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04.12.2018 16:37 Alter: 5 yrs

Geld allein kauft keine Zukunft

Das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat im Auftrag des DEBRIV die Folgen des Ende 2016 von der Bundesregierung verabschiedeten Klimaschutzplans 2050 und des Sektorziels für die Energiewirtschaft für 2030 untersucht und dabei insbesondere die Konsequenzen für den Strukturwandel in den Braunkohlenregionen in den Blick genommen. Die übergreifende Aussage: ein beschleunigter Kohleausstieg kostet mindestens 100 Milliarden Euro. Mit der aktuellen Studie hat das renomierte Wirtschaftsinstitut einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion geliefert.


Kernaussagen der aktuellen Studie reflektiert Dr. Thorsten Diercks, Hauptgeschäftsführer von DEBRIV Deutscher Braunkohlen-Industrie-Verein e. V.

Foto: Bedeschinski

Herr Dr. Diercks, kam die Studie des IW-Instituts zur rechten Zeit?

Angesichts der zugespitzten gesellschaftspolitischen Diskussion aus verschiedenen politischen Lagern ist die Frage nur zu bejahen. Allein Jahreszahlen eines vorzeitigen Kohleausstiegs bestimmen die medialen Schlagzeilen. Das Thema Sicherheit bei der Versorgung von Verbrauchern allgemein und insbesondere der energieintensiven Industrie nach dem Ausstieg aus der Kernkraft im Jahr 2022 wird kaum erwähnt.

Wie aber soll dann die Versorgungslücke geschlossen werden? Diese Frage sollte in der politischen Diskussion auf der Agenda stehen. Denn Klimaschutz ist nur ein Ziel des energiepolitischen Zieledreiecks. Die wirtschaftliche, soziale und regionale Verantwortung muss gleichberechtigt berücksichtigt werden.

Die Studie belegt, ein politischer Kohleausstieg führt zu Zusatzkosten in Höhe von nahezu 100 Milliarden Euro und gefährdet eine nachhaltige Strukturentwicklung. Ein durch den Klimaschutzplan 2050 politisch forcierter Ausstieg aus der Braunkohle mit einem vorzeitigen Abschalten von Kraftwerken schon in den kommenden Jahren vernichtet bis 2025 mindestens 36.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze, bis 2030 würden rund 50.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Somit gefährdet ein übereilter Ausstieg aus der Braunkohle einen erfolgreichen und langfristig angelegten Strukturwandel in den Braunkohleregionen. Dies ist zugleich eine Botschaft an die Arbeit der Strukturkommission.

Ist ein Kostenanstieg durch Klimaschutzziele unvermeidbar?

Bereits ohne nationale Sektorziele steigen die Kosten durch Klimaschutz: Schon durch die im März 2018 beschlossene Reform des europäischen Emissionshandels, in deren Rahmen das Angebot an CO2-Emissionensrechten vermindert wurde, haben sich die Kosten für die Stromversorgung erhöht – mit Wirkungen auf die Verbraucher und insbesondere die energieintensive Industrie.

Wir müssen uns darüber klar sein: Der Ausbau der erneuerbaren Energien, das sinkende Angebot an Emissionsberechtigungen im EUETS und die nach den Revierplänen auslaufenden Kohlevorräte der Tagebaue werden spätestens in den 2030er und 2040er Jahren dazu führen, dass die Braunkohlekraftwerke nach und nach aus dem Markt ausscheiden. Schon im Rahmen dieses Prozesses werden die Strompreise steigen und Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Braunkohlewirtschaft zurückgehen.

Welche Werte errechnete die IW-Studie?

Ein durch nationale Maßnahmen beschleunigter Rückgang der Kohleverstromung würde erhebliche Zusatzkosten verursachen. Im Zeitraum von 2020 bis 2040 geht es um Mehrkosten in Höhe von fast 100 Milliarden Euro. Diese Abschätzung berücksichtigt noch nicht einmal regionale Strukturbrüche, und auch nicht Versorgungsengpässe mit Stromausfällen oder Kosten durch verkürzte Laufzeiten von Kraftwerken und anzupassende Genehmigungen für die Tagebaue. Hinzu kommen auch noch die Konsequenzen für die Arbeitsplätze in der Industrie, die unter steigenden Strompreisen leiden wird. Sie konnten in der Studie ebenfalls nicht betrachtet werden.

Ist ein kurzfristiger Strukturwandel volkswirtschaftlich realistisch?

Die Analyse der Strukturwandelvoraussetzungen in den Revieren zeigt, es gibt kurzfristig keine Strukturen, die einen schnellen Kohleausstieg auffangen können. Die bestehenden Strukturen werden weder im Hinblick auf die Beschäftigung noch hinsichtlich der Wertschöpfung innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Beitrag leisten können, welcher die heutigen Beiträge der Braunkohlewirtschaft in den Regionen ersetzen kann. Daran ändern auch die in Aussicht gestellten finanziellen Zuschüsse des Bundes wenig. Geld allein kauft keine Zukunft, so brachte es der DEBRIV-Vorstandsvorsitzende Dr. Helmar Rendez bei Vorstellung der Studie auf den Punkt.

Wie steht es um die Verluste bei der Bruttowertschöpfung?

Unter Berücksichtigung der Vorleistungsverflechtungen liegt der Verlust bei der Bruttowertschöpfung im betrachteten Zeitraum 2020 bis 2040 bei insgesamt über 41 Milliarden Euro. Die Braunkohlewirtschaft hat aufgrund ihrer Vorleistungsintensität eine hohe Bedeutung für den Wirtschaftskreislauf und die Arbeitsplätze, vor allem in den Braunkohleregionen. Dies wird in der Diskussion oft unterschätzt. Unmittelbar in der Braunkohlewirtschaft sind bundesweit fast 21.000 Personen beschäftigt.

Bezieht man die Arbeitsplätze in den Vorleistungsbranchen und die durch die Konsumausgaben der Beschäftigten induzierten Effekte ein, hängen über 62.000 Beschäftigungsverhältnisse direkt und indirekt an der Braunkohlewirtschaft. Diese Zahl erhöht sich auf 72.000 Beschäftigte, wenn wir die Investitionen der Braunkohlewirtschaft mit einbeziehen.

Schon bei dem in der Studie angenommenen Minderungspfad läge die Zahl der Beschäftigten allein in der Braunkohlewirtschaft im Szenario Klimaschutzplan im Jahr 2030 um fast 39.000 niedriger als ohne Sektorziel. Das nationale 2030-Sektorziel für die Energiewirtschaft führt bereits bis 2025 zu einer knappen Halbierung der Arbeitsplätze; bis 2030 wären mehr als 2/3 der Arbeitsplätze verloren.

Ein erfolgreicher Strukturwandel in den Braunkohlerevieren ist somit durch ein 2030-Sektorziel erheblich gefährdet?

Folgen wir dem von der Politik diskutierten 2030-Sektorziel, so führt das zu einem erheblich schnelleren Rückgang der Braunkohleverstromung und einem deutlich vorgezogenen Arbeitsplatzabbau – nicht nur in der Braunkohlewirtschaft, sondern auch in den Vorleistungsbranchen.

Experteninterviews mit Unternehmen sowie Akteuren der regionalen Wirtschaftspolitik und Regionalplanung in den Revieren belegen, dass in allen Revieren die Braunkohlewirtschaft und damit mittelbar verbundene Branchen hohe Wertschöpfungs- und Beschäftigungsanteile in der Region haben, ohne dass es in angemessenem Umfang Alternativen gibt.
Strukturwandel braucht Zeit; das zeigen Erfahrungen aus vergleichbaren Prozessen. Der Ausstieg aus der Steinkohle hat rund 30 Jahre gebraucht. Die Folgen sind bis heute ungelöst.

Blaupausen für einen Strukturwandel, in dem die durch das Klimaschutzplan- Szenario bewirkten zusätzlichen Wertschöpfungsund Arbeitsplatzverluste bis 2030 erfolgreich kompensiert werden könnten, liegen nicht vor. Damit drohen bei einem durch das 2030-Ziel beschleunigten Kohleausstieg Strukturbrüche mit unabsehbaren Konsequenzen für die betroffenen Regionen und die dort arbeitenden und lebenden Menschen. Dem sollte sich die Politik in gesellschaftspolitischer Verantwortung unbedingt bewusst sein.