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10.12.2013 17:10 Alter: 10 yrs

Die deutsche Energiewende – La Transition Energétique in Frankreich Kontraste und gegenseitige Lernansätze?

Es gibt viele Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich, doch haben beide Staaten ähnliche Herausforderungen zu meistern. Während Deutschland an seiner Energiewende arbeitet, plant Frankreich derzeit eine „Transition énergétique“. Beiden Projekten ist vieles gemein - und vieles wiederum auch nicht.


Beispiel für deutsche kommunale Energiepolitik: Neue Biogasanlage in Querfurt (Sachsen-Anhalt)

Cyril Roger-Lacan, der u. a. als „Experte im Rahmen der Nationalen Debatte über die „Transition Energétique“ ernannt wurde, und Christophe Hug, beide Geschäftsführer des Leipziger Dienstleistungsunternehmens Tilia Umwelt GmbH, kennen das System der Energiepolitik beider Länder und nennen im Interview einige Punkte, an welchen Stellen Erfahrungen übertragbar sind und strukturelle Unterschiede neue Ansätze erfordern.

Herr Hug, worin sehen Sie einen wesentlichen Unterschied in der Energiesituation beider Länder?

So eine komplexe Problematik auf „einen“ Unterschied zu reduzieren, ginge meiner Meinung nach am Thema weit vorbei. Ein Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich zeigt, welche Anknüpfungspunkte bestehen und welche energiepolitischen Strategien sich unterscheiden und gegebenenfalls auch sollten.

Ein relevanter Unterschied zwischen beiden Ländern liegt in der Struktur der Energiewirtschaft. Für die Umsetzung der Energiewende stellt die Bundespolitik u.a. die kommunale Ebene ins Zentrum der Politik – im Gegensatz zu Frankreich. Die deutsche Energiestruktur zeichnet sich durch ein seit Jahrzehnten bestehendes und fest verankertes „kommunales Engagement“ aus. Diese Energieversorger haben einen großen Teil ihres lokalen Kundenstamms im Rahmen der Deregulierung von Strom und Gas behalten, dafür mussten sie ihre Prozesse in einem vom Wettbewerb geprägten Rahmen auf den Markt ausrichten. Im seit 1998 vollständig liberalisierten Strommarkt herrscht ein starker Wettbewerb zwischen den mehr als 1.000 Stromanbietern, wozu auch 800 kommunale Eigenbetriebe gehören. Dazu hat die Energiewende noch eine Vielzahl an weiteren Akteuren auf den Markt gebracht: Entwickler, Hersteller effizienter Technologien, Dienstleister. Sie hat aber auch eine gewisse Renaissance für als überholt bezeichnete Modelle hervorgerufen, wie die Gründung von Genossenschaften.

Ein weiterer großer Unterschied besteht in der Ausgangssituation im Energiemix. In Frankreich wird Strom zu ca. 77 Prozent durch Kernkraft erzeugt. Die anderen ca. 23 Prozent sind erneuerbar und dies zum Teil schon seit vielen Jahren, da hauptsächlich Wasserkraft als Energiequelle genutzt wird. Diese Entscheidung wurde vor Jahrzehnten gefasst und führte zu einem sehr deutlichen Energiemix. Realistische, beherrschte Entwicklungen aus dieser Ausgangssituation heraus, können nur anders aussehen als in Deutschland.

Um die Situation umfassend verstehen zu können, muss auch der Verbrauch beider Länder betrachtet und verstanden werden. Bis 1998 war der spezifische Verbrauch im Strombereich pro Kopf identisch. Danach begann die Energieeffizienz in Deutschland erheblich zuzunehmen, so dass bereits im Jahr 2009 der spezifische Stromverbrauch in Deutschland 27 Prozent niedriger als in Frankreich war. Berücksichtigt man den Wärmeanteil, der in der gesamten Endenergie eine noch größere Rolle als Strom spielt und auch erhebliche länderspezifische Unterschiede aufweist, ist das eine dramatische Differenz.

Interessant ist daher, dass die Energierechnung für die Haushalte beider Länder „dieselbe“ ist, obwohl der Preis im Strombereich für deutsche Tarifkunden fast 40 Prozent höher ist. Ein Teil der Industrie hat in Deutschland derzeit ähnliche Strompreise, wenn nicht sogar niedrigere als in Frankreich aufgrund der gesetzlichen Entlastungen. Der durchschnittliche Anteil der Energiekosten an den Budgets der einzelnen Haushalte ist in beiden Ländern mit 8,4 Prozent (inkl. Kraftstoffe) nahezu gleich. Beide Länder beschäftigen sich dauerhaft mit dem Thema der notwendigen Wende, wenn auch aus einer unterschiedlichen Ausgangssituation heraus, mit unterschiedlichem Stand sowie mit unterschiedlichem Rhythmus und Intensität.

Herr Roger-Lacan, wie ist die geschilderte Situation in Frankreich zu bewerten?

1946 entstand die aktuelle Struktur der Energieversorgung in Frankreich. Im Strom- und Gasbereich wurden im Wesentlichen die Netze und die Erzeugungsanlagen nationalisiert und die EDF-GDF gegründet. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die seitdem bestehenden ca. 180 Stadtwerke oder vergleichbaren Kommunalunternehmen wie z. B. in Grenoble, Metz, Bordeaux, die nicht verstaatlicht wurden. Auch wenn diese kommunalen Energieversorger, die sich in größeren Städten befinden, nur insgesamt 5 Prozent des Strommarktes abdecken, werden sie oft fälschlicherweise komplett vergessen.

Als Konsequenz der europäischen Deregulierung wurde in den Jahren ab 2000 das Monopol von EDF-GDF komplett umstrukturiert: Strom und Gas wurden getrennt, auch der Netzbetrieb ist in beiden Fällen „unbundelt“ worden und wird nun spezifisch reguliert. Dennoch bleiben ERDF und GRDF Tochtergesellschaften der großen EDF und GDF Suez Gruppen und behalten das rechtliche Monopol von Netzvertrieb auf der nationalen Ebene. Die Konzessionsnehmer sind also „concessionaire obligé“. Über 90 Prozent aller französischen Haushalte sind Kunden dieser zwei großen, traditionellen Versorger. Die Marktanteile sind weitestgehend stabil geblieben und auch die Preise sind für den Kunden bisher akzeptabel. Dieses Wissen und die derzeit noch niedrigen Energiegestehungskosten rechtfertigen für viele nicht unbedingt eine energetische „Revolution“.

Die Bürger hören Fragen über die Steuerung der Energiewende in Deutschland und lesen Artikel über EEG-Umlage, Preise, Schwierigkeiten beim Lastausgleich und Netzstabilität sowie Risiken für die Industrie. Umfragen zeigen, dass die Franzosen die „Transition Energétique“ differenzierter als in Deutschland sehen und viele von ihnen haben Zweifel. Diese gelten nicht der Notwendigkeit einer Wende, sondern der einzuschlagenden Richtung, der Umsetzung und dem Rhythmus. Die Komponente der Dezentralisierung ist weniger bekannt und einleuchtend. Man betrachtet daher die lokale Dimension nur begrenzt. Ebenso werden erzielte Fortschritte und Ergebnisse der Energiewende in Deutschland nur zum Teil wahrgenommen und verstanden.

In diesem Kontext finde ich es bedeutend, wie Christophe schon erwähnte, dass die Energierechnungen pro Familie in beiden Ländern nahezu identisch sind – jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Der Kostenvorteil in Frankreich wird hauptsächlich durch die Erzeugungsseite bestimmt, insbesondere durch die Kernenergie im Strom sowie aus den vernünftigen Netzbetriebskosten. In Deutschland sind die Preise zum großen Teil durch Steuern und Abgaben höher, werden aber durch die Kostenvorteile auf Grund höherer Energieeffizienz kompensiert. Deshalb ist in Frankreich eine Veränderung in Richtung Energiedezentralisierung verbunden mit einer Effizienzerhöhung gesellschaftlich auch gewollt. In der „nationalen Debatte über die „Transition énergétique“ haben wir genau das empfohlen, sowie die Notwendigkeit, dies mit einer adäquaten Steuerung zu versehen.

In jedem Fall wird in beiden Ländern die Energieeffizienz berechtigterweise eine immer größere Rolle spielen. Sicher ist es nicht einfach, bestehende Strukturen zu verändern. Hier werden wir abwarten, wie die Politik damit umzugehen versteht. Wir sehen aber bereits jetzt konkret in unseren Partnerschaften, z. B. mit einigen Industrieunternehmen oder Wohnungsbaugesellschaften, dass schon heute viele sinnvolle Maßnahmen umgesetzt werden und weitere noch sollten.

Herr Roger-Lacan, ist eine deutsche Energiewende in Frankreich möglich?

Darum geht es ja nicht. Die genannten Punkte zeigen, dass eine Überführung der deutschen Energiepolitik nach Frankreich weder möglich noch sinnvoll wäre. Es wird in jedem Fall eine Energiewende „à la française“ sein.

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Eine Weiterführung des Themas ist für die Ausgabe THEMEN:magazin 1/2014 vorgesehen.