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09.09.2020 09:14 Alter: 4 yrs

Energiewende 2.0 – mit Wasserstoff und klimaneutralen Gasen den Umbau des Energiesystems voranbringen

Die Energiewende zum Erfolg führen und gleichzeitig eine verlässliche, bezahlbare Energieversorgung sichern? Die Antwort auf diese Frage wird zeigen, wie zukunfts- und handlungsfähig unsere Volkswirtschaft ist. Ein Gastbeitrag von Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorsitzender des Vorstandes der Mainova AG, Frankfurt.


Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorsitzender des Vorstandes, Mainova AG, Frankfurt/M. Foto: ©Mainova AG

„Mainova setzt in der Erzeugung neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien seit vielen Jahren auf die hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). 2019 haben wir alleine durch die KWK rund 270.000 Tonnen CO2 gegenüber konventioneller Energieerzeugung eingespart. Insgesamt konnten wir zwischen 2010 und 2019 unsere CO2-Emissionen in der Erzeugung in Frankfurt um 40 Prozent senken“.

Dr. Constantin H. Alsheimer

Trotz klarer Bekenntnisse zu den Pariser Klimazielen und vielfältiger Maßnahmen für eine Energiewende ist es Deutschland - trotz exorbitanter Kosten und großer politischer Anstrengungen –jedoch nicht gelungen, seine CO2-Emissionen bis 2020 um die vereinbarten 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energieträgern lag 2019 bei immerhin 42,1 Prozent, in den Sektoren Verkehr und Wärme sind mit 14,5 und 5,6 Prozent bisher aber erst deutlich geringere Anteile zu verzeichnen. Vor diesem Hintergrund ist klar: Es muss ein gravierender Wandlungsprozess erfolgen, wenn wir bis 2050 die Emissionen an Treibhausgasen um 95 Prozent reduzieren wollen. Alle gesellschaftlichen Akteure sind in der Verantwortung, das Mögliche zu tun, die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Die Mainova AG als regionales Energieversorgungsunternehmen nimmt diese Herausforderung an und hat beispielsweise den CO2-Ausstoß ihrer Frankfurter Kraftwerke seit 2010 um rund 40% reduziert.

Klimaschutz erfordert ambitioniertes Handeln

Alle Wirtschaftsbereiche und Sektoren müssen dekarbonisiert werden. Um dies erfolgreich und zu den volkswirtschaftlich geringsten Kosten zu bewältigen, ist Dreierlei nötig: Erstens müssen alle energiewirtschaftlichen Sektoren intelligent miteinander gekoppelt werden. Auf diese Weise entstehen insgesamt die höchsten CO2-Einsparpotenziale. Zweitens muss die Politik sicherstellen, dass alle erfolgversprechenden technologischen Ansätze verfolgt und wirtschaftlich eingesetzt werden können. Richtschnur muss das Einsparpotenzial an Treibhausgasemissionen der eingesetzten Technologien sein. Unter dieser Maxime sollen sich die besten Lösungen und Ideen im Wettbewerb miteinander bewähren. So ist auch zu konstatieren, dass die komplette Elektrifizierung im Sinne einer ‚all electric world‘ nicht für alle Anwendungsfälle und Sektoren zwangsläufig die beste Lösung ist, insbesondere dort, wo die Energieträger auch als Grundstoff für chemische Verfahren dienen. Gase und flüssige Energieträger werden auch zukünftig eine Rolle spielen, aber in dekarbonisierter, also CO2-neutraler Form. Und drittens muss die Politik einen geeigneten Regulierungsrahmen schaffen, der marktorientiert Anreize setzt, klimafreundliche Entwicklungen fördert und den Marktbeteiligten ausreichend Spielraum bei der Umsetzung lässt.

Mit Wasserstofftechnologien Sektorenkopplung und Dekarbonisierung vorantreiben

Als Dreh- und Angelpunkt für das intelligente Verknüpfen der Sektoren Strom, Wärme, Verkehr und Industrie gilt Wasserstoff. Wasserstofftechnologien sind das zentrale Bindeglied für die Sektorenkopplung. Nach dem Prinzip Power-to-Gas kann überschüssiger, volatil erzeugter Strom aus Windenergie- und Photovoltaikanlagen in Form von ‚grünem‘ Wasserstoff über längere Zeit gespeichert oder an andere Sektoren übergeben werden. Hier gibt es vielfältige Einsatzmöglichkeiten: Das Wasserstoffgas kann zum CO2-neutralen Heizen und als Kraftstoff eingesetzt werden, entweder direkt, als Beimischung, in Brennstoffzellen oder weiterverarbeitet zu synthetischen Kraftstoffen. Als Grundstoff für die Industrie kann es energieintensive Prozesse, beispielsweise in der Stahl- oder Zementherstellung weitgehend dekarbonisieren und so klimaverträglicher gestalten. Derzeit sind allerdings nur geringe Elektrolysekapazitäten für die Erzeugung von ‚grünem‘ Wasserstoff mit Hilfe von erneuerbarem Strom verfügbar, die Erzeugungskosten entsprechend hoch. Nicht nur Wasserstoff aus Power-to-Gas-Anlagen, sondern auch Wasserstoff aus Erdgas kann eine neutrale CO2-Bilanz aufweisen – sofern das bei der Herstellung entstehende CO2 abgetrennt und dauerhaft in sicheren Speicherstätten eingelagert wird oder - wie bei der Methanpyrolyse - lediglich ein fester Kohlenstoff verbleibt. So kann vergleichsweise kostengünstig klimaneutraler ‚blauer‘ oder auch ‚türkiser‘ Wasserstoff erzeugt werden. Auch beim Einbinden von Wasserstoff in der Energiewirtschaft sollte die Maxime der Technologieoffenheit gelten: Um das deutsche Energiesystem effizient zu transformieren, muss es zu fairen Bedingungen möglich sein, alle dabei hilfreichen Technologien zu nutzen. Fair heißt, dass es – wie bei anderen Technologien – staatliche Förderprogramme geben sollte, um die Fortentwicklung auch von Wasserstoffanwendungen schneller in Gang zu setzen und den Markt schnell in Bewegung zu bringen. Sachgerecht ist, eine solche Förderung auf alle Sektoren der Energieverwendung zu beziehen, also nicht nur auf Mobilitätsfragen zu reduzieren. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch, unbedingt auf die zeitliche Befristung der Förderung zu achten. Die Entwicklung der Märkte und die freie Wahl der Technologie darf nicht durch „Dauersubventionen“ verzerrt werden. Nicht nur der bisherige Verlauf der Energiewende in Deutschland zeigt, dass wo immer dies geschieht, die Kosteneffizienz und – häufig genug – die Wirksamkeit der CO2-Minderung leidet.

Wasserstoff und klimaneutrale Gase auch für den Wärmesektor

Insbesondere für den Gebäudesektor gilt außerdem: Es reicht nicht aus, nur Energie zu sparen, sondern sie muss auch klimaverträglich erzeugt werden. 40 Prozent der Haushalte heizen bereits klimafreundlich mit Erdgas: Mit geringen Beimischungen an Wasserstoff oder anderen klimaneutralen Gasen in den bestehenden Gasnetzen lassen sich kurzfristig und mit geringem Aufwand zusätzlich erhebliche Mengen an CO2 einsparen. Auch über moderne Brennstoffzellenheizungen und Kraft-Wärme- Kopplungs-Systeme kann Wasserstoff seinen Beitrag zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung leisten. Die Anschubförderung des Wasserstoffeinsatzes im Wärmesektor würde dazu beitragen, CO2-Emissionen der Gasversorgung noch weiter wirksam zu reduzieren.

Gasinfrastruktur für Wasserstoff nutzen und fit machen

Generell bietet die bestehende Gasinfrastruktur hervorragende Bedingungen für den sukzessiven Umstieg auf Wasserstoff. Das deutsche Gasnetz mit Verteilnetzen und Fernleitungen von insgesamt über 500.000 Kilometern Länge ist für eine Umstellung auf klimaneutrale Gase geeignet und längst in die Energiewende eingebunden. Schon heute kann es Biomethan, Wasserstoffbeimischungen von bis zu zehn Volumen-Prozent sowie synthetisches Methan zu den Verbrauchern leiten. Damit das Leitungsnetz auch höhere Anteile an Wasserstoff aufnehmen kann, muss es zum Teil umgerüstet werden. Nicht mehr benötigte Erdgasleitungen können zudem zu einem parallelen Netz für reinen Wasserstoff umfunktioniert werden. Eine kluge Weiternutzung und Umrüstung bestehender Infrastruktur hilft dabei, auch die Wirtschaftlichkeit der Energiewende im Auge zu behalten. Das hervorragend ausgebaute Gasnetz kann darüber hinaus die Funktion der Energieverteilung zwischen Nord- und Süddeutschland bedienen und als großvolumiger Speicher für überschüssig produzierte Energie aus erneuerbaren Quellen fungieren. Mit seiner zentralen Lage ist das deutsche Gasnetz zudem bereits jetzt mit den Netzen europäischer Partner verknüpft. Die Nutzung der bestehenden Gas-Infrastruktur für die Wasserstoffwirtschaft ist ökonomisch und technisch gesehen ein entscheidender Faktor für den schnellen Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und ein Beispiel hocheffizienter Sektorkopplung.

Erfolg durch Technologieoffenheit und Vertrauen in die Märkte

Um zügig den Klimaschutz in Deutschland voranzubringen gilt es, beim Einstieg in die Wasserstoffwelt alle Optionen zu nutzen. Die Politik muss daher einen Regulierungsrahmen schaffen, der marktorientiert Anreize setzt und klimafreundliche Entwicklungen fördert. Eine Nationale-Wasserstoff-Strategie (NWS), wie sie die Bundesregierung derzeit forciert, ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Sie muss im Einklang mit der geplanten europäischen Wasserstoffstrategie stehen und dazu beitragen, rechtliche und wirtschaftliche Hürden für neue Wasserstofftechnologien abzubauen. Auch hier ist entscheidend, sich innerhalb der staatlichen Leitplanken zum Markt zu bekennen. Im Wettstreit sämtlicher Technologien zur CO2-Reduzierung werden sich die besten Lösungsansätze am Markt beweisen können und entsprechend durchsetzen. Zudem muss sich die nationale Wasserstoffstrategie auch für den Wärmesektor öffnen, um die hochgesteckten Klimaziele zu erreichen. Nur auf diese Weise kann die Energieversorgung insgesamt langfristig gesichert werden und für die Kunden bezahlbar bleiben. Neuen Technologien sollten wir offen gegenüber stehen. Sie temporär anzureizen ist richtig. Sie dem Markt auszusetzen ist der effizienteste Weg die Klimaziele zu erreichen. Als Unternehmen stellt sich die Mainova AG mit Zuversicht diesem Wettbewerb. Nicht minder zuversichtlich sollten wir als Volkswirtschaft sein, die schon viele Male bewiesen hat, dass ohne technologische Verengung und unter Beachtung der Marktprinzipien große Ziele erreicht werden können.
www.mainova.de

Foto: ©Mainova AG

Gasnetze, wie das in Frankfurt, werden eine wichtige Rolle beim Umstieg auf Wasserstoff spielen.