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< Klimaschutzpotenzial von Gas in konkrete Politik übertragen
13.03.2018 17:01 Alter: 6 yrs

Energiewelt von morgen - für ein Level Playing Field sorgen

Fest steht: Die Energiewende – also vor allem der Umbau der Stromerzeugung auf Erneuerbare – wird weiter umgesetzt und in Teilen beschleunigt. Allen Unkenrufen zum Trotz bewährt sich das Instrument der wettbewerblichen Ausschreibung zur Bestimmung der Erneuerbaren-Förderung.


So der Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Homann im Exklusiv-Interview auf dem „Führungstreffen Energie“ am Vorabend der E-World 2018 in Essen.

Foto: Laurence Chaperon

Herr Homann, für Diskussion sorgte im vergangenen Jahr das Thema Ausschreibungen. Wie schätzt die Bundesnetzagentur den aktuellen Stand ein?

Erstmals wird es dieses Jahr gemeinsame Ausschreibungen für Wind und Solar geben. Am ersten April und ersten November werden zwei Runden mit je 200 Megawatt stattfinden. Um der Aufnahmefähigkeit der Stromnetze gerecht zu werden, wird es hier erstmals sogenannte Verteilernetzkomponenten geben. Gebote in Landkreisen mit bisher geringem Ausbau an Erneuerbaren im Verhältnis zur Last erhalten einen Vorteil. Das System wird dadurch natürlich auch komplizierter. Wir sind jedenfalls gespannt, wie sich der technologieübergreifende Wettbewerb auswirken wird. Die bereits etablierten Ausschreibungen für Solaranlagen werden fortgesetzt.

Auch bei Wind an Land wird es weitere Ausschreibungen geben. Es wird sich zeigen, ob der Trend sinkender Zuschlagswerte anhält. Bei Solaranlagen hatten wir zuletzt einen durchschnittlichen Zuschlagswert von 4,91 ct/kwh (Oktober 2017). Bei Wind-an- Land einen Wert von 3,82 ct/kwh (Nov. 2017).

Diskutiert wird wohl zu Recht über Privilegien für Bürgerenergiegesellschaften?

Die rechtlichen Vorgaben führten hier in der Realität zu Unternehmenskonstrukten, welche zwar rechtskonform sind, bei denen Politik und Branche aber fragen, welchen Bürgerbezug – außer ihrem Namen – sie haben. Und es führte auch oft zu Geboten, die einer „Wette auf die Zukunft“ gleichkommen.

Die Privilegien für sogenannte Bürgerenergiegesellschaften werden nun für die Ausschreibungen im Februar und Mai dieses Jahres gesetzlich ausgesetzt. Das begrüße ich sehr. Die Bundesnetzagentur hat sich dafür eingesetzt, die Privilegien für solche Gesellschaften ganz abzuschaffen. Dies scheinen die künftigen Koalitionäre auch so zu sehen.

Haben sich die Ausschreibungen bei Offshore-Wind bewährt?

Die erste Ausschreibung 2017 war eine große Überraschung. Zuschläge ohne Förderung für einen Großteil der erfolgreichen Projekte – so etwas hat kaum jemand erwartet. Auch wenn längst nicht ausgemacht ist, dass sich ein solches Ergebnis in der zweiten Ausschreibungsrunde am 1. April dieses Jahres wiederholt.

Der Gesetzgeber hat einen Teil der zur Versteigerung kommenden Menge für Windparks in der Ostsee „reserviert“, die 2021 bis 2022 ans Netz gehen. Hinzu kommt, dass das Bieterfeld in der Nordsee in der zweiten Runde dünner ist. Es ist schwer vorauszusagen, wie sich dies auf das Ausschreibungsergebnis auswirkt.

Aber nichts desto trotz bewährt sich das Instrument der wettbewerblichen Ausschreibung zur Bestimmung der Erneuerbaren-Förderung. Ich bin auch zuversichtlich, dass Befürchtungen, die erfolgreichen Projekte würden letztendlich gar nicht gebaut, sich als unberechtigt erweisen werden.

Wie schätzt die Bundesnetzagentur den Stromnetzausbau ein?

Der Ausbau unseres Stromnetzes ist ein wichtiger und zentraler Baustein für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende in Deutschland. Die Bundesnetzagentur wird deshalb weiter nach Kräften das ihre dafür tun, dass der Stromnetzausbau voran geht. Erfreulich ist, dass wir bei den zentralen Nord-Süd-Gleichstromprojekten deutlich vorankommen. Alle 17 Antragskonferenzen für die großen Höchstspannungs-Gleichstrom- Erdkabelprojekte, den sog. SuedLink sowie SuedOstLink, wurden durchgeführt.

Auch bei der Realisierung von Vorhaben geht es weiter. Insgesamt sind bei den Projekten des sog. „Startnetzes“ (Energieleitungsausbaugesetzes, EnLAG) rund 1.000 km genehmigt und davon rund 750 km realisiert. Das sind aber erst rund 40 % der Gesamtlänge. Weitere rund 600 km befinden sich in laufenden Raumordnungs- oder Planfeststellungsverfahren. Die Übertragungsnetzbetreiber rechnen mit einer Fertigstellung von rund 80 % des Startnetzes bis Ende 2020.

Geht es auch beim „Zubaunetz“ voran?

Bei den Vorhaben aus dem „Zubaunetz“ (Bundesbedarfsplan, insgesamt rund 5.900 km) konnten die Bauarbeiten auf einigen Strecken fortgesetzt bzw. begonnen werden. Insgesamt sind jetzt ca. 450 km genehmigt und davon rund 150 km realisiert. Für rund 600 km sind Raumordnungs- und Planfeststellungsanträge bei den Länderbehörden gestellt worden. Weitere rund 2.400 km befinden sich gegenwärtig im Bundesfachplanungsverfahren in Zuständigkeit der Bundesnetzagentur. Für diese werden die Erörterungstermine schrittweise ab der 2. Jahreshälfte 2018 stattfinden, Entscheidungen über Trassenkorridore wird es wohl 2019 geben.

Ein Schwerpunkt bleibt der Ausbau des Wechselstromnetzes…

Wichtig ist hier vor allem eine Festlegung über den Ausbau des Wechselstromnetzes zwischen Hessen, Thüringen und Bayern. Dieser Ausbau wird seit mehreren Jahren kontrovers diskutiert, was die Dringlichkeit einer Entscheidung leider verstärkt hat. Es geht um die sogenannten Projekte P43 und P44 in Süddeutschland. Dies sind in Bayern, Hessen und Thüringen sehr bekannte aber zugleich umstrittene Projekte, die allerdings beide erforderlich sind.

Es gibt jedoch mehrere fachlich mögliche Varianten. Die Bundesnetzagentur hat sowohl die Originalprojekte wie auch die Alternativen vollständig und in allen jeweils möglichen Kombinationen elektrotechnisch durchgeprüft. Die diversen Kombinationen der Originalprojekte und der Ausführungsalternativen können elektrotechnisch als nahezu gleichwertig eingestuft werden. Der Ball liegt nun bei der Politik.

Bringt weitere Verzögerung einen Kostenanstieg?

Jede weitere Verzögerung wird sich in Form von Kosten für das Engpassmanagement auf den Rechnungen der Verbraucher niederschlagen. Es muss jedem klar sein, was es bedeutet, wenn wir es nicht schaffen, die notwendigen Stromleitungen rechtzeitig zu bauen. Dann wird die EU-Kommission Deutschland in Strompreiszonen aufteilen. Die Mitgliedstaaten sollen eine drohende Gebotszonenaufteilung nur abwenden können, indem sie einen Aktionsplan aufstellen, der bis 2025 sicherstellt, dass 75 % der thermischen Kapazität für den grenzüberschreitenden Stromtransport genutzt werden können. Das funktioniert nur, wenn wir den Netzausbau bis dahin realisiert haben. Mit Redispatch lässt sich das in vernünftigen, bezahlbaren Größenordnungen nicht mehr in den Griff bekommen.

Wie steht es um die Netzentwicklungspläne?

Ende Dezember haben wir die Netzentwicklungspläne 2017-2030 bestätigt. Sie zeigen, was nach Fertigstellung der bereits gesetzlich beschlossenen Projekte an Netzausbau erforderlich sein wird. Ein wichtiges Ergebnis: Alle Vorhaben des geltenden Bundesbedarfsplans sind weiterhin erforderlich.

Die Bundesnetzagentur empfiehlt 16 neue Vorhaben zur Aufnahme in den Bundesbedarfsplan. Der Umfang dieser Vorhaben ist überschaubar und dennoch tragen sie in erheblichem Umfang dazu bei, das Übertragungsnetz für die zukünftigen Anforderungen adäquat auszulegen. Zudem sind diese Vorhaben unabhängig von zukünftigen Weichenstellungen in jedem Falle notwendig. Sie fördern die Integration erneuerbarer Energien und wirken dem Anstieg der Kosten für Netzengpässe nachhaltig entgegen. Das gilt erst recht angesichts der Diskussion, den Ausbaupfad für die Erneuerbaren noch steiler anzulegen als bisher gedacht. Auch hier ist die Politik nun gefordert, hieraus Schlussfolgerungen für das Bundesbedarfsplan- Gesetz zu ziehen.

Welche Folgen hat es, auf den Netzausbau zu verzichten?

Die Politik diskutiert Möglichkeiten, um sich den ungeliebten Netzausbau zu ersparen. Doch allein mit einer besseren Auslastung des Bestandsnetzes erreichen wir das Ziel nicht, auch wenn dies mancher zu glauben scheint. Alle bekannten und technisch sicheren Maßnahmen zur Optimierung des Netzes werden schon heute selbstverständlich bei der Netzplanung berücksichtigt.

Zuletzt habe ich in Diskussionen den Vorschlag gehört, das n-1-Prinzip aufzugeben und für die Sicherheit des Stromnetzes auf intelligente Netze zu setzen. Wer dies fordert, sollte dann auch klar sagen, dass mit der Aufgabe des n-1-Prinzips die Sicherheit der Stromnetze sinkt und hierfür auch die politische Verantwortung übernehmen. Und er sollte nicht die Illusion schüren, dass dies uns vor einem weiteren Ausbau des Stromnetzes bewahrt.


Weiterhin wird aber um Alternativen zum Stromnetzausbau diskutiert…

Es werden immer wieder vermeintliche Alternativen zum Stromnetzausbau angepriesen. Power-to-Gas wird häufig solches Potenzial zugeschrieben. Power-to-Gas ist eine interessante Technologie und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sie sich in einigen Jahrzehnten bei fast vollständiger erneuerbarer Stromversorgung als die entscheidende Speichertechnologie herausstellt. Sie ist jedoch auf absehbare Zeit kein sinnvoller Ersatz für Netzausbau. Die Forderung einiger Gasnetzbetreiber, selbst Power-to-Gas Anlagen bauen und betreiben zu dürfen, kann ich daher nicht unterstützen.

Ungeachtet der horrenden Kosten, die gegenwärtig durch die Engpässe im Stromnetz entstehen, liegen die tatsächlich abgeregelten Mengen erneuerbarer Energien im einstelligen Prozentbereich. Es sollten daher keine Geschäftsmodelle unterstützt werden, die letztlich am besten florieren würden, wenn weiterhin Netzengpässe bestehen. Flexibilität und Speicher müssen sich im Markt beweisen. Dieser darf nicht durch Sonderregeln für einzelne Technologien verzerrt werden. Netzbetreiber erfüllen im liberalisierten Stromund Gasmarkt eine dienende Funktion, indem sie die notwendige Netzinfrastruktur zur Verfügung stellen.

Sicher werden wir noch viele interessante technische Entwicklungen im Bereich der Stromversorgung sehen. Wir müssen für alle offen sein und für ein level playing field sorgen. Dafür steht die Bundesnetzagentur.

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