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Dynamik des Transformations- prozesses voranbringen
„Flexibilität ist das Sicherheitsnetz der Energiewende. Jetzt ist der Moment, es tragfähig zu knüpfen.“
Deutschland hat eine neue Bundesregierung. Die Energiewirtschaft ist voller Erwartung, welche politischen Rahmenbedingen gesetzt werden.
Sven Becker, Sprecher der Geschäftsführung der Stadtwerke-Kooperation Trianel, spiegelt im Gespräch mit THEMEN!magazin wesentliche Erwartungen der Branche.
Herr Becker, alles neu macht der Mai- oder?
Ja, so sagt man – obwohl es in diesen Tagen mit einem Augenzwinkern wohl eher der Merz ist. Aber Spaß beiseite: Die Ampelregierung hat in Krisenzeiten wichtige und gute Arbeit geleistet. Die kritische Phase nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat gezeigt, was alles möglich ist, wenn Politik und Energiebranche eng zusammenarbeiten. Mit etwas Abstand muss man heute wohl sagen, dass sie sich bei der weiteren energiepolitischen Ausgestaltung der Legislaturperiode teilweise im Kleinklein verloren hat. Sie hat eben nicht mehr auf die Expertise aus dem Markt und die fruchtbare Zusammenarbeit gesetzt. Stichwort Heizungsgesetz und Kraftwerkssicherungsgesetz (KWSG).
Das AmpelAus hat Zeit gekostet. Seit dem Bruch der Ampelkoalition Anfang November 2024 bis zur Regierungsbildung im Mai 2025 hat der angestoßene Transformationsprozess aber nicht nur Zeit, sondern auch Momentum verloren. Das Image der Energiewende hat in dieser Zeit gelitten. Neben dem Aufschwung radikaler Parteien war auch ein Umschwung in der Berichterstattung zu beobachten: Die Energiewende sei zu teuer oder überhaupt nicht umsetzbar. Hier sehe ich die gesamte Branche in der Pflicht, dem entschieden entgegenzutreten. Die Energiewende ist nicht gesscheitert, aber sie benötigt neue Akzente. Man könnte sagen, der Rohbau für das „Haus der Energiewende“ steht. In der ersten Phase der Energiewende sind die erneuerbaren Energien stark ausgebaut worden – sozusagen sind viele Etagen für das Haus gebaut worden. Das Problem: man hat die Treppen, die Flexibilität im System, vergessen. Was nützt mir die oberste Etage (d.h. weitere 10 GW Solar), wenn ich sie wegen fehlender Treppe nicht erreichen kann.
Wie ist aus Sicht der Energiewirtschaft Ihr Blick auf den Koalitionsvertrag?
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD stellt einen soliden Rahmen, um diesen Rohbau des Energiewendehauses mit Stromanschluss, funktionierender Heizung und Treppenhaus auszustatten. Das wichtige Thema Flexibilität ist erkannt worden. Auch der Ausbau von erneuerbaren Energien soll weiter vorangetrieben werden. Zugleich setzt die künftige Regierung mit dem Kraftwerkssicherheitsgesetz und den Plänen zur Einführung eines Kapazitätsmarktes ebenfalls das richtige Signal für steuerbare Kapazitäten.
Allerdings gibt es auch Vorhaben, die eher wie Stolperfallen im Flur als tragende Bauteile wirken, um beim Sinnbild des Hauses zu bleiben. Die vorgesehene Nutzung von Reservekraftwerken im Markt zur Preisstabilisierung ist ein massiver Eingriff in das Fundament funktionierender Energiemärkte und ein ordnungspolitischer Fehlgriff, der mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet. Wie die überwältigende Mehrheit der Kraftwerks und Übertragungsnetzbetreiber lehnen auch wir diesen staatlichen Eingriff entschieden ab. Statt Wettbewerb und Effizienz zu fördern, wird hier das Vertrauen derer zerstört, die stabile Rahmenbedingungen für dringend benötigte Investitionen brauchen. Wir alle haben noch die Diskussion um den Strommarkt 2.0 vor Augen, als der Gesetzgeber einen §1a zum Strommarktgesetz hinzufügte:Der Preis für Elektrizität bildet sich nach wettbewerblichen Grundsätzen frei am Markt. Die Höhe der Preise für Elektrizität am Großhandelsmarkt wird regulatorisch nicht beschränkt.
Dieser staatliche Eingriff konterkariert aber nicht nur marktwirtschaftliche Prinzipien, sondern bewegt sich auch europarechtlich auf dünnem Eis. Die bisherige Genehmigung der Reservekraftwerke durch die EU war klar an den Zweck der Netz und Systemsicherheit gebunden und eben nicht an eine preisregulierende Funktion.
Welche Vorschläge legen Sie auf den Tisch?
Wir stehen an einem Punkt, an dem die Richtung stimmt, der genaue Kurs aber noch Nachjustierung braucht. Die politische und wirtschaftliche Realität fordert uns heraus, die Prioritäten klarer zu setzen und die Themen anzugehen, die wir eigentlich seit Jahren auf dem Schirm haben: Flexibilität im Stromsystem erhöhen, die Erneuerbaren besser ins Gesamtsystem integrieren und Marktmechanismen stärken. Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen:
In einem Umfeld innen- und außenpolitischer Spannungen und einer ebenso angespannten Haushaltslage wird die Energiewende nicht automatisch ganz oben auf der politischen Agenda bleiben. Auch ein Sondervermögen kann das nicht vollständig kompensieren.
Deshalb braucht es jetzt intelligente Marktmodelle und stabile Rahmenbedingungen, die private und institutionelle Investoren anziehen und nicht abschrecken. Das für die Energiewende nötige Kapital werden wir nur durch Planungssicherheit, Bürokratieabbau und ein wettbewerbsfähiges Umfeld mobilisieren können. Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Sie braucht Rückenwind durch Marktvertrauen – keinen Gegenwind durch Regelungswut.
Welches Thema würden Sie noch benennen?
In einem Stromsystem, das zunehmend durch erneuerbare Energien getragen wird, ist die Versorgungssicherheit eines der zentralen Themen. Mit dem Kohleausstieg entsteht eine Lücke an gesicherter Leistung, die wir durch neue, steuerbare Kapazitäten und Speicher schließen müssen. Nur so lassen sich Dunkelflauten zuverlässig überbrücken. Wichtig ist, dass jetzt möglichst zeitnah H₂readyGaskraftwerke ausgeschrieben werden. Aber damit Investitionen kommen, brauchen wir vor allem eines: Verlässlichkeit.
Warum muss das Strommarktdesign auf die Tagesordnung?
Das Vorhalten gesicherter Leistung muss endlich einen Preis bekommen. Der bisherige Fokus auf den Ausbau erneuerbarer Energien war richtig. Jetzt aber geht es um die nächste Etappe: Die Systemintegration. Im Zentrum steht die Frage, wie wir Erneuerbare, Speicher und steuerbare Kapazitäten sinnvoll zusammen bringen. Dafür braucht es einen Markt, der Flexibilität belohnt und Investitionen ermöglicht.
Die Einführung eines Kapazitätsmarktes ist dabei der nächste logische Schritt. Er muss technologieoffen sein, alle Flexibilitäten berücksichtigen und zugleich so ausgestaltet sein, dass auch kleinere Stadtwerke und KMUs mitwirken können. Wettbewerb braucht Vielfalt. Dabei sollten wir uns an funktionierenden Modellen europäischer Nachbarn orientieren, statt neue Komplexität zu erfinden. Zudem muss dabei der Blick auf Systemdienlichkeit über die reine Netzdienlichkeit hinausgehen. Wir brauchen ein Strommarktdesign, welches das Gesamtsystem im Blick hat.
Wie können Investitionen in Flexibilitäten konkret aussehen?
Flexibilität ist das Sicherheitsnetz der Energiewende. Jetzt ist der Moment, es tragfähig zu knüpfen. Dafür braucht es gezielte Impulse bei Speichern, steuerbaren Kapazitäten und der Systemintegration der Erneuerbaren. Es reicht nicht, nur über Potenziale zu sprechen, wir müssen jetzt umsetzen.

- Das Trianel Gaskraftwerk Hamm mit 900 MW Leistung ist eines modernsten Gas- und Dampfturbinenkraftwerke in Deutschland und zudem Wasserstoff-ready.
Foto: Guenther Goldstein
Gerade Batteriespeicher sind entscheidend, um fluktuierende Einspeisung aus Wind und Sonne auszugleichen. Doch obwohl das Interesse hoch ist, bleiben Investitionen hinter den Erwartungen zurück. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass zentrale Fragen noch unbeantwortet sind: Wie wird systemdienlicher Einsatz definiert? Wie gehen wir künftig mit Netzentgelten und Baukostenzuschüssen um? Hier brauchen wir politische Leitplanken mit Fokus auf volkswirtschaftlichen Nutzen und marktlichen Betrieb.
Neben Batteriespeichern gilt das auch für Elektrolyseure und PowertoHeatAnwendungen. Die angekündigten Auktionen für systemdienliche Elektrolyseure müssen jetzt starten. Zudem wäre eine Grüngasquote sinnvoll, um Investitionen in den Wasserstoffhochlauf anzureizen.
Abschließend die Frage nach Ihren Botschaften an Politik?
Erstens: Was wir brauchen, ist kein Neustart, sondern eine Weiterentwicklung – basierend auf integriertem Denken und auf dem, was bereits vorhanden ist. Vor allem durch die Einbindung des Sachverstands aus der Branche. Wir dürfen nicht alleinig den ErneuerbarenRegler nach oben schieben, sondern diesen vielleicht etwas zurücknehmen, zugleich aber die Regler für Netzausbau, Flexibilisierung und BackUp Kapazitäten in Einklang bringen. So können wir das System intelligenter machen, indem wir Erzeugung und Verbrauch besser aufeinander abstimmen, Flexibilität stärken, steuerbare Kapazitäten und Speicher aufbauen und den Wasserstoffhochlauf absichern. Dafür braucht es eine Flexibilitätsoffensive und einen klaren politischen Fahrplan, der zügig kommt und konsequent umgesetzt wird. Zweitens brauchen wir wieder mehr Markt und weniger staatliches Mikromanagement, weil marktwirtschaftliche Strukturen langfristig die besseren Investitionssignale setzen.
Drittens sollte die Politik nicht im stillen Kämmerlein entscheiden: Die Energiebranche bringt Knowhow, Praxiserfahrung und vielfältige Perspektiven mit. Diese Akteursvielfalt ist eine unserer großen Stärken – Wirtschaftsministerin Reiche kommt aus eben dieser Branche und wird dieses Ass klug spielen.
Meine Botschaft an die neue Bundesregierung ist deshalb klar: Die Aufgaben sind groß, aber das Knowhow in der Branche ist es auch. Wir stehen bereit. Und wir stehen hinter der Energiewende.
Herr Becker, wir bedanken uns für das Gespräch.
www.trianel.de



