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Effizienz als Leitlinie des neuen Regulierungsrahmens?
„Das Ziel eines effizienteren Regulierungssystems wird mit den vorgesehen Änderungen nicht zu erreichen sein.“
In einem Gastbeitrag für THEMEN!magazin stellt Rechtsanwalt und BBH-Partner Axel Kafka die Frage, ob der im sogenannten NEST-Prozess derzeit konsultierte, neue Regulierungsrahmen den von der Bundesnetzagentur (BNetzA) selbst gesteckten Zielen einer Entbürokratisierung und Effizienz der künftigen Regulierungsverfahren und den Anforderungen der Energie- und Wärmewende entspricht.
Für die 19. Auflage der Regulierungskonferenz des AK REGTP der BBH-Gruppe mit rd. 400 Teilnehmern aus Energiewirtschaft, Regulierungsbehördenpraxis und Wissenschaft konnte das Thema aktueller nicht sein: „Neujustierung des Regulierungssystems – Epochenwechsel in der Regulierung“.
Die Neugestaltung des nationalen Regulierungsrahmens markiert seit Beginn des Jahres 2024 einen regulatorischen Wendepunkt. Ausgelöst durch ein Urteil des EuGH vom 2.9.2021, wonach das durch Vorgaben im EnWG und diese konkretisierenden Verordnungen der StromNEV, GasNEV und ARegV geprägte System der „normativen Regulierung“ als mit den Vorgaben der Strom- und Gasbinnenmarktrichtlinien nicht vereinbar bewertet wurde, kommt der BNetzA die Aufgabe zu, dieses bis spätestens Ende 2028 durch ein eigenes Festlegungssystem zu ersetzen.
Die Teilnehmer der 19. Regulierungskonferenz hatten in diesem Zusammenhang die Gelegenheit, die Anfang 2025 im Rahmen des sog. NEST-Prozesses der BNetzA veröffentlichten Festlegungsentwürfe mit Vertretern aus Regulierungsbehörden, Gerichten und Wissenschaft zu diskutieren. Im Juni 2025 ist der sog. „NEST“-Prozess (Netze. Effizient. Sicher. Transformiert), der das Ziel Effizienz bereits im Titel trägt, mit offiziellen Entwürfen der Festlegungen RAMEN Strom und Gas als Nachfolgeregelungen der ARegV, sowie der StrromNEF/GasNEF als Nachfolgeregelungen der StromNEV/GasNEV in seine heiße Phase eingetreten. Er soll nach Planungen der BNetzA im November/Dezember 2025 einen ersten Abschluss finden. Ein Zwischenfazit im Hinblick auf das ursprünglich verfolgte Ziel einer höheren Effizienz und Entbürokratisierung der Regulierungssystematik fällt freilich in weiten Teilen ernüchternd aus.
Effizienz der Regulierung oder Effizienz der Netzbetreiber?
So darf mit guten Gründen bezweifelt werden, ob das zu Beginn des NEST-Prozesses ausgegebene Ziel einer Entbürokratisierung und Vereinfachung des Regulierungssystem mit dem für viele überraschenden Vorschlag der BNetzA, die Dauer der Regulierungsperioden von bisher fünf auf drei Jahre zu verkürzen, zu erreichen ist. So geraten die Regulierungsbehörden schon heute mit einer Vielzahl von Regulierungsentscheidungen in einen zeitlich erheblichen Rückstand. Die pünktliche Festlegung von Erlösobergrenzen (EOG) vor Beginn einer Regulierungsperiode (RP) ist in der der derzeitigen Praxis eher die Ausnahme, denn die Regel. Die EOG Gas für die 4. RP Gas (2023-2027) werden z.B. gerade erst und damit im bereits dritten Jahr der bislang noch von fünfjährigen RP erlassen. Eine Verkürzung der RP wird so absehbar zu noch größeren zeitlichen Verwerfungen führen, ein Regulierungschaos droht.
Die seitens der BNetzA angeführte Motivation für die geplante Verkürzung der Regulierungsperioden, nämlich die Verkürzung der Refinanzierungsmöglichkeiten im Bereich der operativen Kosten, mag dabei nicht recht überzeugen, führt diese doch nur zu einer Verringerung des Refinanzierungs-Zeitversatzes von durchschnittlich fünf Jahren auf vier Jahre.
All diese Kritik hat die BNetzA freilich bisher nicht davon abgehalten, an ihren Plänen zu einer Verkürzung der Regulierungsperioden festzuhalten, was die Vermutung bestärkt, ihr geht es tatsächlich allein um eine Erhöhung des Effizienzdrucks, weniger um eine höhere Effizienz des künftigen Regulierungssystems. So geht mit der Verkürzung der RP auch eine Halbierung des zeitlichen Effizienzabbaupfades von bisher vier Jahren auf dann zwei Jahre einher. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Anreizfunktion eine Anreizregulierung in Zukunft noch haben soll, die für die Netzbetreiber im besten Fall einen Planungshorizont von zwei Jahren zum Abbau von Ineffizienzen vorsieht.
Regulatorische Anerkennung gesetzlicher Realitäten? Stilllegung und Rückbau von Gasnetzen
Was die mit Blick auf das gesetzliche Ziel einer dekarbonisierten Energie- und Wärmeversorgung ab dem Jahr 2045 erforderlichen Änderungen des künftigen Regulierungsrahmens für Gasverteilernetze betrifft, hat die BNetzA mit ihrer KANU 2.0-Festlegung einen ersten Schritt gemacht, der eine entsprechende Verkürzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauern ermöglicht, womit diese Kosten auf eine jetzt noch vergleichsweise breite Netznutzerbasis verteilt werden können.
Im Hinblick auf die ebenfalls bereits heute absehbaren und weitgehend bezifferbaren Kosten für Stilllegung und Rückbau von Gasnetzen tut sich die BNetzA weiterhin schwer. So wird in dem Festlegungsentwurf RAMEN Gas nur die Möglichkeit des späteren Erlasses einer gesonderten Festlegung zur Berücksichtigung von Kosten im Zuge der Rückstellungsbildung für Stilllegung und unvermeidbaren Rückbau von Gasnetzen in Aussicht gestellt. Auch das Festhalten an der Durchführung eines Effizienzvergleichs für die 5. RP Gas trotz inzwischen völlig unterschiedlicher Abschreibungsverläufe zwischen den beteiligten Netzbetreibern und das Festhalten an dem sog. generellen sektoralen Produktivitätsfaktors in einem schrumpfenden Wirtschaftssektor lässt Zweifel an einer konsistenten Ausrichtung des künftigen Regulierungssystems aufkommen.
Ausbau Stromnetze und Integration erneuerbarer Erzeugung
Gegenstand intensiver Diskussionen sind insbesondere auch die künftigen regulatorischen Stellschrauben zur Sicherstellung durch die Integration von Erneuerbaren Energien erforderlichen Investitionen in den weiteren Ausbau der Stromnetze. Die Investitionsvolumina sind erheblich, weshalb die regulatorischen Rahmenbedingungen so zu setzen sind, dass sie die Investorenseite ansprechen. Ob dieses Ziel mit einem weiterhin rein rückwärtsgewandten Betrachtungshorizont bei der Bestimmung der Inputparameter wie risikolosem Zinssatz und Marktrisikoprämie zu erreichen ist, erscheint zweifelhaft. Diese Zweifel werden verstärkt durch die Ablehnung einer routinemäßigen Plausibilisierung anhand der Ergebnisse von Regulierungsbehörden auf europäischer und internationaler Ebene.
Im Zusammenhang mit dem auf eine zeitnahe Refinanzierung der mit der Integration erneuerbarer Energien verbundenen operativen Aufwendungen gerichteten OPEX-Aufschlag für die 5. RP Strom stößt insbesondere der Ausschluss der überwiegenden Anzahl aller Stromnetzbetreibern von diesem Mechanismus, nämlich denjenigen im sog, vereinfachten Verfahren der Anreizregulierung, auf Unverständnis.
Effizienz und effektiver Rechtsschutz
Rechtssicherheit und effektiver Rechtsschutz sind denn auch weitere Anforderungen, unter denen das neue Regulierungsregimes diskutiert und an denen es künftig zu messen sein wird. Nicht nur für Netzbetreiber und Netznutzer, auch für potenzielle Investoren in den weiteren Netzausbau ist ein stabiles und hinsichtlich seiner Ergebnisse gerichtlich überprüfbares Entgeltregulierungsregime von immenser Bedeutung. Mit der durch das EuGH-Urteil erzwungenen EnWG-Novelle Ende 2023 ist die BNetzA faktisch zum regulatorischen Verordnungsgeber geworden. Mit dem Wegfall der detaillierten gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Vorgaben sowie dem Rückzug des deutschen Gesetzgebers auf die Vorgabe nur weniger politischer Leitlinien in §§ 1, 21, 21a EnWG geht überdies eine signifikante Verringerung der Normdichte einher, zumal die insoweit maßgeblichen Vorgaben aus den europäischen Richtlinien ein äußerst hohes Abstraktionsniveau aufweisen.
Anmerkung
Mit abnehmender Regelungsdichte muss zwingend eine entsprechend höhere gerichtliche Kontrolldichte einhergehen, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dabei erweist sich die rechtliche Qualität der im derzeitigen NEST-Prozess diskutierten Festlegungen insoweit als Problem, als diese – anders als Verordnungen –in Bestandskraft erwachsen und damit einer gerichtlichen Kontrolle entzogen wären. Es ist daher an den Gerichten, in Teilen aber auch am Gesetzgeber selbst, die für einen effektiven Rechtschutz erforderlichen Rahmenbedingungen zu gestalten.
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