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27.02.2020 09:27 Alter: 4 yrs
Kategorie: Digitalisierung
Von: Dr. Thomas Schlaak

Klimawende bis 2050? Mögliche Wege zur Erreichung der Pariser Klimaziele in der EU

Unter welchen Voraussetzungen diese Ziele erreicht werden können, hat eine Studie von Deloitte untersucht: Sie beschreibt auf Basis eines integrierten Energie- und Emissionsmodells vier mögliche Zukunftsszenarien, die sich je nach Grad der Anwendung von innovativen Technologien und des politischen Engagements der Länderregierungen unterscheiden.


Dr. Thomas Schlaak, Partner, EMEA Sector Leader Power & Utilities, Deloitte, Foto: Deloitte

Die EU hat sich ambitionierte Energie- und Klimaschutzziele gesetzt, um bis 2050 dem weltweiten Anstieg der Durchschnittstemperatur und den damit verbundenen negativen Effekten auf die Umwelt entgegenzuwirken.

In einem Gastbeitrag reflektiert Dr. Thomas Schlaak diese Zukunftsszenarien.

Energiewende als Schlüsselfaktor des Klimaschutzes

Der Schutz des Weltklimas und die Lösung des globalen Energieproblems gelten als zentrale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Diese Themen stehen heute ganz selbstverständlich auf der politischen Agenda in Europa und auch die Bevölkerung wird aktiver. Ursache der globalen Erwärmung ist die starke Anreicherung der Erdatmosphäre mit Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid, die vor allem durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas entstehen. Zur Eindämmung dieser Entwicklung ist es entscheidend, den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu reduzieren. Dabei spielt die Dekarbonisierung des Energiesektors eine wesentliche Rolle. Gleichzeitig muss der Anteil erneuerbarer Energien erhöht und die Energieeffizienz gesteigert werden. Darüber hinaus werden auch neue Konzepte zur Wärmeerzeugung, Mobilität und Gebäudesanierung erforderlich sein, um den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid deutlich zu reduzieren.

Pariser Abkommen: Ehrgeizige Klimaschutzziele der EU

Infolge des Weltklimaabkommens von Paris hat sich die EU äußerst ehrgeizige Energie- und Klimaziele gesetzt. Demnach sollen die Treibhausgasemissionen bis zum Jahre 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. Außerdem soll bis 2030 der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch auf 30 Prozent zunehmen und die Energieeffizienz soll um 32,5 Prozent steigen. Der „Green Deal“ der neuen EU-Kommission wird diese Ziele weiter verschärfen.

Um diese Klimaziele zu erreichen, müssen Energieverbrauch und -erzeugung neu gedacht werden. Dabei geben politische und wirtschaftliche Interessen den Rahmen für die Umsetzung der Energiewende vor. In den letzten Jahren sind bereits einige Weichen in diese Richtung gestellt worden. So hat sich Deutschland etwa für den Ausstieg aus der Kernenergie und der Energiegewinnung durch Kohle entschieden. Aktuell beträgt der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch in der EU 17 Prozent, in Deutschland 14 Prozent. Allerdings wird ein „immer weiter so“ nicht reichen. Die zentrale Frage lautet also: Wie muss eine EU aussehen, die ihre ambitioniert gesetzten Ziele bis 2050 aller Voraussicht nach erreichen kann?

Vier Zukunftsszenarien von Deloitte

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat Deloitte ein integriertes Energie- und Emissionsmodell entwickelt, das bis 2030 und 2050 sowohl den Energiebedarf pro Energieträger und Endverbrauchssektor als auch die entstehenden Treibhausgase innerhalb der EU28 simuliert. Natürlich sind die Einflussfaktoren auf diese Parameter äußerst vielfältig. Deswegen fokussiert das Modell auf zwei zentrale Dimensionen: Einerseits auf den technologischen Fortschritt und den Nutzungsgrad innovativer Technologien sowie andererseits auf die Konsequenz im politischen Handeln der EU-Mitgliedsstaaten. Daraus ergeben sich vier unterschiedliche Zukunftsszenarien, in denen die Klimaziele je nach dem Anwendungsgrad innovativer Technologien und der Kraft des politischen Engagements auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlichen Erfolgschancen verfolgt werden.

Szenario 1: „Neues grünes Europa“

In diesem Szenario treffen äußerst wirkungsvolle politische Bemühungen und ein hoher Anwendungsgrad innovativer Technologien aufeinander. Effizienzsteigerungen und Preissenkungen emissionsfreundlicher Technologien werden durch einen passenden politischen Rahmen begleitet. Kurz-, mittel- und langfristige politische Maßnahmenpläne berücksichtigen dabei die wichtigsten Hebel des Energiebedarfs und des CO2-Ausstoßes: den Ausstieg aus der Erzeugung mittels fossiler Brennstoffe, effiziente Gebäudesanierungen, umweltfreundliche Wärmeerzeugung, Verkehrsbeschränkungen und neue Mobilitätskonzepte für Stadt und Land sowie eine relevante Preisuntergrenze für CO2.

Darüber hinaus sinken nicht nur die Kosten für treibhausgasarme Technologien, sondern es wird auch deren Weiterentwicklung stärker gefördert. Die Subventionen der Staaten und die damit einhergehenden Abgabenbelastungen der Bürger stellen Europa vor eine Belastungsprobe, wenn die Klima-Initiativen nicht direkt mit höherer Beschäftigung und höheren Löhnen einhergehen. Die Politik muss in diesem Szenario am meisten Technologieverständnis aufbringen.

Szenario 2: „Wir schaffen das“

Im zweiten Szenario zeigen die Regierungen sehr große Ambitionen, die Energie- und Klimaziele zu erfüllen, während gleichzeitig der Anwendungsgrad innovativer Technologien äußerst gering ausgeprägt ist. Ehrgeizige und effektive kurz- und mittelfristige Maßnahmen lassen die EU ihre 2030-Ziele bei gleichzeitiger moderater Weiterentwicklung der Technologien annähernd erreichen. Der Ausstieg aus der Stromerzeugung mittels Kohle wird deutlich beschleunigt und in den Großstädten werden Verkehrsbeschränkungen beschlossen. Gebäudesanierungen sowie die Nutzung von Wärmepumpen werden massiv gefördert und für CO2 wird eine Preisuntergrenze eingeführt. In diesem Szenario gibt es keine Technologiesprünge und die Risikobereitschaft in entsprechende Investitionen von Seiten der Unternehmen ist verhalten. Lediglich staatlich geförderte Technologien werden weiterentwickelt.

3. Szenario: „Entwickeln und skalieren“

In diesem Zukunftsszenario steht ein hoher Anwendungsgrad innovativer Technologien einem geringen politischen Engagement gegenüber. Mobilitätskonzepte ändern sich, es wird energieeffizienter produziert, und Technologien, an denen heute noch geforscht wird, halten im industriellen und privaten Umfeld Einzug. Elektroautos erreichen zeitnah Preisparität gegenüber Verbrennungsmotoren, Technologiekosten insbesondere für Solaranlagen sinken, und auch Speichertechnologien werden kostengünstiger. Die Politik hat den Fokus auf vermeintlich wichtigere oder dringlichere Themen verlagert wie etwa (Handels-)Kriege oder Wohlstandssicherung.

4. Szenario: „Immer weiter so“

„Immer weiter so“ beschreibt die schlechteste Variante der vier untersuchten Zukunftsszenarien. Hier trifft ein verhaltenes politisches Engagement auf einen nur schwerfälligen technologischen Fortschritt. So wird die Kostenparität zwischen Elektroautos und herkömmlichen Antrieben erst bis 2030 erreicht und die Nutzung von Verbrennungsmotoren geht nur wenig zurück. Die Kosten für Solar- und Windkraftanlagen fallen ebenso wie die für Batteriespeicher nicht mehr deutlich, was zu einer Stagnation der Rate an erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung führen wird. Da die Regierungen der EU28 in diesem Szenario keine langfristige Vision zur Dekarbonisierung entwickelt haben, fallen Subventionierungen für erneuerbare Energien und neue Regeln für die Gebäudesanierung vergleichsweise gering aus. Auch CO2-Preise bleiben weiterhin so niedrig, dass sie nur wenig Anreiz zur Dekarbonisierung geben.

Erreichbarkeit der EU-Ziele in den vier Szenarien

Wie wahrscheinlich lassen sich nun die ambitionierten EU-Klimaziele in den beschriebenen vier Szenarien erreichen? Das Schlusslicht bildet hier eindeutig die „Immer weiter so“-Variante, also im Wesentlichen die Fortschreibung der bisher tatsächlich erzielten Technologiefortschritte und Politikprioritäten vor „Fridays for Future“. In dieser Zukunftsversion werden die Klimaziele bis 2050 aller Voraussicht nach nicht erreicht.

Nur das Szenario „Neues grünes Europa“ wird mit einiger Sicherheit die selbstgesteckten Ziele bis 2050 erfüllen können. Es ist aber ermutigend, dass auch die Szenarien „Wir schaffen das“ sowie „Entwickeln und skalieren“ zu einer CO2-Reduktion von immerhin fast 80 Prozent führen können.

Fazit

Die Analyse der vier Zukunftsszenarien von Deloitte zeigt, dass zumindest das oberste Emissionsziel bis 2030 wohl im Wesentlichen in jedem Szenario erreicht werden kann – vorausgesetzt, die bereits heute eingeleiteten Anstrengungen werden konsequent fortgesetzt und die Ausbauraten aufrechterhalten. Dagegen ist die angestrebte, nahezu vollständige Dekarbonisierung bis 2050 nur dann möglich, wenn echte technologische Durchbrüche erreicht und gleichzeitig effektive politische Maßnahmen ergriffen werden.

Weitere Informationen unter: Opens external link in new windowwww.deloitte.com/de

Die grauen Balken visualisieren den Zielkorridor zur CO2- Reduktion. Grafik: Deloitte