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05.12.2018 15:41 Alter: 5 yrs

Energiepolitik am Klimaschutz ausrichten

Eine Politik, die sich nur am vermeintlich Machbaren orientiert und Wandel als Risiko begreift, büßt ihre Legitimitätsgrundlage ein. Dieser Meinung sind aktuell nicht wenige Bürger der Bundesrepublik.


Aus Sicht der Energiewirtschaft nimmt Josef Hasler, Vorstandsvorsitzender der N-ERGIE Aktiengesellschaft in Nürnberg, dieses Thema auf und fordert, Energiepolitik nun konkret am Klimaschutz auszurichten.

Foto: N-ERGIE/ C. Felix

Die Ereignisse im Hambacher Forst werfen ein Schlaglicht auf die aktuelle Lage der Energiepolitik – wenn das mutlose Agieren der derzeitigen Bundesregierung denn überhaupt als Energiepolitik bezeichnet werden kann. Deutschland verfehlt die Klimaziele für 2020 und der Bundesgerichtshof stellt dem Wirtschaftsministerium ein vernichtendes Zeugnis bei der Umsetzung dieses Generationenprojekts aus.

Während große Teile der Bevölkerung den Ernst der Lage und die zentrale Bedeutung der Klimaschutzziele erkannt haben, richtet der Wirtschaftsminister seine Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien an der vorhandenen Infrastruktur aus, anstatt diese mittels intelligenter Maßnahmen an ehrgeizige Ausbauziele anzupassen.

Eine Politik aber, die sich nur noch am vermeintlich Machbaren orientiert und Wandel primär als Risiko begreift – Stichwort Kohleausstieg –, gibt eben mehr auf als nur ihren Gestaltungswillen: Sie büßt ihre Legitimitätsgrundlage ein. Die derzeitige Schieflage resultiert aus der einseitigen Fokussierung auf den Stromsektor, der wiederum beinahe ausschließlich auf den Ausbau der HGÜ-Trassen reduziert wird. Was wir dagegen benötigen, ist eine Politik, die sich ernsthaft und primär an den Klimazielen ausrichtet.

Stromerzeugung: Kohleausstieg ist kurzfristig möglich

Zentrales Element einer solchen Politik im Bereich der Stromerzeugung ist ein möglichst rascher Ausstieg aus der Kohleverstromung. Eine kürzlich von Agora Energiewende veröffentlichte Studie weist nach, dass die schrittweise Reduzierung der Kohleverstromung von heute 46 auf 16 Gigawatt bis zum Jahr 2030 zum großen Teil durch den Ausbau erneuerbarer Energien kompensiert werden kann. Die daraus resultierende Reduktion des CO2-Ausstoßes um 66 Prozent auf rund 80 Mio. Tonnen führt nach den von Agora in Auftrag gegebenen Berechnungen nicht zu den befürchteten Kostensteigerungen, sondern erfolgt für nicht privilegierte Haushaltsund Gewerbekunden kostenneutral und sogar mit Kostenvorteilen für die von der EEG-Umlage befreiten stromintensive Industrie. Zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit schlägt die Studie neben der Integration des europäischen Stromverbunds mehr Lastmanagement sowie zusätzliche Gaskraftanlagen vor.

Eine im Juli 2018 veröffentlichte Studie der RWTH Aachen kommt zu dem Ergebnis, dass allein mit den bereits bestehenden Gaskraftwerken ein kurzfristiger Kohleausstieg kompensiert werden könnte, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. In dem untersuchten Szenario bis 2020 sinkt der CO2- Ausstoß um rund 70 Millionen Tonnen, die höheren Primärenergiekosten in Höhe von 3,6 Mrd. Euro machen lediglich rund 0,6 Cent pro Kilowattstunde aus. Auch, so die Studie, seien die zur Substitution der Kohlerzeugung geeigneten Gaskraftwerke relativ homogen über ganz Deutschland verteilt – im Süden Deutschlands beispielsweise die Gaskraftwerke Irsching 4 und 5. Die Bundesregierung kann sich also nicht länger hinter Argumenten wie Versorgungssicherheit und Kostensteigerungen verstecken. Vielmehr sollte sie, um die Transportkosten so gering wie möglich zu halten, den Ausbau erneuerbarer Energien vor allem dort vorantreiben, wo Energie auch benötigt wird.

Die Bürger würden eine solche Politik mittragen, wie eine aktuelle repräsentative Befragung von Kantar Emnid zeigt: 93 % sprechen sich demnach für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien aus. Bei den Befragten, die in der Nähe von Solar- oder Windparks wohnen, fiel die Akzeptanz sogar höher als im Bevölkerungsdurchschnitt aus.

Netze dezentral und intelligent betreiben

Dennoch fokussiert die Politik noch immer einseitig auf den Ausbau der HGÜ-Trassen. Diese Einseitigkeit ist nicht nur deshalb falsch, weil sie die Energiewende auf den Stromsektor reduziert. Sie negiert auch, dass die Energiewende im Stromsektor de facto auf der Verteilnetzebene stattfindet. Denn weit über 90 Prozent aller Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien sind am Verteilnetz angeschlossen. Ebenso wird eine wachsende Anzahl an Batteriespeichern auf dieser Ebene eingebunden.

Längst erfüllen Verteilnetzbetreiber systemrelevante Aufgaben, die bisher ausschließlich bei den Übertragungsnetzbetreibern lagen. Diese Aufgaben- und Verantwortungsverschiebung erfordert dringend eine Anpassung des Rechtsrahmens. Er sollte so gestaltet sein, dass nach dem Subsidiaritätsprinzip Netzaufgaben soweit wie möglich auf jener Ebene erfüllt werden, auf der sie entstehen. Mit einer solchen dezentral verteilten Systemarchitektur sinkt nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines flächendeckenden Blackouts durch Hackerangriffe. Sie ist auch wirtschaftlich, weil durch eine regional optimierte Aussteuerung von Erzeugungsanlagen, Verbrauchern und Speichern weniger Windkraftund PV-Anlagen abgeregelt werden müssen. Die Voraussetzungen für eine stärkere Rolle der Verteilnetzbetreiber sind durch digitale Technologien gegeben.

Sektorenübergreifend denken und handeln

Renommierte Forschungseinrichtungen und Think Tanks wie dena oder Prognos zeigen, dass es zum massiven Ausbau der HGÜ- Trassen kostengünstigere und technisch zukunftsweisende Alternativen gibt. Diese schließen alle Sektoren ein – schließlich wird im Wärmebereich rund zweieinhalb Mal so viel Energie wie im Stromsektor verbraucht und im Verkehrssektor das Anderthalbfache. Benötigt werden ganzheitliche, technologieoffene Lösungskonzepte. Dabei spielt die Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch etwa durch Speicher oder Power-to-Gas eine zentrale Rolle. Wie Klimaschutz und Energiewende auf der regionalen Ebene konzipiert und umgesetzt werden können, zeigt die Europäische Metropolregion Nürnberg. Über 50 Spitzenvertreter aus Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Umweltschutzverbänden entwickelten im März 2018 ein ganzheitliches Maßnahmenpaket für die Sektoren Gebäude, Energie und Verkehr. Bis 2030 will man 40 % oder 11 Mio. Tonnen des in diesen Sektoren emittierten CO2 einsparen. Das Maßnahmenpaket reicht von der Gebäudesanierung über den Ausbau der Erneuerbaren unter verstärkter Bürgerbeteiligung bis zum flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur, Umstellung von Fuhrparks und dem Ausbau des ÖPNV.

Nun ist die Regierung am Zug, sich aus ihrer Erstarrung zu lösen und endlich die richtigen Rahmenbedingungen für eine ganzheitliche und am Klimaschutz orientierte Energiepolitik zu setzen.

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