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02.05.2024 16:40 Alter: 225 days

Denken wir in der Wärmewende zu kurz?

„Notwendig ist eine Diskussion über ein künftiges Marktmodell, das Arbeit und Leistung wieder attraktiv für Investitionen macht.“


Foto: Frauke Schumann Dr. Gerhard Holtmeier, Vorsitzender der Geschäftsführung, DEW21

Schaffen wir den sozialverträglichen Umbau unseres Energiesystems noch – oder denken wir in der Wärmewende zu kurz? Die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21) wird aktuell mit dieser Fragestellung konfrontiert. In einem Gastbeitrag benennt Dr. Gerhard Holtmeier, Vorsitzender der Geschäftsführung wesentliche Punkte aus diesem Spannungsfeld.

Die erfolgreiche Gestaltung und Umsetzung der Energie- und Wärmewende ist eine unserer größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Dass uns der Weg zur Klimaneutralität nicht ohne die Akzeptanz der Bürger gelingen wird, steht außer Frage. Ich bin überzeugt davon, dass sie grundsätzlich von allen Aspekten des energiepolitischen Dreiecks abhängig ist: Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen wird für die meisten Verbraucher dabei jedoch die Frage nach der Bezahlbarkeit der Energieversorgung die größte Rolle spielen. Daher geht es bei der Akzeptanzfrage letztlich auch darum, die Sozialverträglichkeit zu wahren.

Konterkariert die Individualisierung das Allgemeinwohl?

Die Hauptlast der notwendigen Investitionen für den Umbau des Energiesystems tragen im Wesentlichen die Energieversorger sowie Netzbetreiber vor Ort – und damit häufig auch die öffentliche Hand. Im Rahmen der Daseinsvorsorge haben die Kommunen ihren Bürgern stets eine zuverlässige Energie-, Wasser und Abwasserversorgung zugesichert, was die entsprechenden Energieversorger sowie Netzbetreiber sicherstellen. Doch immer mehr werden sie dabei mit einem verstärkten Individualinteresse der einzelnen Kunden konfrontiert, die sich eine dezentrale Energieversorgung und damit verbunden mehr Kostenstabilität und letztlich auch Autarkie wünschen. Mit Blick auf die Energie- und Wärmewende sowie die Finanzierung der Infrastruktur stellt sich hier jedoch die berechtigte Frage, ob nicht der für jeden Einzelnen berechtigte Ansatz der Individualisierung das Allgemeinwohl-Interesse konterkariert. Eine vergleichbare Diskussion führen wir derzeit auch auf Bundesebene im Bereich der Energieerzeugung. Die vergangenen Jahrzehnte der Energieversorgung in Deutschland waren davon gekennzeichnet, dass statt auf eine zentrale, also leistungsorientierte Energieerzeugung, vermehrt auf eine dezentrale und eher arbeitsorientierte Energieerzeugung gesetzt wurde. Eine Diskussion über ein künftiges Marktmodell, das Arbeit und Leistung wieder attraktiv für Investitionen macht, wurde erst jüngst in der breiteren Öffentlichkeit intensiver geführt und hat zu ersten Maßnahmen einer neuen Kraftwerksstrategie der Bundesregierung geführt. Nach monatelangen Verhandlungen hat man sich im Februar 2024 auf den Bau neuer Gaskraftwerke geeinigt, die sukzessive auf klimafreundlichen Wasserstoff umgestellt werden sollen. Durch den Zubau der Kraftwerke soll die schwankende Einspeisung aus erneuerbaren Quellen wie Windkraft oder Photovoltaik ausgeglichen werden.

Bundesthemen schlagen auf lokale Ebene durch

Die Probleme, die wir derzeit auf Bundesebene sehen, erleben wir parallel auch auf Ebene der lokalen bzw. regionalen Infrastruktur. Denn auch hier wird es zukünftig zwingend erforderlich sein, Infrastruktur für die Leistungsabsicherung vorzuhalten, um die steigende dezentrale Erzeugung abzusichern, die sich durch den Wandel der Verbraucher zu Selbsterzeugern ergibt. Die Entwicklung der heutigen Infrastruktur, insbesondere im Stromund Gasbereich, war jahrzehntelang davon gekennzeichnet, nicht nur einen größeren Netzkunden, sondern möglichst viele Kunden an die Infrastruktur anzuschließen. Dieses Vorgehen spiegelt sich auch in der Kostenkalkulation wider: Um die Kosten für einzelne Kunden – insbesondere für die ersten Ankerkunden – möglichst niedrig zu halten, haben Energieversorger bislang mit der Annahme gearbeitet, in einem bestimmten Zeitraum einen festen prozentualen Anteil der potenziellen Kunden anschließen zu können. Mit diesem Kalkulationsansatz sind die Energieversorger bis zur Anschlusserfüllung in Vorleistung gegangen und haben die Kosten bis zur Anschlusserfüllung getragen. Mit Blick auf die vor uns liegenden Kosten stellt sich aber hier die Frage, wie Energieversorgungsunternehmen die deutlich steigenden Investitionskosten in Zukunft stemmen können, ohne dass es zu einer drastischen finanziellen Mehrbelastung auf Seiten der Kunden führt. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: In Dortmund müssen wir etwas mehr als 3 Milliarden Euro investieren, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.

Foto: Sabrina Richmann

DEW21 hat bisher rund 130 Mio. € in den Umbau des innerstädtisches Fernwärmenetzes investiert. In dem Zuge wurden auch drei moderne Energiezentralen errichtet, die als Back-Up für Lastspitzen dienen.

Infrastruktur verlangt Wirtschaftlichkeit

Es wird deutlich, dass sich eine großflächige Infrastruktur nur wirtschaftlich betreiben lässt, wenn möglichst viele Kunden diese nutzen und die Kosten somit sozialverträglich verteilt werden können. Doch wenn jetzt zunehmend immer mehr einzelne Kunden den Bezug reduzieren, indem beispielsweise eigene Photovoltaikanlagen und Speicher betrieben werden, verringert sich die Abnahme aus dem öffentlichen Netz. Dies hat zur Folge, dass der örtliche Energieversorger keine Erträge mehr aus der Bereitstellung der Arbeit erhält, sondern ausschließlich Leistungsvorhaltung betreibt. Die tatsächliche Nutzung der Infrastruktur erfolgt dann nicht mehr kontinuierlich, sondern nur noch bei notwendigen Lastspitzen zum Beispiel in sogenannten Dunkelflauten. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Geschäfts, sondern auch auf die Planbarkeit. Denn diese Entwicklung bedeutet auch, dass wir mit den derzeitigen Berechnungsmustern wie Standardlastprofilen das zukünftige Verbrauchsverhalten der einzelnen Kundinnen und Kunden nicht mehr erfassen können. Parallel gibt es auch Individualisierungsbestrebungen in der Industrie, die beispielsweise fordert, dass nur für sie der Wasserstoff verfügbar sein müsse, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu bewahren. Der grundsätzliche Gedanke der Sozialisierung der Infrastrukturkosten wird auch hier in den Hintergrund gedrängt. Denn von diesen Gruppen wird im Rahmen ihrer Forderungen nicht berücksichtigt, dass die Infrastruktur ihre spezifischen Kosten hat, und die wenigsten Industrie- oder Gewerbekunden wirtschaftlich in der Lage, geschweige denn gewillt wären, die Infrastrukturkosten für eine neue Leitung zur individuellen Versorgung mit Wasserstoff allein zu tragen.

Ein Vorschlag

Die gesamte Diskussion wird zusätzlich dadurch erschwert, dass stereotype Aussagen hinsichtlich zu hoher Strom- und Gaspreise undifferenziert wiederholt und Kosten für die Versorgungsinfrastruktur nicht thematisiert werden. Es ist natürlich nachvollziehbar, dass während der Energiekrise lediglich die gestiegenen Beschaffungs- und Vertriebskosten im Fokus standen – immerhin machen diese heute nicht mehr ein Drittel, sondern mehr als 50 Prozent der Gesamtkosten aus. Für viele scheinen vor diesem Hintergrund dezentrale und autarke Energielösungen der einzige Weg zu sein, um mehr Kostenstabilität zu erfahren. Doch diese Bestrebungen lassen sich auch durch eine gesteigerte Energieeffizienz beantworten, die eine verbrauchsbedingte Kosteneinsparung ermöglicht – und wodurch die Sozialisierung der Kosten nicht konterkariert wird.

www.dew21.de