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< Wir müssen mit den Stadtwerken reden
23.07.2025 15:58 Alter: 160 days

Innovative Finanzierungsmöglichkeiten für Stadtwerke

„Wir nutzen verstärkt den Weg, Projekte Off-Balance zu finanzieren.“


Matthias Lux, Vorsitzender Geschäftsführung, Stadtwerke Halle (SWH)
Foto: Copyright 2022 Felix Abraham

Selbst für gesunde und leistungsfähige Stadtwerke sind die hohen Energiewende- Investitionen eine Herausforderung. Deshalb ist die Zusammenarbeit zwischen Energie- und Finanzbranche wichtig, um innovative Finanzierungslösungen zu entwickeln und ausreichendes Kapital zu mobilisieren. Auf der Handelsblatt Stadtwerke Tagung 2025 in Berlin sprachen wir zum Thema Finanzierung mit Matthias Lux, Vorsitzender Geschäftsführung der Stadtwerke Halle (SWH).

Herr Lux, welche Herausforderungen stehen aktuell vor den Stadtwerken?

Zu den Herausforderungen zählen wir die Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität in der Energieversorgung, dem Mobilitätssektor (ÖPNV) und anderen Bereichen der Ver­ und Entsorgungswirtschaft. Hinzu treten die Ziele des Gesetzgebers zur Erreichung von Nachhaltigkeit, Ressourcenschutz und Resilienz u.a. in der Wasser­ und Abwasserwirtschaft. Viele dieser Herausforderungen verändern die städtische Infrastruktur und betreffen daher Stadt und Stadtwerk – und sind kooperativ zu lösen.

Im Bereich Energie stehen wir seit dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem deutschen Klimaschutzgesetz vor finanzwirtschaftlichen Herausforderungen. Wir erleben seit Jahren die Energiewende, die beginnende Mobilitätswende und „andere Wenden“ in Sektoren wie der Abfall- und Abwasserentsorgung. Eine Herausforderung wie nie zuvor ergibt sich dabei aus den gesetzgerischen Paradigmenveränderungen. Einige Beispiele:

  • Kommunaler Wärmeplan mit dem Ziel vollständiger Ersatz fossiler Brennstoffe (Erdgas, Heizöl) bis 2045 (GEG und WPlG)
  • Transformationsplan Fernwärme mit dem Ziel vollständiger Ersatz fossilen Erdgases bis 2045 mit „Unterwegszielen“ 2030 und 2040. (GEG und WPlG)
  • Mobilitätswende –mit einer neuen Rolle des ÖPNV (bei uns: Stadtbahnprogramm)
  • Ersatzbeschaffung und Umbau der Fahrzeugflotte (SaubFahrzeugBeschG) –Busse, Abfallsammelfahrzeuge, Reinigungsfahrzeuge, …
  • Substanzerhalt, mehr Resilienz und steigende gesetzliche Anforderungen an Trinkwasser und Abwasser (TVO, KARL).



Dies sind die wichtigsten Beispiele im Gesamtkontext. Allein diese Anforderungen bedingen, dass wir als Stadtwerke Halle in den kommenden 10 Jahren rund 1,2 Milliarden mehr investieren müssen als bisher. Und dabei dürfen wir unsere wichtigsten Partner nicht vergessen. Kundinnen und Kunden sind Teil dessen, was wir machen. Mit der Wahl der Heizungstechnologie beispielsweise entscheiden sie einen wesentlichen Teil mit und investieren ihrerseits. Bezahlbarkeit und Akzepttanz sind deshalb überragende Ziele für uns. Also muss der Preis fair und tragbar sein.

 

Von welchem Ansatz lassen sich die Stadtwerke bei Investitionen leiten?

Grundlage aller Projekte und Investitionen auf dem Weg zur Erreichung der Klimaneutralität ist der umweltökonomische Ansatz. Wir setzen nur um, was dem Klima­ und Ressourcenschutz dient und wirtschaftlich erfolgreich ist. Geld wird da investiert, wo mit effektivem und effizientem Mitteleinsatz Ver­ und Entsorgungssicherheit sowie Stabilität im ÖPNV erreicht wird und eine größtmögliche Verbesserung der Umweltwirkung erreicht werden kann. Produkte und Dienstleistungen sollen damit bezahlbar bleiben und ressourcenund klimaschonend sein.

Wir haben drei Schwerpunkte fokussiert:

  • Technologieorientierte Analyse:
    • Erfassung der derzeitigen Situation
    • Ableitung von Handlungsoptionen
    • Prüfung der Optionen auf technische Machbarkeit
  • Ökonomische Analyse:
    • Ermittlung des Umsetzungsaufwands
    • wirtschaftliche Bewertung der Optionen
    • Prüfung der Finanzierbarkeit
  • Ökologische Analyse:
    • Bestimmung der Umweltwirkung
    • Wahl der ökologisch vorteilhaften Alternativen
    • Ableitung von Umsetzungsplänen.

 

 

Wie kommen Sie an das Geld für Investitionen?

Die Stadtwerke Halle versorgen Deutschlands grünste Großstadt mit Energie und Wasser. Zu den Leistungen zählen auch öffentlicher Personennahverkehr, Wertstofferfassung, Abfallentsorgung, Straßenreinigung, Winterdienst, Logistik-, Deponie- und Infrastrukturleistungen. Die Stadtwerke betreiben in 4 Sparten und 20 vollkonsolidierungspflichtigen Tochterunternehmen Strom-, Erdgas- und Fernwärmeversorgung, Wasserver- und Abwasserentsorgung, Abfallentsorgung, ÖPNV mit Bus und Tram, Bäderinfrastruktur, Deponiesanierung und IT-Dienstleistungen. Mit rund 3200 Mitarbeitern und Auszubildenden sind die Stadtwerke das größte kommunale Versorgungsunternehmen Sachsen-Anhalts.

Es gibt vereinfacht dargestellt vier Perspektiven. Zum einen Fördermittel in Anspruch nehmen, z.B. die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze. Hinzu treten natürlich Baukostenzuschüsse und Anschlusskostenbeiträge. Dann nutzen wir die Innenfinanzierungskraft des Unternehmens und wollen diese stärken – z. B. durch den Einsatz von Kalkulationen auf Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten. In bestimmten Fällen setzen wir Off-Balance-Finanzierungen für abgrenzbare, selbständig finanzierbare Projekte ein, z. B. im Bereich von Freiflächen-Photovoltaikanlagen. Und letztlich der Einsatz von Eigen- oder Fremdkapital.

Seit etwa 10 Jahren setzen wir bei Projekten auch Off-Balance-Finanzierungen ein. Dieser Weg bietet sich an, um das Spannungsfeld zwischen investiven Erfordernissen auf der einen sowie Bilanzstruktur und Kennzahlen auf der anderen Seite jedenfalls teilweise zu lösen. Dafür gehen wir echte Joint-ventures ein und gründen „50/50“-Gesellschaften mit Partnern. Das Eigenkapital wird geteilt. Rechte und Pflichten ebenso. Die Kontrolle über die Gesellschaft kann und wird nur gemeinsam ausgeübt. Man muss also bereit sein, die alleinige Kontrolle abzugeben. Das erforderliche Fremdkapital wird gemeinsam, ohne zusätzliche Sicherheiten beschafft. So bleiben die Unternehmenskennzahlen und das Rating weitgehend unberührt Zusätzlich wird die klassische „Expansions- und Wachstumswährung“ Eigenkapital geschont. Und da eine außerbilanzielle Finanzierung die Kapitalstruktur nicht verändert, werden die künftige Kreditwürdigkeit und Verschuldungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Im Rahmen von Off-Balance-Finanzierungen sind wir offen für private Finanzierungspartner.

Welche Erfahrungen gibt es zur Finanzierung von Projekten?

Grundlage ist für uns zunächst eine konsistente 10-Jahresplanung für die gesamte Unternehmensgruppe mit allen relevanten Planelementen (Bilanz, GuV, Kapitalfluss, Investitions- und Personalplan). Diese Planung beinhaltet auch einen systematischen Ansatz für die Mittelherkunft. Denn es geht wie bereits erwähnt um ein Investitionsvolumen von 1,2 Mrd. Euro mehr als bisher in den nächsten 10 Jahren.
Dabei ist Vollständigkeit ein wichtiges Merkmal. Es ist nicht sinnvoll allein auf die Investitionen in Energie, Wasser/Abwasser und Mobilität zu schauen. Ebenso sind die Perspektiven der Digitalisierung und IT-Sicherheit und natürlich Stadtentwicklungsprojekte der Kommune wie z.B. Komplexbauvorhaben der Stadtentwicklung zu berücksichtigen.

Einige Projekte kommen dabei für außerbilanzielle Finanzierungen in Frage. Das ist dann der Fall, wenn sie physisch abgrenzbar von anderen Vermögensgegenständen sind und klare vertragliche Strukturen ermöglichen – und dass für einen lange Zeitraum. Zudem ist ein eigener abgrenzbarer Cash-Flow notwendig. Das ist regelmäßig bei PV-Projekten der Fall. Ggfls kommen auch Windkraftprojekte und Großwärmepumpen in Frage. Wir haben Projekte mit verschiedenen Partnern umgesetzt und nutzen hierbei deren komplementäre Interessen. Die privaten Finanzierungspartner kommen aus unterschiedlichen Branchen, wie z.B. Altersversorgung und Kapitalsammelstellen, andere Versorger und Stadtwerke sowie aus der Bau- und Rohstoffwirtschaft.