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01.02.2019 17:18 Alter: 5 yrs

Ein Europa, das schützt und nützt

Die Europäische Union ist in Bewegung, wie sich nicht nur am Beispiel Brexit zeigt. Auch in Deutschland wird diskutiert, wieviel Brüssel noch zumutbar ist. Am 26. Mai 2019 wählen die Bürger das neue Europäische Parlament. Sicher eine Abstimmung für künftige Richtungsentscheidungen.


Hermann Winkler, Mitglied der EVP - Fraktion im Europäischen Parlament und Sprecher der ostdeutschen CDU-Abgeordneten plädiert für mehr Sachsen in Europa. Wir befragten ihn zu seinen Gedanken im Vorfeld der Wahl.

Foto: Europäisches Parlament 2018

Herr Winkler, wie sieht man in Brüssel die Stimmung im Vorfeld der Wahl am 26. Mai?

Eine Antwort gibt sicher das kurz vor Jahresende ermittelte Europabarometer. Danach stehen EU-weit Fragen rund um Einwanderung (50 Prozent) auf Platz eins der wichtigsten Wahlthemen. Auf Platz zwei und drei stehen die Themen Wirtschaft und Wachstum sowie der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit (47 Prozent). Das Image des Europäischen Parlaments bewertet nur ein Drittel positiv, ein Fünftel empfindet es als negativ und eine relative Mehrheit von 43 Prozent ist neutral eingestellt.

Immerhin 62 Prozent der Deutschen geben an, dass sie durchaus an der Europawahl im Mai 2019 interessiert sind. Und 8 von 10 Deutschen halten die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache. Allerdings ist die Hälfte der Befragten nicht zufrieden mit der Richtung, in die sich die EU entwickelt. In der Kampagne für die kommende Europawahl wünschen sich die Deutschen neben Diskussionen zu Klimawandel und Umweltschutz vor allem die Themen Wirtschaft und Wachstum. Auch sollte das Europäische Parlament künftig eine größere Rolle spielen. Aktionen der Kommission hin zu mehr Brüssel und Regulierung treffen vor allem in der Wirtschaft kaum auf freudige Zustimmung. Wenn ich in Unternehmen und bei Veranstaltungen in Sachsen unterwegs bin, ist das Stimmungsbild allerdings noch etwas getrübter. Hier erlebe ich große Unterschiede in der Stimmungslage zwischen Brüssel und Deutschland.

Ein interessantes Stimmungsbild, können Sie mit dem heutigen Europa zufrieden sein?

Ein klares „Nein“, aber ich möchte Europa unbedingt erhalten und ich möchte ein Europa das schützt und nützt. Für mich stellt sich die Situation wie folgt dar: Einerseits befindet sich die Europäische Union seit 2009 permanent im Krisenmodus. Staatsschuldenkrise, Lehmann-Pleite, Flüchtlingskrise, Brexit, das Erstarken von Nationalisten und Populisten. Der Fakt, dass ein Mitgliedsstaat erstmals die EU verlassen wird, beschäftigt und belastet uns alle enorm.

Andererseits merken wir gerade jetzt, dass in Zeiten von „America first“ nur ein starkes, gemeinsam agierendes Europa seine Chancen im globalen Wettbewerb behalten kann. Dass wir seit über 70 Jahren in Frieden in den Grundfreiheiten der EU miteinander leben und arbeiten, gerät leider oft in den Hintergrund und dass der europäische Binnenmarkt, in den wir 60 Prozent unserer Waren exportieren, auch viele für ostdeutsche Firmen eine Chance bietet, darf nicht vergessen werden.

Was kommt? Was wollen Populisten?

Wir haben eine Riesenchance, mit unserem EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber von der CSU erstmals seit Walter Hallstein wieder einen deutschen Kommissionspräsidenten zu stellen. Ich kenne Manfred Weber als besonnenen, konstruktiven, gut vernetzten Europapolitiker, der jedoch nicht an Brüsseler Seilschaften hängt. Seine, wie ich finde, treffende Formulierung: „Europa den Menschen zurückgeben“ ist eine Richtschnur für unser zukünftiges Handeln. Auf den Brüsseler Fluren hat sich in den vergangenen Jahren zu viel verselbständigt. Zu viele Eigeninteressen, zu viel Detailverliebtheit und Bevormundung. Das haben Populisten in ganz Europa genutzt und deshalb ist die Akzeptanz unserer Politik auch so gering.

Welche Themen waren für Sie in der zurückliegenden Legislaturperiode wichtig?

Themenübergreifend war mir eines wichtig: Wir müssen dafür sorgen, dass wir in Brüssel und Straßburg wirklich nur die großen, grenzübergreifenden Dinge regeln und perspektivisch auch bereit sein, Verantwortung wieder an die nationale, regionale und kommunale Ebene zurückzugeben. Hier haben wir bereits Fortschritte erzielt. Waren es in der Barosso-Kommission noch ca. 100 Gesetzesinitiativen pro Jahr, die aus der Kommission an das Parlament zur Beratung überwiesen wurden, hat sich diese Zahl in dieser Legislatur auf ca. 25 pro Jahr reduziert.

Für Ostdeutschland wird wieder die Förderperiode der EU-Strukturfonds ab 2021 wichtig. Denn das sind die Investitionen in die Infrastruktur und die Aufträge für den Mittelstand. Allein in den Freistaat Sachsen flossen seit den 90er Jahren ca. 20 Milliarden Euro reines EU-Geld.

Die Kopplung mit dem EU-Forschungsprogramm „Horizont Europa“ ist für mich ein weiterer Schwerpunkt. Bei den Verhandlungen zum nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen 2021-2027 beispielsweise setzt sich das Europäische Parlament für eine signifikante Erhöhung der EU-Investitionen in Forschung und Innovation, einen deutlichen Fokus auf Schlüsseltechnologien und eine industriefreundliche Ausrichtung ein. Es soll das ehrgeizigste Programm der EU in diesem Bereich werden und sichern, dass sich die EU bei der Forschung und Innovation an der Weltspitze behaupten kann. Die EU-Kommission will in den nächsten sieben Jahren knapp 100 Milliarden Euro für Forschung und Innovation ausgeben, das EU-Parlament fordert sogar ein Budget von 120 Milliarden Euro.

Sie sind Mitglied im Ausschuss für Energiepolitik. Welche Schwerpunkte setzte hier die EVP-Fraktion?

Europa braucht eine nachhaltige gemeinsame Energiepolitik mit einem funktionierenden gemeinsamen Energiemarkt auf der Grundlage von Marktprinzipien. Zusammen mit einer entsprechenden Infrastruktur würde dies zu mehr Sicherheit, Unabhängigkeit und Diversität unserer Energieversorgung führen. Und zudem wettbewerbsfähige und erschwingliche Energiepreise fördern, die ein Abwandern von Industrie verhindern aber auch zu Wachstum und Beschäftigung beitragen.

In Zukunft sollten wir damit aufhören, mit Energiepolitik unsere verfehlte Außenpolitik zu kaschieren. Der Kampf gegen das Projekt Nord Stream 2 ist so ein Beispiel. Es ergibt einfach keinen Sinn: Flüssiggasterminals an der Ostseeküste zu bauen, um teures, qualitativ schlechtes Fracking-Gas aus den USA per Schiff zu importieren, obwohl besseres Gas per Pipeline aus Russland kommen könnte. Zumal die Weiterleitung in der Trasse EUGAL, die von von der Ostsee bis nach Tschechien führt, ja gegeben ist und gerade Ostdeutschland mit Gas versorgen kann.

Unsere CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament steht für eine nachhaltige Umweltund Klimapolitik. Deshalb haben wir maßgeblich eine Reform des europäischen Emissionszertifikatehandels (ETS) vorangebracht. Denn neben einem ambitionierten Emissionshandel brauchen wir für energieintensive Industrien, die aus technischen Gründen nicht CO2-frei produzieren können, Schutzregeln, damit sie nicht abwandern. Gegen die grünen und linken Fraktionen konnten wir moderate und flexible Energieeinsparvorgaben durchsetzen, die weder das Wirtschaftswachstum abwürgen, noch den Strukturwandel behindern.

In Deutschland wird Klimaschutz stark ideologisch diskutiert. Wie sieht man dies mit dem Blick aus Brüssel?

Die Kommission hat am 28. November 2018 die Vision eines klimaneutralen Europas vorgelegt. Danach soll es ab 2050 in der EU keine Netto-Emissionen von Treibhausgasen mehr geben. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht versuchen, ein klimapolitisches Perpetuum mobile zu bauen. Etappenziele sind bis 2030 die Verringerung um 40 % und bis 2040 um 60 %, jeweils bezogen auf den Stand von 1990. Es werden strategische Schlüsselbereiche aufgezeigt, mit denen die Vision einer klimaneutralen Zukunft erreicht werden könnte. Positiv ist zu sehen, die vorgelegte Strategie verzichtet auf die Ausweisung von konkreten Zielwerten, denn Planwirtschaft führt nicht zum Ziel.

Auch die Diskussion um Stickoxidbelastung muss ideologiefrei werden. Der Verkehrssektor ist nur für rund ein Viertel der weltweiten Co-Emissionen verantwortlich. Denn wenn rd. 95 % der Emissionen des EU-28 Transportsektors aus dem Straßenverkehr resultieren, kann nicht allein Deutschland der Schwarze Peter sein. Notwendig ist deshalb eine globale Reduktion der Treibhausgasemissionen, bei der wirklich alle Länder und alle Sektoren ihren Beitrag leisten.

Sie sind in Sachsen zuhause. Wie berührt Sie die aktuelle Diskussion zum schnellen Kohleausstieg?

Für die Sicherung unserer Energieversorgung leistet Braunkohle als heimische Energieressource, die in großen Mengen und wirtschaftlich gewinnbar ist, nach wie vor einen unverzichtbaren Beitrag. Ohne Braunkohle keine sichere Energieversorgung. Zudem steht die Braunkohlenindustrie neben einer subventionsfreien Strom- und Wärmeproduktion auch für qualifizierte Beschäftigung sowie eine international anerkannte Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaft.

Es greift zu kurz, die Energiewende auf die symbolhafte Schließung von modernen Kohlekraftwerken zu reduzieren. In der aktuellen Debatte wird oft übersehen, dass es den engen Verbund von Tagebauen und Kraftwerken gibt. Deren Infrastruktur muss auch nach Stilllegung weiter gepflegt werden und die weitreichenden Folgen für die Kommunen und die Region gesehen werden. Ein politisch gewollter Strukturwandel geht nicht ohne die Menschen und Unternehmen, die hier seit Jahrzehnten wohnen und arbeiten. Die Region und die Menschen müssen eine wirkliche Perspektive erhalten.

Bei den anstehenden politischen Weichenstellungen in Deutschland ist es deshalb notwendig, die Balance von Klimaschutz, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit zu wahren. Die Zielstellung muss weiterhin sein, Umwelt und Klima schützen und zugleich die industrielle Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das ist entscheidend für den Fortbestand unserer Industrienation.