie Umfragen ergeben haben. Statt persönlichen soll es in den Büros künftig variable Arbeitsplätze geben. Die Mitarbeiter entscheiden nach ihren täglichen Bedürfnissen, ob sie zu Hause, am Arbeitsplatz oder in Teamräumen arbeiten wollen. Im Team werden die Regeln festgelegt, wie man miteinander arbeiten will. Neben individuellen Belangen sind dabei natürlich die Interessen des Unternehmens und unserer Kunden zu berücksichtigen. Auch wir als Vorstand werden unsere Arbeitsweise entsprechend ändern. Wir verlassen unsere Vorstandsetage, verzichten auf persönliche Büros und gehen stattdessen auf Teamflächen mit Rückzugsmöglichkeiten.

Eine flexible Arbeitsorganisation verlangt einen entsprechenden arbeitsrechtlichen Ordnungsrahmen. Ist dieser vorhanden?

Sie sprechen einen sehr wichtigen Punkt an. Wollen wir flexibler arbeiten, müssen wir raus aus der starren Regelungslandschaft. Hier sind neben dem Gesetzgeber auch die Sozialpartner gefordert. Wir befinden uns bereits in Gesprächen mit unseren Betriebsräten, wie wir die Dinge konkret umsetzen können.

Flexibler zu arbeiten, ist für Arbeitnehmer keine vollkommen neue Erfahrung. Dies gilt gerade in der Energiewirtschaft, in der die Veränderung nicht erst seit der Energiewende zur Konstante geworden ist ...

Richtig. Dass sich die äußeren Rahmenbedingungen, Berufsbilder, Qualifikationen und Arbeitsabläufe schneller denn je ändern, ist den Mitarbeitern gerade in der Energiebranche sehr wohl bewusst. Die Corona-Krise und die damit einhergehende Digitalisierung beschleunigen diesen Trend. Die Pandemie wirkt hier im positiven Sinne wie ein Katalysator.

Es ist daher sicherlich kein Zufall, dass Sie die Digitalisierung der Ausbildung zur Chefsache gemacht haben?

Ein professionelles Personal ist der entscheidende Erfolgsfaktor für alles was wir tun. Umso wichtiger ist eine gezielte strategische Personal- und Nachfolgeplanung. Die jungen Menschen von heute sind die erste Generation der sogenannten Digital Natives. Sie sind mit der Digitalisierung groß geworden und wollen diese gestalten. Der Berufsnachwuchs ist damit wie geschaffen, die Energiewende weiter voranzutreiben. Denn Digitalkompetenz ist hier besonders gefragt und diese wollen wir gezielt fördern.

Foto: enviaM

enviaM, Unternehmenszentrale Chemnitz

Wie sieht das in der Praxis aus?

Wir streben eine durchgängige Digitalisierung unserer Ausbildung an und das schnellstmöglich. Dazu stellen wir Lernformen und -inhalte Schritt für Schritt auf eine digitale Lernumgebung um und vernetzen Ausbilder und Auszubildende über neue Kommunikationswege miteinander. Ein Beispiel ist unser Online-Campus. Er ist Wissensspeicher und Lernplattform für alle Lehrberufe und Studiengänge. Oder unsere digitalen Klassenzimmer. Hier erfolgt die Ausbildung multimedial mit Videos, Podcasts und Lernspielen. Wo immer es geht, machen wir Ausbildung auch virtuell möglich. Dies gilt vor allem für technisch-gewerbliche Berufe. Hier werden Schweißen, Kabelmontagen und Schalthandlungen inzwischen wie selbstverständlich auch virtuell geübt.

Sie haben im April 2021 eine Kooperation für Aus- und Weiterbildung in der Lausitz mit der LEAG und E.DiS ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Es wird für die Energiewirtschaft in Zeiten des Strukturwandels – Stichwort Kernenergie- und Kohleausstieg – und des demografischen Wandels immer wichtiger, in der Personalentwicklung unternehmensübergreifend zusammenzuarbeiten. Mit dem Aus- und Weiterbildungsbündnis in der Lausitz wollen wir gemeinsam den notwendigen Fachkräftebedarf für den anstehenden Strukturwandel sichern und so einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des Industrie- und Energiestandortes nach dem vereinbarten Kohleausstieg leisten.

Neben der beruflichen Erstausbildung junger Menschen werden wir auch bei der Qualifikation, Weiterbildung und Umschulung von Beschäftigten und der Personalplanung gemeinsame Sache machen. Unser Bündnis ist offen für weitere Partner. Unternehmen, die sich uns anschließen möchten, sind jederzeit herzlich willkommen. Und auch Auszubildende können sich bei enviaM für die extra für diese Kooperation von uns neu geschaffenen Ausbildungsstellen noch bewerben.

Immer mehr Unternehmen in der Energiewirtschaft klagen angesichts geburtenschwacher Jahrgänge darüber, ausreichend qualifizierte Auszubildende zu finden. Wie sieht es bei enviaM aus?

Auch wir spüren wie alle anderen Unternehmen selbstverständlich diese Entwicklung. Besonders schwierig ist die Situation für uns aktuell in bevölkerungsschwachen Regionen wie zum Beispiel in Brandenburg. Hier haben wir Mühe, alle Ausbildungsplätze zu besetzen. Dies gefährdet unser Ziel, weiterhin bewusst über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden, um unsere Auszubildenden nachfolgend an Betriebe abzugeben, die sich eine eigene Ausbildung nicht leisten können. Die Corona-Krise hat sich hier zusätzlich nachteilig ausgewirkt, da uns der direkte Kontakt in die Schulen, der für uns ein wichtiger Recruiting-Weg ist, lange Zeit verwehrt war. Stattdessen haben wir als Angebot eine eigene virtuelle Ausbildungsmesse durchgeführt.

Foto: Jeibmann Photographik

enviaM hat die Digitalisierung der Ausbildung zur Chefsache gemacht. In gewerblichtechnischen Berufen sind virtuelle Schweiß-Übungen, Kabelmontagen und Schalthandlungen inzwischen an der Tagesordnung.

Seit kurzem ist gesetzlich geregelt, dass in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten in Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau vertreten sein muss. Wie stehen Sie zur Frauenquote?

Offen gestanden – ich bin kein Quotenmensch. Mein Weg hat mich beruflich auch ohne Quote dorthin geführt, wo ich hinwollte. Gleichwohl kann die Quote Türen öffnen. So oder so müssen Frauen beweisen, dass sie es draufhaben – genau wie ihre männlichen Kollegen. Viel wichtiger erscheint mir aber, dass wir – Stichwort Diversität – die Vielfalt unserer Gesellschaft auch in den Führungsetagen abbilden müssen. Neben dem Geschlecht spielen hier auch Alter und Herkunft und viele weitere Kriterien eine Rolle. Es würde mich freuen, wenn die Frauenquote diesen Trend beschleunigen könnte. Ich jedenfalls stehe für Vielfalt, Teamgeist und Vertrauen.