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Finanzielle Leistungsfähigkeit neu denken
„Aus meiner Sicht wird sich ein Finanzierungsmodell etablieren, das auf drei Säulen basiert: Eigenkapital, klassisches Fremdkapital und projektbezogene Finanzierungen.”
Stadtwerke stehen vor großen operativen Herausforderungen auf der Markt- und Infrastrukturseite. Im Gespräch mit Dr. Gerhard Holtmeier, er ist Vorsitzender der Geschäftsführung von DEW21 - Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH, wird deutlich dass klassische Finanzierungsansätze nicht mehr ausreichen und neue Modelle gefragt sind. Voraussetzung dafür ist aus seiner Sicht zunächst eine klare Kenntnis der eigenen Zahlen und eine strukturierte, zukunftsorientierte Finanzplanung.
Dr. Holtmeier, Die DEW21 Gruppe hat bewegende Zeiten hinter sich, hatte auf der Beschaffungsseite stark zu kämpfen und war zusätzlich mit einem Betrugsfall bei einem Tochterunternehmen konfrontiert. Sind diese Krisen mittlerweile bewältigt?
Wir verfügen heute über ein umfassendes Bild, was bei DEW21 und unserem Tochterunternehmen stadtenergie passiert ist. Die Vorgänge aufzuarbeiten, war aber ein langwieriger und intensiver Prozess, den wir gemeinsam mit externen Experten erfolgreich gestaltet haben. Die Aufarbeitung der Sachverhalte ist nahezu vollständig abgeschlossen und entsprechende Konsequenzen wurden gezogen. Vor dem Hintergrund bin ich zuversichtlich, dass wir diese Themen 2026 größtenteils hinter uns lassen können. Mit Blick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der DEW21 Gruppe beeinflussen uns die Geschehnisse aber natürlich weiterhin.
Aus meiner Sicht haben die Vorfälle wie ein Katalysator gewirkt. Sie haben eine bereits erkennbare wirtschaftliche Entwicklung beschleunigt. Aufgrund der vor den Krisen herrschenden wirtschaftlichen Lage wurden, wie in der Branche durchaus üblich, Ergebnisse voll ausgeschüttet und Investitionen deutlich über den entsprechenden Abschreibungen getätigt. Die eigene Kostenentwicklung blieb dabei oft ebenfalls unbeachtet. Kurz gesagt: Den Euro, den die Unternehmen verdienten, haben sie dreimal ausgegeben. So war es nach meiner Einschätzung auch bei uns im Unternehmen. Uns muss allerdings bewusst werden, dass dieses Vorgehen auf Dauer nicht gut gehen wird. Um finanziell leistungsfähig zu sein, ist es daher entscheidend, dass die Unternehmen wirklich wissen, was sie sich überhaupt leisten können. In der DEW21 Gruppe können wir dies heute gut einschätzen. Ohne die Ereignisse der vergangenen Jahre wären wir heute vermutlich noch nicht an diesem Punkt.
Ist es denn nicht selbstverständlich, dass Stadtwerke ihren finanziellen Handlungsrahmen kennen?
Ich bin da ehrlich gesagt etwas skeptisch. Die Anforderungen an eine adäquate kaufmännische Steuerung sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Oftmals mangelt es an einer integrierten Unternehmensplanung, die Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Cashflows systemgestützt und nicht über manuelle Excel-Lösungen abbildet. Auch ein aktives Liquiditätsmanagement ist vielerorts nicht etabliert. Für uns war es ein enormer Kraftakt, das aufzubauen und als verbindliches Steuerungsinstrument zu verankern. Aber die Anstrengung hat sich ausgezahlt: Heute haben wir ein klares Bild unserer finanziellen Leistungsfähigkeit und können unser Unternehmen dementsprechend steuern. Aus meiner Sicht ist es für Stadtwerke zwingend notwendig, sich mit diesen Themen intensiv zu beschäftigen, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu sichern. Aber auch, weil Banken Stadtwerke wie jedes andere Unternehmen bewerten und behandeln.
Was bedeutet das konkret?
Damit Stadtwerke überhaupt Zugang zu weitergehenden Finanzierungen erhalten, müssen sie sich Banken gegenüber als verlässliche und solide Partner präsentieren. Eine angemessene Eigenkapitalausstattung von mindestens 25 Prozent, idealerweise sogar 30 Prozent, ist dabei unerlässlich. Darüber hinaus benötigen sie eine langfristige Finanzierungsstruktur, die den Zeithorizont ihrer Infrastrukturinvestitionen widerspiegelt. Zusätzlich bedarf es einer konsequenten Einhaltung zentraler Finanzkennzahlen, wie etwa die des dynamischen Verschuldungsgrades in einer Bandbreite von vier bis maximal sechs. Um die Dringlichkeit zu veranschaulichen, lässt sich das mit einem alltäglichen Bild vergleichen: Wer mit einem platten Reifen weiterfährt und gleichzeitig die Bremsen vernachlässigt, riskiert nicht nur einen Reifenschaden, sondern ein ernsthafteres Unfallrisiko. Genauso verhält es sich mit der finanziellen Steuerung: Kleine Warnzeichen dürfen nicht ignoriert werden, sonst droht ein strukturelles Problem mit weitreichenden Folgen.

- Die Hauptverwaltung der DEW21 - Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH befindet sich einschließlich ihres Servicecenters seit dreißig Jahren zentral in der Dortmunder Innenstadt. Nach krisenhaften Jahren blickt man wieder zuversichtlich in die Zukunft.
Foto: DEW21-Luftaufnahmen
Sie haben weitergehende Finanzierungen angesprochen. Ist das ein Thema für Sie?
Selbstverständlich. Aus meiner Sicht wird sich ein Finanzierungsmodell etablieren, das auf drei Säulen basiert: Eigenkapital, klassisches Fremdkapital und projektbezogene Finanzierungen. Das schließt projektbezogene Off-Balance-Finanzierungen im Übrigen nicht aus. Aber auch diese bekommen Stadtwerke nur, wenn sie von potenziellen Finanzpartnern als wirtschaftlich stabil und zukunftsfähig eingeschätzt werden.
Doch bevor man sich mit der Frage der weitergehenden Finanzierung befasst, braucht man eine klare Vorstellung davon, welche finanziellen Mittel in den nächsten Jahren wirklich benötigt werden. Aus dieser entscheidenden Frage lässt sich ein belastbares Standardszenario ableiten, um in der internen Diskussion zu erkennen, was ich mir als Unternehmen leisten kann und was nicht.
Wo sehen Sie denn die Grenzen für eine weitergehende Finanzierung?
Die kommunale Wärmeplanung hat deutlich gemacht, wie groß die Diskrepanz zwischen finanzieller Leistungsfähigkeit und politischen Erwartungen ist. Wir rechnen in Dortmund damit, dass sich die Investitionen im Bereich der Strom- und Wärmeversorgung mindestens verdreifachen würden. Konkret sprechen wir hier von einem Finanzbedarf in Höhe von rund 2,5 bis 3 Mrd. Euro in den kommenden 10 Jahren. Dazu kommen noch weitere Investitionen in andere Bereiche wie dem lokalen Wassernetz.
Im kommunalen Umfeld muss uns darüber hinaus bewusst sein, dass uns nicht jede Finanzierungsoption zur Verfügung steht. Die negativen Erfahrungen u.a. mit US-amerikanischen Sale and-Lease-Back-Geschäften in den 1990er und 2000er-Jahren haben richtigerweise zu kommunalrechtlichen Einschränkungen geführt. Wir müssen uns auch immer vor Augen führen, dass wir kommunales, also eher risikoaverses Kapital bewirtschaften, das dem Ziel der Daseinsvorsorge dient. Dennoch sehe ich hier aufgrund der aktuellen gesetzgeberischen Entwicklungen weitergehende Chancen.
Reicht es aus Ihrer Sicht aus, sich nur auf sich zu konzentrieren?
Nein, definitiv nicht. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, die eigenen Grenzen zu hinterfragen: Was können wir wirklich allein und wo sind Kooperationen der Schlüssel zum Erfolg? Die vor uns liegenden Herausforderungen sowie die weiter steigenden Anforderungen werden viele Stadtwerke nicht mehr allein schultern können – sei es aufgrund altersbedingter Personalwechsel oder aufgrund fehlendem Know-how. Aus dem Grund sollten auch mögliche Strukturveränderungen von „echten“ Kooperationen bis hin zu Fusionen ergänzend geprüft und auch ehrlich diskutiert werden.
Wie sieht für Sie ein ausgewogenes Modell zukünftiger Finanzierungen aus?
Ausgehend von der erwähnten Dreiteilung würde ich zunächst eine Stärkung der Eigenkapitalseite präferieren. Zwar ist eine Finanzierung auf Eigenkapitalbasis zu teuer und für viele Gesellschafter nicht leistbar, doch eine abgewandelte Form der Eigenkapitalstärkung halte ich durchaus für möglich. Denkbar sind beispielsweise revolvierende (Teil-)Thesaurierungen oder auch das sogenannte „Schütt-aus-Hol-zurück“-Verfahren. Auch sind neue Eigenkapitalpartner, wie solche aus der Fondswirtschaft, denkbar.
Eine solide Eigenkapitalausstattung stärkt zudem die Verhandlungsposition mit den klassischen Fremdkapitalgebern wie Banken und Versicherungen, die auch künftig die wesentlichen Partner der Stadtwerke sein werden. Als weiteres entlastendes Element sollte hier auch die öffentlich-rechtliche Förderung mitgedacht werden. Erst dann kommen für mich weitere Anbieter oder auch Off-Balance-Finanzierungen ins Spiel. Da sprechen wir dann aber nur noch von den letzten 30 bis 40 Prozent des benötigten Finanzvolumens.
Was ist derzeit Ihr Credo?
Nicht nur die Herausforderungen aus der anstehenden Wärmewende, sondern auch die Nachholung von unterlassenen Investitionen in bestehende Infrastruktur sind mit den aktuell verfügbaren finanziellen Mitteln für Stadtwerke allein kaum zu stemmen. Wir werden daher auf ein erweitertes Spektrum an Finanzierungsmöglichkeiten zurückgreifen müssen. Bevor dies jedoch möglich ist, müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Wir müssen uns als nachhaltiger und verlässlicher Partner am Kapitalmarkt positionieren. Das erfordert intern solide Strukturen und extern den Mut, über vermeintliche Grenzen hinauszudenken. Dieser Herausforderung stellen wir uns in Dortmund jeden Tag aufs Neue.



