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< Klimapolitik neu denken, Deindustrialisierung vermeiden
03.05.2024 12:14 Alter: 85 days

Mehrwert im Netzwerk – Stadtwerke zukunftsfähig ausrichten

„Der Energiemarkt hat sich verändert. Wir wollen aber nicht nur auf die Veränderung reagieren, sondern den Wandel aktiv mitgestalten.“


Foto: Dirk Moll Sven Becker, Sprecher Geschäftsführung, Trianel GmbH

Seit 25 Jahren versteht sich Trianel als eine starke Gemeinschaft von Stadtwerken für Stadtwerke und begleitet diese seit 1999 auf ihrem Weg der Transformation mit dem Ziel, ihre Unabhängigkeit und Wettbewerbsfähigkeit im Energiemarkt zu stärken. Sven Becker, Sprecher der Geschäftsführung der Trianel GmbH, spricht in THEMEN!magazin über aktuelle Herausforderungen des Netzwerkes.

Herr Becker, 25 Jahre Unternehmensgeschichte: Wie hat alles begonnen?

Die Geschichte von Trianel begann 1999 in Aachen mit einem siebenköpfigen Team. Im Laufe der Jahre hat sich das Unternehmen kontinuierlich weiterentwickelt. Die Veränderungen in der Energiewirtschaft haben wir von Beginn an als Chance verstanden. Wir bauen so wertvolles Know-How auf, das wir – und das ist wichtiger Teil unserer DNA – mit unseren Stadtwerkepartnern teilen. So ist eine starke Mannschaft gewachsen: inzwischen können wir auf das Know-How von 400 Kolleginnen und Kollegen zurückgreifen. Damit halten wir zusätzliches Spezial-Wissen in den Themen Erzeugung und Energiehandel für die Stadtwerke vor und bauen es gezielt weiter aus. Aber nicht nur das Trianel-Team ist gewachsen. Im Verlauf der Zeit durften wir auch in den Reihen unserer Gesellschafter neue Gesichter begrüßen. Aus den vier kommunalen Gründungsgesellschaften aus Aachen, Herzogenrath, Viersen und Maastricht ist im Verlauf der letzten 25 Jahre eine Gemeinschaft von über 50 Gesellschaftern entstanden.

Sicher gab es in 25 Jahren auch einige Herausforderungen?

Natürlich läuft in einem viertel Jahrhundert Unternehmensgeschichte auch nicht alles perfekt. Die herausforderndste Zeit hatten wir Mitte der 2010er Jahre. Nach einer Phase extrem starken Wachstums von 2005 bis 2015 haben wir uns bis 2020 erfolgreich restrukturiert. Durch Fokussierung auf die Zukunftsthemen erneuerbare Energien, Energiehandel und -logistik sind wir bestens aufgestellt und zeigen sehr zufriedenstellende Ergebnisse. Ich habe letzte Woche durch Zufall die Zahlen aus dem ersten Geschäftsjahr gesehen. 1999 haben wir das Jahr mit einem Umsatz von etwa 4,3 Mio. Euro beendet. In unserem Geschäftsbericht für das Jahr 2022 steht ein Umsatz von etwas über 14 Mrd. Euro. Hinter diesen nackten Zahlen steht eine intensive Reise mit vielen Meilensteinen. Dazu gehören zum Beispiel Investitionen von rund 5 Mrd. Euro im Bereich der Erzeugung und die Pionierarbeit im Bereich der Direktvermarktung. Bei der Integration erneuerbarer Energien haben wir als kommunales Unternehmen hierbei eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Milliardeninvestition in unseren Offshore-Windpark Trianel Windpark Borkum hat gezeigt, wozu kommunale Unternehmen und eine starke, motivierte Mannschaft gemeinsam fähig sind.

Trianel wird oft als „Kind der Liberalisierung“ beschrieben. Wie zeichnet sich das in der Geschäftsentwicklung ab?

Tatsächlich ist der Energiemarkt heute ein anderer als er es noch vor 25 Jahren war. Unser Selbstverständnis und unsere Ziele sind aber noch immer dieselben. Damals wie heute wollen wir Stadtwerke bei ihrer Transformation begleiten und damit in ihrer Unabhängigkeit und Wettbewerbsfähigkeit stärken. Wenn das Ziel gleich bleibt, sich das Umfeld aber dynamisch verändert, müssen wir mit der Zeit auch unsere Methoden zur Zielerreichung anpassen. Die Gründungen von verschiedenen Projektgesellschaften im Laufe der Jahre spiegeln diese Veränderung sehr deutlich wider. Im September 2005, zu dem Zeitpunkt war ich selbst gerade einmal neun Monate Trianel-Geschäftsführer, haben wir den Spatenstich zum ersten kommunalen Gemeinschaftskraftwerk in Hamm-Uentrop gesetzt. Zusammen mit 27 Partnern der kommunalen Energieversorgung haben wir Stadtwerken den Einstieg in die Eigenerzeugung ermöglicht und so langfristig zur Stärkung ihrer Wettbewerbsposition beigetragen. Heute steht an diesem Ort eines der effizientesten Gas- und Dampfturbinenkraftwerke Europas und kann bis zu 1,8 Mio. Haushalte mit Strom versorgen. Auf dem Kraftwerksgelände wollen wir 2026 das Wasserstoffzentrum Hamm in Betrieb nehmen. Der geplante Elektrolyseur wird im Jahr etwa 1.500 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und so das Geschäftsfeld Wasserstoff für Stadtwerke zugänglich machen. Ich denke, das Wasserstoffzentrum ist ein gutes Beispiel für unser Selbstverständnis. Der Energiemarkt hat sich in diesem Bereich verändert. Wir wollen aber nicht nur auf die Veränderung reagieren, sondern den Wandel aktiv mitgestalten. Auch diesen Schritt gehen wir wieder gemeinsam mit unseren kommunalen Projektpartnern.

Welche Erwartungen haben Sie an die Energiepolitik der Bundesregierung?

Wichtig ist, dass wir bei der Energiewende vom Reden zum Umsetzen kommen. Die Baustellen sind bekannt und diskutiert. Wenn ich einen Wunsch hätte, würde ich mir daher entschlosseneres und schnelleres Vorankommen der Politik beim Strommarktdesign, beim Bürokratieabbau und bei der Schaffung investitionsfreundlicher Rahmenbedingungen wünschen. Mit Blick auf ein neues Marktdesign muss das Thema Flexibilitätsaufbau eine zentrale Rolle spielen - beispielsweise durch den Ausbau von Batteriespeichern, der Integration von Erneuerbaren und der Absicherung unserer Versorgungssicherheit durch Backup-Kapazitäten. Letzteres natürlich in Form von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Auch über die Schaffung von Kapazitätsmärkten muss in diesem Rahmen nachgedacht und diskutiert werden. 2023 war ein Jahr der Klima-Rekorde. Wenn wir unsere ambitionierten Ausbauziele wirklich erreichen wollen, müssen wir die Zeit, die es aktuell braucht, um Solar- und Windparks zu realisieren, deutlich verkürzen. Der Flaschenhals beim Ausbau liegt im bürokratischen Aufwand und langen Genehmigungsverfahren. Hier müssen wir dringend ansetzen und Bürokratie konsequent abbauen, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. Die Transformation unseres Energiesystems erfordert gewaltige Investitionen. BDEW und VKU gehen von 600 Mrd. Euro an Investitionen in die Energieversorgung aus. Investitionen brauchen wiederum ein stabiles Umfeld und das Vertrauen der Industrie in die Politik. Mein Wunsch sind belastbare und investitionsfreundliche Rahmenbedingungen, damit wir den Transformationsprozess weiter beschleunigen können. Es ist Zeit, Tempo zu machen.

Foto: TRIANEL

Im Jahr 2008 feierte Trianel gemeinsam mit 27 Partnern die Inbetriebnahme des ersten kommunalen Gaskraftwerks in Hamm. Auf dem Kraftwerksgelände soll bis 2026 das Wasserstoffzentrum Hamm in Betrieb genommen werden. Hier wird ein Elektrolyseur mit einer Leistung von 20 MW jährlich bis zu 1.500 Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen.

Was muss geschehen, um den Transformationsprozess weiter voranzutreiben?

Konkret sehe ich vor allem dringenden Handlungsbedarf in Sachen Flexibilität. Sie wird im Energiesystem der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen und für Stabilität zwischen Erzeugung und Verbrauch sorgen. Um hier weitere Investitionsreize zu setzen und mehr Flexibilitätstechnologien in den Markt zu bringen, braucht Flexibilität einen Preis und einen Rahmen, der Investitionen ermöglicht. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen Markt und staatlicher Absicherung.

Welche Rahmenbedingungen haben Sie im Blick?

Als erstes denke ich vor allem an die weiter ausstehende Kraftwerksstrategie und das neue Strommarktdesign. Beides war ursprünglich bereits für 2023 angekündigt. Die im Februar veröffentlichten Eckpunkte zur Kraftwerkstrategie haben fast mehr Fragen hinterlassen als beantwortet. Von den ehemals 21 GW an wasserstofffähigen Kraftwerken, die bis 2030 an den Markt gebracht werden sollten, werden nun gerade mal 10 GW ausgeschrieben. Die zugehörigen Ausschreibungsmodalitäten sind noch weitgehend unbekannt und wann der Abstimmungsprozess mit der EU-Kommission zur beihilferechtlichen Genehmigung abgeschlossen wird, ist ebenfalls unklar. Schon letztes Jahr kamen aus der Branche deutliche Signale, dass man bereit sei, Investitionen in die benötigten H2 -ready-Kraftwerke zu tätigen, sollten die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen passen – so auch von uns. Ohne zeitnahe Klärung der offenen Fragen werden sich die Marktteilnehmer weiterhin mit Investitionen zurückhalten.

Grafik: TRIANEL

Auf einem eigenen TradingFloor werden von Trianel über 100 Erzeugungs- und Handelsportfolios gesteuert. Im Geschäftsjahr 2022 verzeichnete das Energiehandelshaus ein Handelsvolumen von 115 TWh im Bereich Strom und 76 TWh im Bereich Gas. In Summe verzeichnen die TrianelProjekte eine konventionelle Erzeugungsleistung von 1.646 MW. Die kombinierte erneuerbare Erzeugungsleistung liegt bei über 782 MW und wächst stetig weiter.

Braucht es einen verbesserten Wettbewerbsrahmen?

Wir können uns weitere Verzögerungen nicht mehr leisten – uns läuft die Zeit davon. Es besteht zwar Verständnis für die politischen Herausforderungen der vergangenen Krisenjahre, trotzdem kann der aktuelle energiepolitische Leerlauf das Investitionsklima langfristig schädigen. Dieses Risiko scheint der Politik aktuell auch immer weiter bewusst zu werden. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die verzögerten Maßnahmen zu einer Art „Torschlusspanik“ führen. Als Konsequenz wird versucht, die Last der Klima- und Ausbauziele auf wenige vermeintlich starke Schultern zu verteilen, anstatt einen Wettbewerbsrahmen zu schaffen, der die Vielfalt der Akteure berücksichtigt und gleichzeitig die Zielerreichung sicherstellt. Insofern beobachte ich die Oligopolisierung durch LargeScale-Ausschreibungen in den Bereichen OffshoreWind und bei den Backup-Kapazitäten durchaus mit großer Sorge. Deutschland hat einen der größten Wettbewerbsvorteile für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende: eine dezentral agierende Stadtwerkelandschaft, die vor Ort die Energiewende umsetzen kann. Diesen Vorteil müssen wir nutzen!

 

Herr Becker, wir danken für das Gespräch. www.trianel.com