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29.09.2025 13:52 Alter: 22 days

Der „NEST“-Prozess bedroht den Erfolg der Energiewende

„Ohne gezielte Nachbesserungen droht der NEST-Prozess nicht nur die Investitionsfähigkeit der VNB zu schwächen, sondern auch die Energiewende auszubremsen.“


Links: Dr. Boris Scholtka, Rechtsanwalt/Partner, Kanzlei Addleshaw Goddard (D) LPP
Rechts: Victoria Pochanke, Consultant, Kanzlei Addleshaw Goddard (D) LPP

Im Juni 2025 veröffentlichte die Bundesnetzagentur (BNetzA) die ersten Festlegungsentwürfe zu ihrem sog. „NEST-Prozess“. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden nicht ausreichen, um ein tragfähiges und investitionsfreundliches Regulierungssystem zu schaffen.

Der NEST-Prozess („Netze. Effizient. Sicher. Transformiert.“) und das Verfahren zur Festlegung der Allgemeinen Netzentgeltsystematik Strom (AgNes) bilden die zentralen Säulen der Neuausrichtung der deutschen Netzregulierung. Für den Gasbereich bedarf es noch einer AgNes-komplementären Regelung („Gas- NE-Systematik“). Während das AgNes-Verfahren die Netzentgeltsystematik weiterentwickeln soll, konzentriert sich der NEST-Prozess auf die Erlösregulierung mit Fokus auf Kosten und Anreize. Beide Verfahren sollen die Grundsteine für einen zukunftsorientiertes Regulierungssystem etablieren.

Einordnung und Hintergrund

Vor allem der Ausbau der volatilen Erzeugung aus erneuerbarer Energie erfordert ein Nachschärfen des Rechtsrahmens. Die hierfür notwendigen Investitionen in die Netzinfrastruktur erfordern adäquate Anreizmechanismen. Mit Blick auf den Regulierungsrahmen ist die Politik nur noch beschränkt handlungsfähig. Mit der EnWG-Novelle 2023 wurde der BNetzA die alleinige Zuständigkeit für die Regulierung des Netzzugangs und der Netzentgelte übertragen. Diese Novelle war eine direkte Konsequenz des EuGH-Urteils vom 02.09.2021 (Rs. C-718/18).

Der EuGH hatte das deutsche Regulierungssystem wegen einer fehlenden Unabhängigkeit der BNetzA als unvereinbar mit den zu Grunde liegenden Strom- und Gasbinnenmarktrichtlinien erklärt. Auch wenn keine Frist zur Umsetzung des Urteils läuft, ist nun eine gewisse Eile geboten, wenn in absehbarer Zeit ein verlässlicher Regulierungsrahmen bestehend aus Rahmen-, Methoden- und Einzelfestlegungen etabliert sein soll. Mit der StromNEV und die GasNEV treten am 31.12.2028 zwei zentrale Rechtsverordnungen außer Kraft und die 5. Regulierungsperiode steht vor der Tür.

Der nunmehr laufende NEST-Prozess umfasst die Verfahren RAMEN Strom/RAMEN Gas, StromNEF/GasNEF, Kapitalverzinsung, Effizienzvergleich, Produktivitätsfaktor, Qualitätsregulierung sowie die Regulierung der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). Mit Ausnahme der ÜNB-Regulierung richten sich diese Verfahren an alle Verteilnetzbetreiber (VNB). Für die ÜNB werden teilweise separate Regelungen etabliert. Sie müssen noch höhere Investitionen (ca. 320 Mrd. EUR bis 2045) tätigen und übernehmen zentrale Aufgaben für die Versorgungssicherheit. Auch erfordert ihre Sonderrolle im deutschen und europäischen Stromsystem und die unterschiedlichen Anforderungen an Onshore- und Offshore-Netze eine abweichende, individuell angepasste Regulierung.

Änderungen und Auswirkungen

Die veröffentlichten Festlegungsentwürfe aus den Verfahren RAMEN Strom/RAMEN Gas, StromNEF/ GasNEF, Kapitalverzinsung, Effizienzvergleich Strom/Gas sowie zum Produktivitätsfaktor markieren tiefgreifende Neuerungen.

Eine zentrale Änderung betrifft die Verkürzung der Regulierungsperiode (RP). Die Festlegungsentwürfe RAMEN Strom und RAMEN Gas sehen ab der 6. RP eine Umstellung auf eine dreijährige Regulierungsdauer vor. Allerdings soll dann bis zum 31.12.2030 evaluiert werden, ob die vorgesehenen Vereinfachungs- und Beschleunigungsinstrumente für diese Verkürzung ausreichen. Für die 5. RP (Gas ab 01.01.2028; Strom ab 01.01.2029) wird noch eine fünfjährigen RP beibehalten. Netzbetreiber befürchten dennoch, dass die geplante Verkürzung erhebliche Auswirkungen auf die Investitionsfähigkeit haben wird. Das betrifft insbesondere die dringend erforderliche Netzmodernisierung zur Unterstützung der Energiewende. Kürzere Zeiträume verringern die Planungssicherheit und erschweren die Refinanzierung langfristiger Infrastrukturprojekte, da sie mit unsicheren Erlösbedingungen verbunden sind. Gleichzeitig führt die Verdichtung der Überprüfungszyklen zu einem erhöhten administrativen Aufwand.

Eine wesentliche Änderung betrifft die Berechnung der Kapitalverzinsung. Nach den Festlegungsentwürfen zum StromNEF/ GasNEF in Verbindung mit dem Festlegungsentwurf zur Kapitalverzinsung soll ab der 5. RP eine pauschalisierte Kapitalstruktur (40 % Eigenkapital, 60 % Fremdkapital) eingeführt werden, die jeweils auf Basis eines WACC-Modells (Weighted Average Cost of Capital) ermittelt wird. Während für Fremdkapitalkosten von Neuinvestitionen weiterhin jährliche Anpassungen möglich sind, soll für Bestandsanlagen eine siebenjährige Durchschnittsbildung erfolgen, die über die gesamte RP unverändert bleibt. Diese neue Methodik könnte jedoch in der 5. RP bei zahlreichen Netzbetreibern eine Unterfinanzierung ihrer tatsächlichen Fremdkapitalkosten bewirken. Zudem ist zu befürchten, dass der kalkulatorische Fremdkapitalzinssatz auch ab der 6. RP hinter den tatsächlichen Marktzinsen zurückbleibt.

Ein zentraler Aspekt ist ferner die geplante Einführung einer modifizierten Bestabrechnung ab der 5. RP gemäß den Festlegungsentwürfen zum Effizienzvergleich Strom/Gas. Danach sollen für die Ermittlung der Effizienzwerte Mittelwerte aus den DEA- und SFA-Effizienzberechnungen auf Basis tatsächlicher (TOTEX) und standardisierter (sTOTEX) Kosten gebildet werden. Der jeweils günstigere Wert für den Netzbetreiber bestimmt dann den Effizienzwert. Dieser Ansatz soll den bisherigen “Best-of-Four“-Ansatz ersetzen, dürfte aber tendenziell zu niedrigeren Effizienzwerten führen. Zudem besteht die Gefahr, dass effiziente Kosten nicht anerkannt werden, was die individuellen Risiken für Netzbetreiber erhöht.

Fazit und Ausblick

Die veröffentlichten Festlegungsentwürfe verändern den bisherigen Regulierungsrahmen tiefgreifend. Das ist mit erheblichen Herausforderungen für alle Netzbetreiber verbunden. Trotz des Umfangs der Festlegungen und der Segmentierung verschiedener Regelungsfelder, die bisher einheitlich in der ARegV geregelt waren, sind die Maßnahmen nicht geeignet, eine ausgewogene Balance zwischen Effizienzsteigerung und wirtschaftlicher Stabilität der Netzbetreiber herzustellen.

Ohne gezielte Nachbesserungen droht der NEST-Prozess nicht nur die Investitionsfähigkeit der VNB zu schwächen, sondern auch die Energiewende auszubremsen. Es fehlen Anreize für Netzertüchtigung und Netzausbau. Gebraucht wird eine stabile Netzinfrastruktur, u. a. zur Aufnahme von EE-Strom, für Wärmepumpen, E-Mobilität oder Batteriespeicher.
Stattdessen wird die Abregelung von EE-Anlagen und Redispatch weiterhin die Netzkosten erhöhen und die Energiekosten nicht zuletzt für Industrie, Handwerk und Gewerbe hochhalten. Die BNetzA muss daher zeigen, dass sie in der Lage ist, die regulatorischen Weichen für die Anforderungen der Energiewende richtig zu stellen und ihre Handlungen am Energiemarkt insgesamt auszurichten.

www.aglaw.com

Regulierungsmethoden müssen robust und wissenschaftlich begründet sein

Der BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft fordert die Bundesnetzagentur (BNetzA) auf, beim Effizienzvergleich, beim Produktivitätsfaktor Xgen und bei der Kapitalverzinsung den Stand der Wissenschaft zu beachten und im Ergebnis robuste Methoden festzulegen. Die Netzbetreiber brauchen verlässliche und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für die massiven Zukunftsinvestitionen in die Netze. Es mangelt derzeit an einer konsistenten Folgenabschätzung.
Angesichts des massiven Investitionsbedarfs in den Netzausbau in Deutschland in den nächsten Jahren, bedarf es einer zügigen und verlässlichen Klärung der Methoden zur Ermittlung der Erlösobergrenzen, die im Rahmen der NEST-Reformen für die neue Anreizregulierung für Netzbetreiber in Deutschland von der BNetzA festgelegt werden.

Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.