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19.08.2021 16:18 Alter: 3 yrs

Energie für die Wohnungswirtschaft in den 2020er Jahren

Bis zum Jahr 2030 soll der CO2-Ausstoß in der EU um mindestens 55 % gesenkt werden. Es kommt daher schon jetzt darauf an, zu erkennen, mit welchen Maßnahmen dieses Ziel erreicht werden kann, ohne jedoch die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit von Energie und des Wohnens aus dem Blick zu verlieren.   In einem Gastbeitrag benennt Axel Gedaschko, Präsident GdW, Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. aus Sicht der Wohnungswirtschaft aktuelle Anforderungen an die Politik einer neuen Bundesregierung.


Axel Gedaschko, Präsident GdW, Senator a. D. Foto: Nils Hasenau

„Generell muss sich die Kostenaufteilung zwischen Mietern und Vermietern am energetischen Zustand des jeweiligen Gebäudes orientieren, denn in energetisch sanierten Gebäuden ist das Nutzerverhalten der Bewohner bei den anfallenden Energiekosten der entscheidende Faktor.“ Axel Gedaschko

Die Wohnungswirtschaft steht vor vielfältigen Aufgaben: Neubau, energetische Modernisierung und Treibhausgasminderung, altersgerechter Umbau, Instandsetzung und eine Sanierungswelle speziell in den neuen Bundesländern, Quartiersentwicklung und Stadtumbau sowie Anforderungen der zunehmenden Digitalisierung. All dies gilt es zu bewältigen, ohne die Mieter oder die Wohnungsunternehmen zu überfordern.

Eine große Rolle spielen dabei stets die gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel das Gebäudeenergiegesetz (GEG), der Green Deal der EU sowie die EU-Strategie für eine Renovierungswelle.

Die Transformation geht weiter

Die Wohnungsunternehmen können selbstbewusst sagen: Neben allen anderen Aufgaben haben wir seit 1990 70 % unserer Bestände teilweise oder vollständig energetisch modernisiert, damit ein Drittel an Energie eingespart und die CO2 -Emissionen um über 60 % gemindert. Der aktive Klimaschutz im Neubau, in der Modernisierung und in der energieeffizienten Bewirtschaftung der Wohngebäude ist ein wesentlicher Teil des auf langfristigen Erfolg ausgerichteten wohnungswirtschaftlichen Geschäftsmodells.

Die politischen Ziele in Deutschland sind gleichwohl mit dem Ziel der Klimaneutralität 2045 extrem anspruchsvoll. Die Wohnungswirtschaft unterstützt die Zielstellung. Deshalb hat sie im November 2020 eine Analyse zur sozial und ökonomisch verträglichen Umsetzung der Klimaziele in der Wohnungswirtschaft veröffentlicht.

Als Wohnungswirtschaft verfolgen wir das Ziel, bis 2045 die Netto-Null-Emissionen zu erreichen und damit wirksam zum Klimaschutz beizutragen. Wir wissen heute nicht, ob sich das realisieren lassen wird. Wir wissen aber eins: Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen oder einem Fortschreiben der bisherigen Politik ist es unmöglich.

Seit 2010 stagniert in Deutschland der temperaturbereinigte spezifische Endenergieverbrauch für Raumwärme, obwohl deutschlandweit von 2010 bis 2019 über 380 Milliarden EUR in die energetische Verbesserung des Gebäudebestandes geflossen sind und die Wohnungsunternehmen überdurchschnittlich viel energetisch modernisieren. Außerdem wurden in dem Zeitraum 2,4 Millionen Wohneinheiten neu gebaut (unterdurchschnittlicher Energieverbrauch) und 0,26 Millionen der Wohneinheiten abgerissen (überdurchschnittlicher Verbrauch). Geschätzt hätten in dem Zeitraum durchschnittlich 17 kWh/m²a eingespart werden müssen, der Raumwärmeverbrauch sollte also bereits bei 113 kWh/m²a liegen. Tatsächlich liegt er aktuell bei 128 kWh/m²a .

Ein Erklärungsversuch ist:
• In Teilen des Gebäudebestands wurde offenbar „schleichend“ mehr    Energie verbraucht, zum Beispiel durch höhere Raumtemperaturen, mehr Lüftung in wärmeren Heizperioden, höhere Systemtemperaturen.
• Der Energieverbrauch in Neubauten ist meist höher als erwartet.
• Die Energieeinsparung durch energetische Sanierung ist meist geringer als erwartet.
• Nutzer missachten Einspartechnologien teilweise und setzen sie außer Kraft (gekippte und lang offenstehende Fenster trotz Lüftungsanlage, Nichtnutzung von Einzelraumregelung).

Die bisherige Klimaschutzpolitik war also ganzheitlich gesehen nachweislich nicht mehr erfolgreich. Ein wesentlicher Teil des Problems besteht im abnehmenden Grenznutzen bei zunehmenden energetischen Standards.

Schärfere Vorschriften zur Energieeinsparung reduzieren zwar nachweislich die Kosten für Beheizung und Warmwasser. Allerdings ist mit dem Gebäudeenergiegesetz aktuell ein Zustand erreicht, der bei weiterer Verschärfung zu überproportional steigenden Kapitalkosten führt, während die noch möglichen Einsparungen immer geringer ausfallen. Sinngemäß gilt dieser Zusammenhang auch bei Bestandsmodernisierungen.

Die Wohnungswirtschaft hat mit ihren erheblichen Investitionen in die Bestände bereits viel erreicht. Auf Basis dieser Erfahrungen benötigt sie für die weitere Transformation:
•eine an den Klimazielen orientierte, sozial verträgliche Mietenpolitik,
•eine langfristig verlässliche, ausreichende und beihilfefreie Objekt-Zuschussförderung für energetische Modernisierungsmaßnahmen und für den Einsatz erneuerbarer Energien in den Gebäuden bzw. Quartieren,
•eine Subjektförderung, die allen das Wohnen in energetisch sanierten Gebäuden erlaubt bzw. ausreichende Einkommen der Haushalte,
•einen energetisch zweckmäßigen und wirtschaftlich umsetzbaren Gebäudestandard, der in der Praxis dauerhaft zu Energieeinsparungen führt und der in Kombination mit einer erneuerbaren Energieversorgung die Klimaziele erfüllt – „Carbon-Zero-Ready“,
•die Entwicklung von Energiequartieren auf Basis weitgehender Eigenversorgung bei Abschaffung von bürokratischen und rechtlichen Hemmnissen für die Umsetzung von Mieterstromprojekten,
•eine umfassende Qualifikation und ausreichende Kapazitäten im Handwerk und in der Bauwirtschaft für die Bauausführung,
•weitere angewandte Forschung, vor allem in den Bereichen Sektorenkopplung, Power-to-X und Quartierslösungen, aber auch in die Weiterentwicklung von Technologien, die standardmäßig insbesondere im vorhandenen Wohnungsbestand eingesetzt werden können,
•eine ehrliche Debatte über Kosten und Nutzen von Effizienzmaßnahmen und den Faktor Mensch sowie eine Evaluation der Maßnahmen für Vertrauen in deren Wirksamkeit, in die Höhe kommunizierter Investitionen beim Eigentümer und in die Energiekostenentlastung beim Mieter.

2050ready – Zielerreichung aus wohnungswirtschaftlicher Sicht

Treibhausgasemissionen sind das Produkt aus Endenergieverbrauch und Emissionsfaktor des Energieträgers. Wenn ein Produkt Null sein soll, muss einer der Faktoren Null sein. Der Energieverbrauch kann nicht Null werden. Daher ist die erste Voraussetzung für einen klimaneutralen Gebäudebestand eine Energieversorgung mit regenerativen Energieträgern. Daraus leitet sich die Frage ab: Wie hoch darf oder soll der Energieverbrauch sein, so dass dieser regenerativ gedeckt werden kann?

In Szenarien-Rechnungen wird teilweise angenommen, dass jede energetische Modernisierung mindestens im Standard Effizienzhaus 55 erfolgen müsste, oder sogar dass der Gebäudebestand im Jahr 2050 durchschnittlich einem energetischen Standard eines Effizienzhauses 55 entsprechen müsste.

Dem folgt in Teilen auch die politische Debatte, zum Beispiel in Berlin oder Hamburg, oder die Debatte durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Hinzu kommt, dass Neubauten als Effizienzhaus 40 errichtet werden sollen. Da bei Effizienzhäusern sinkender Primärenergiebedarf und sinkender Transmissionswärmeverlust gekoppelt sind, sind diese Annahmen jedoch nicht realistisch.

Energieeffizienzmaßnahmen gehören zu den teuersten Investitionen in den Bestand mit einem abnehmenden Grenznutzen. Gleichzeitig zeigt sich immer wieder, dass höhere und höchste Effizienzstandards in vermieteten Wohnungen die Energieeinspar-Hoffnungen nicht erfüllen. Der gemessene Verbrauch liegt im Neubau wie in der Modernisierung regelmäßig höher als die berechneten Bedarfswerte und unterscheidet sich oft (zu) wenig von Gebäuden mit geringerem Effizienzstandard.

Lebenszyklusbetrachtungen zeigen, dass zum Beispiel Passivhäuser im Lebenszyklus nicht weniger Treibhausgas als gasbeheizte EnEV-2016-Häuser emittieren. Zudem zeigen mehrere neue Berichte, dass Gebäude ab EnEV 2007 bzw. EH70 (2009) zur systematischen Überwärmung neigen und damit in den Hitzeperioden für die Bewohner nur mit Komforteinbußen zu bewohnen sind.

Die Wohnungswirtschaft plädiert deshalb für einen energetisch zweckmäßigen und wirtschaftlich umsetzbaren Gebäudestandard, der in der Praxis dauerhaft zu Energieeinsparungen führt und der in Kombination mit einer erneuerbaren Energieversorgung die Klimaziele erfüllt – „2050ready“.

Quelle: Das Baujahr 2018 im Fakten-Check. ARGE Kiel und Pestel Institut, Hannover 2018. GdW

Bauwerkskosten – Mehrkosten und summierte Heizkosteneinsparungen von energetischen Standards im Neubau (Bezug: Typengebäude MFH in Grundvariante), Kostenstand: 2. Quartal 2017, Bundesdurchschnitt, inkl. Mehrwertsteuer (Bruttokosten).

Paradigmenwechsel erforderlich

Ergebnis dieser Überlegungen ist, dass dringend der bereits in der Debatte befindliche Paradigmenwechsel in das politische Handeln übergehen muss. Dieser Meinung sind nicht nur wir, wie die Ende Oktober 2019 veröffentlichte Studie des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP und des Steinbeis-Transferzentrums Energie-, Gebäudeund Solartechnik im Auftrag des Bundesumweltamtes zusammenfasst: „Die Lenkungswirkung der bestehenden Gebäudestandards ist begrenzt“ – Neuausrichtung der Gebäudebewertung an Klimaschutzzielen ist erforderlich:
• CO2-Einsparungen in Planung und Betrieb sollten gefördert werden.
• Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung sind eine Frage des Komforts und nur bei fossiler Wärmeversorgung energetisch sinnvoll.
• Dezentrale Stromerzeugung durch PhotovoltaikAnlagen mit Eigenstromnutzung trägt kostenneutral zur massiven Senkung des Energieaufwands bei.

Mit diesem Katalog sind die Vorschläge, die die Wohnungswirtschaft bereits seit vielen Jahren vorbringt, gut umrissen. Wenn man so möchte, wären dies die „Eingriffe“, die notwendig wären, um Klimaschutzmaßnahmen einen großen Schub zu verleihen. Bereits 2010 vermerkte das „Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“: Mit einem „weiter so“ im bisherigen Instrumentenmix kommen wir nicht voran.

Um die technisch-wirtschaftlichen Möglichkeiten der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes zu nutzen, ist ein neuer strategischer Ansatz notwendig. Dieser strategische Ansatz ist überfällig und die Wohnungswirtschaft leistet einen Beitrag dazu.