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< Leistungsfähige Stromnetze für eine wachsende Metropolregion
24.04.2019 14:18 Alter: 5 yrs

Das Verteilnetz ist die Grundlage der Energiewende

Energiewende verlangt Netzausbau, denn die Energienetze stehen als Drehscheibe des zukünftigen Energiesystems klar im Fokus. Zu energiepolitischen Prioritäten diskutierten kürzlich Vertreter der Netzwirtschaft auf dem BDEW-Fachkongress „TREFFPUNKT NETZE ‘19“


Hildegard Müller, Vorstand Netze & Infrastruktur bei innogy SE benennt in einem Gastbeitrag Schwerpunkte, die Politik nun zügig angehen sollte.

Foto: innogy

Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Bundesregierung gemeinsam mit 194 Ländern ehrgeizige Ziele gesetzt, um dem Klimawandel entgegen zu treten. Gemeinsam wollen wir die Erderwärmung auf höchstens 2 Grad reduzieren. Doch trotz aller Anstrengungen, die Deutschland bereits unternommen hat, zeigen sich noch nicht die gewünschten Erfolge. 2018 gelangten nach aktuellen Zahlen des Umweltbundesamtes knapp 869 Millionen Tonnen Klimagase in die Atmosphäre, 38 Millionen Tonnen oder 4,2 Prozent weniger als im Vorjahr.

Damit ging erstmals seit vier Jahren der Ausstoß wieder nennenswert zurück. Dies war aber vorrangig kein Effekt der Energiewende, sondern lag insbesondere am heißen Sommer und dem milden Winter. Wir liegen damit immer noch deutlich entfernt vom geplanten Minderungspfad von 750 Mio. Tonnen in 2020.

Aus der Stromwende muss eine echte Energiewende werden

Nichtsdestotrotz hat der Stromsektor seine Hausaufgaben gemacht: Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung betrug im vergangenen Jahr bereits rund 40 Prozent – Tendenz steigend. Doch auch hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Nun muss aber aus der Stromwende eine echte Energiewende werden: Wir müssen die Sektoren Wärme und Verkehr stärker in unsere Bemühungen einbeziehen. Hier konnten in den vergangenen Jahren nur geringe Verbesserungen erzielt werden, obwohl die Sektoren rund 60 Prozent des bundesweiten CO2-Ausstoßes verursachen. Für 100 Prozent Energiewende brauchen wir deshalb neue Ansätze und innovative Systeme.

Dabei müssen wir nicht nur die Energieerzeugung umbauen, auch die Energienetze stehen vor enormen Herausforderungen. Aber: Bislang stand in der öffentlichen und politischen Diskussion das Übertragungsnetz mit seinen großen Stromautobahnen im Fokus. Im Verteilnetz sind die Herausforderungen mindestens genauso groß: Hier sind mehr als 90 Prozent der rund 1,7 Mio. EEAnlagen angeschlossen, hier findet der Ausbau der E-Mobilität statt, hier werden Energiespeicherung und Sektorkopplung vorangetrieben.

Aus unserer Sicht liegt die Lösung dabei auch in der Nutzung von Flexibilitäten und deren intelligenten Steuerung. Die Aufgaben des Verteilnetzbetreibers werden in Zukunft also noch viel komplexer durch das Management von zehntausenden flexiblen Verbrauchern und Lasten. Im Vergleich zur Vergangenheit ist das ein komplett anderes System. Denn die Verteilnetze entwickeln sich immer mehr zu einer Plattform, auf der die Energiewende umgesetzt werden kann – durch die Anbindung und Kopplung der Sektoren und Lösungen.

Die Aufgaben der Verteilnetzbetreiber werden in Zukunft deutlich komplexer. Zehntausende flexible Verbraucher und Lasten müssen gleichzeitig gesteuert werden. Dies ist nur durch eine weitgehende Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse möglich. Dafür werden auch ökonomische Anreize für das Nutzen und Bereitstellen der lokalen Flexibilitäten benötigt.

Intelligente Verteilnetze als Rückgrat der Energiewende

Neben klassischen Maßnahmen wie dem Netzausbau kommt dabei der Digitalisierung der Stromnetze eine entscheidende Rolle zu. Durch das Zusammenwachsen der Energiemit der Informations- und Kommunikationstechnik wird das Verteilnetz zunehmend intelligent im Sinne eines „Smart Grids“. Wir wollen die Herausforderungen der Energiewende möglichst schon auf den unteren Netzebenen lösen, um die notwendigen Ausbaubedarfe in den darüber liegenden Ebenen zu minimieren. So schaffen wir eine kosteneffiziente Umsetzung der Energiewende und erhalten damit auch notwendigen Rückhalt in der Bevölkerung.

Früher war das Stromnetz eine Einbahnstraße - vom Kraftwerk zum Verbraucher. Durch dezentrale Erzeugung und Einspeisung fließt Strom heute in viele Richtungen, mit vermehrt regionalen Lastspitzen. Ein klassischer Ausbau, der das Netz für sämtliche Last- und Erzeugungsspitzen befähigt, ist volkswirtschaftlich aber nicht sinnvoll. Durch intelligente Netze reduzieren wir den Bedarf an zusätzlichen Leitungen und senken so die Kosten der Energiewende. Ganz nach dem Motto „mehr Köpfchen statt mehr Kupfer“.

Die Digitalisierung ermöglicht es uns, dass der Strom weitestgehend da verbraucht wird, wo er erzeugt wird und Aufgaben dort gelöst werden, wo sie entstehen – nämlich dezentral im Verteilnetz. Und so können erneuerbare Energien optimal integriert, Stromflüsse effizient gesteuert, die Sektorkopplung umgesetzt und die Elektromobilität vorangetrieben werden.

Intelligente Verteilnetze als Voraussetzung für smarte Kundenlösungen

Die Digitalisierung ist aber nicht nur Grundlage für intelligente Netze, sondern auch für neue Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen, etwa die Integration von E-Ladesäulen oder die Optimierung der Einspeisung von grünem Strom. In jedem Fall geht es um das Verarbeiten, Analysieren und Steuern von einer Vielzahl von Daten. Verteilnetzbetreiber müssen deswegen zu Datenspezialisten werden. Sie müssen Bedürfnisse der Kunden analysieren und darauf aufbauend passgenaue digitale Lösungen und Services anbieten. Neue Konkurrenten aus der Digitalbranche erhöhen zudem den Druck auf die Innovationsfähigkeit der Energiebranche. innogy stellt sich diesem Wettbewerb.

Die intelligenten Netze bieten uns neue und vielfältige Möglichkeiten, Kundenlösungen zu schaffen. Ein Beispiel sind die sogenannten Smart Poles, eine intelligente Straßenbeleuchtung. Zukünftig können Straßenlaternen als WLAN-Router oder Ladesäule dienen und gleichzeitig Bewegungsströme, Umweltdaten sowie die Auslastung von Parkflächen erheben. Mit Hilfe eines Notrufknopfes können Straßenlaternen zusätzlich für Sicherheit sorgen. So wollen wir den Bürgern ermöglichen, die Digitalisierung zu nutzen. Wir wollen ihr Leben erleichtern und ihnen einen Mehrwert stiften. Erste Pilotprojekte mit den Smart Poles setzt innogy bereits um in Bochum, Traben-Trarbach und Erndtebrück sowie an unserem Unternehmensstandort in Essen.

Orchestrierung der Stromflüsse

Ein weiteres Beispiel für intelligente Kundenlösungen ist der Ausbau der Elektro-Mobilität. Die Ladeanforderungen für Elektrofahrzeuge und die derzeitigen Netzkapazitäten scheinen auf den ersten Blick nicht miteinander in Einklang zu bringen sein. Die Herausforderung liegt in der Koordinierung des Nutzerverhaltens, vor allem darin, dass nicht alle Elektroautos ohne Not gleichzeitig laden. Wir müssen diese Lastspitzen vermeiden. Der zusätzliche Energiebedarf ist nämlich dann eine beherrschbare Herausforderung, wenn die Energie gesteuert bezogen wird.

Wir brauchen also eine intelligente Orchestrierung der Stromflüsse. Denkbar wäre eine Ampelschaltung für die Ladepunkte, die die Ladesäulen nacheinander freischaltet. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens Consentec lässt sich die Anzahl von Ladevorgängen, die auf Basis des bestehenden Verteilnetzes durchgeführt werden können, durch eine solche intelligente Steuerung auf das Zehnfache erhöhen. Ein weiterer Schritt von Smart Charging wäre es, die Leistungsabgabe je nach Verfügbarkeit von grünem Strom zu regulieren. In diesem Sinne bietet E-Mobilität sogar die Chance, das Netz der Zukunft zu stützen, indem die Akkus als Pufferspeicher für eine fluktuierende Einspeisung einbezogen werden. Unser Verteilnetzbetreiber Westnetz macht hierfür schon konkrete Kundenangebote: Ein neuer Hausanschluss wird kostenlos gelegt, wenn der Nutzer uns die Möglichkeit gibt, seine Ladesäule zukünftig netzdienlich steuern zu dürfen. Das Gesamtsystem wird sich nur optimieren lassen, wenn der Verbraucher und Kunde Teil der Lösung wird. Dafür braucht es auch ökonomische Anreize.

Grafik und Foto: innogy

Hubschrauberbefliegung zur Stromleitungskontrolle im Osnabücker Land

Energiepolitische und regulatorische Rahmenbedingungen

Um innovative Konzepte effizient umsetzen und die Energiewende vorantreiben zu können, müssen auch die energiepolitischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Es wird in Zukunft nicht die eine Instanz geben, die beispielsweise 1,7 Millionen Solaranlagen oder hunderttausende von Elektroautos steuert. Das System wird sich dezentral selbst organisieren müssen. Wir brauchen daher weniger Regulierung als bisher und stattdessen mehr Marktmöglichkeiten. Bislang existieren solche Märkte für Flexibilitäten, etwa die Regelenergie, nur auf der Verbundebene.

Uns beschäftigt die Frage, wie wir solche Flexibilitätsmärkte auch auf lokaler Ebene nutzen können. Wir werden außerdem über das Umlagen- und Abgabenregime und die Bepreisung einzelner Energieträger sprechen müssen. Viele Dinge, die wir bereits in Forschungsprojekten umsetzen, haben in der realen Welt ein Wirtschaftlichkeitsproblem. Zudem ist unser heutiges Regulierungssystem für Netzbetreiber so ausgelegt, dass es Investitionen begünstigt, aber nicht die Vermeidung von Investitionen. Wenn aber unser Ziel ist, durch deutlich mehr Intelligenz und Digitalisierung Netzausbau zu vermeiden, dann müssen wir auch das Regulierungssystem nach vorne denken und überlegen, wie wir entsprechende Anreize setzen können.

Wir brauchen mehr Tempo und mehr Entschlossenheit

Wir stehen als Netzbetreiber vor einer Mammutaufgabe. Neue Technologien werden die Art und Weise, wie wir mit unseren Kunden interagieren und wie unser Geschäft betreiben, dauerhaft verändern. Wir dürfen deswegen jetzt keine Zeit verlieren. Wir müssen unsere Anstrengungen weiter erhöhen, um das Energiesystem der Zukunft zu entwickeln und zu gestalten. Nur so werden wir die Energiewende zum Erfolg führen können.

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