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09.05.2017 16:42 Alter: 7 yrs

Sektorenkopplung – die Lösung für die Zukunft?

Sektorenkopplung ist momentan in aller Munde, denn nur mit der Wärme- und Mobilitätswende gelingt die Energiewende und kann eine wesentliche Lösung vor allem für einen umfassenderen Klimaschutz werden. Daher sollten die Chancen der Sektorenkopplung genutzt werden – dabei müssen aber zugleich die Herausforderungen und Begrenzungen realistisch erkannt werden, um von ihnen nicht später überrascht zu werden.


Darauf verweist Dr. Ingo Luge, Vorsitzender der Geschäftsführung E.ON Deutschland in seinem Gastbeitrag, mit dem wir unsere Wortmeldungen zum Thema Sektorenkopplung fortführen.

Foto: E.ON Deutschland

Unter Sektorenkopplung wird allgemein die zweite Phase der Energiewende verstanden, d.h. eine Erweiterung der Stromnutzung um eine Wärmewende und eine Verkehrswende mit der Zielstellung, den Dekarbonisierungspfad fortzusetzen und ein stabiles Energiesystem aufzubauen, das immer mehr erneuerbare Energie (EE) aufnehmen kann. Die zunehmende Bedeutung von Strom in anderen Energiesektoren wird auch international gesehen: Szenarien des Weltenergierats zeigen eine deutliche Erhöhung der Strom­nutzung am Gesamtenergieverbrauch weltweit. Allein in Europa wird nahezu eine Ver­dopplung erwartet von rund 19 % aktuell auf bis zu 38 % im Jahr 2050. Mit dem Klima­schutzplan 2050 hat die Bundes­re­gierung zudem ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt: Bis 2050 soll der CO2-Ausstoß um 80 % bis 95 % reduziert werden, d. h. Transport und Wärme müssen nun auch stärker beachtet werden. Die Energiewende kann nicht mehr länger nur eine Stromwende sein.

Sektorenkopplung – wer treibt sie voran?

Hier sind es vor allem die Kunden, u. a. mit dem Wunsch nach möglichst vollständiger Nutzung erneuerbarer Energien (v. a. auch bei Eigenerzeugung), aber auch die sinkenden Kosten der Erneuerbaren Energien. Die deutsche Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen wächst stets an, Ende 2015 wurden rund 1,5 Mio. Anlagen regenerativer Energie gezählt. Der überschüssige Strom und der Bedarf an flexibleren Nachfragestrukturen hat dazu geführt, dass die Stromnutzung auch auf Wärme und Transport übertragen wird. Beispiele dafür sind die intelligente Nutzung und Verknüpfung von PV, Klima­technik, Sicherheitstechnik oder die E-Mobili­tät. Auch im Stromversorgungssystem verzeichnen wir zunehmend Bedarf an Flexibilität zur Inte­gration Erneuerbaren Stroms, womit auch die Rolle des Verteilnetzbetreibers (VNB) zunehmend wichtiger wird.

Angesichts der Herausforderungen, vor der wir mit der Transformation unseres Energie­systems stehen, sind wir auf ein Bündel von Maßnahmen angewiesen, das in folgender Reihenfolge priorisiert werden sollte:

1. Mehr Effizienz: Der heutige Energiebedarf von 2400 TWh ist zu hoch, um ihn bezahlbar, versorgungssicher und umweltfreundlich zu decken.

Verstärkte Nutzung regenerativer Erzeugung: Innerhalb aller Sektoren müssen deutlich mehr Erneuerbare Technologien eingesetzt werden, als dies heute der Fall ist.

2. Sektorenkopplung: Die Verzahnung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr führt nach dem Grundsatz „Nutzen statt abregeln“ zu einer besseren Ausnutzung von volatilen Erneuerbaren Technologien. Denn Transport und direkte Nutzung ist immer effizienter als Speichern. 

3. Gasversorgung: Zur Wahrheit gehört, dass auf Jahrzehnte Erdgas als pragmatische und vergleichsweise klimaschonende Energieform erforderlich bleiben wird. Ein Grund: in den nächsten beiden Dekaden sind keine anderen Langfristspeicher erkennbar.

Ein Blick auf die Realität zeigt, warum wir gerade diese Priorisierung brauchen: Fast die Hälfte unserer Endenergie wird im Wärme­sektor eingesetzt, rund 1.100 TWh werden für Raumwärme, Industrieprozesse und Warm­wasser verbraucht. Aber in diesem entscheidenden Sektor werden lediglich 13 % aus Erneu­erbaren Energien bezogen. Gerade dieser Sektor wird sich aufgrund langer Investi­tions­zyklen und der Vielzahl Beteiligter nur sehr langsam ändern.

Noch geringer ist aktuell der Erneuerbaren-Anteil im Verkehrssektor (650 TWh): seit Jahren liegt er konstant bei knapp 5 %. Es sei daran erinnert, auch Elektromobilität ist nur grün, wenn der verwendete Strom regenerativ ist. Der hohe Erneuerbaren-Anteil von 32% in der Stromerzeugung  (600 TWh) zeigt, in der Vergangenheit stand „Energiewende“ vor allem für „Stromwende“. Insgesamt liegt der Erneuerbarer-Anteil am Endenergie­ver­­brauch aber nur bei 15 %. Das heißt im Um­kehrschluss, dass 85 % oder ca. 2.000 TWh noch stets aus konventionellen Energiequel­len bereitgestellt wird.

Technologien für eine erfolgreiche Sektorenkopplung sind vorhanden

Positiv ist aber, dass für Strom, Wärme und  Gas erneuerbare Energiequellen zur Ver­fü­gung stehen. Die Bestandsaufnahme zeigt, die erforderlichen Technologien für eine umfassende Kopplung der Sektoren Strom, Verkehr, Wärme und auch Gas sind vorhanden. Also stellt sich die Frage: Warum die Sektoren nicht schon heute stärker miteinander verzahnt sind? 

Entscheidungen für und gegen den Einsatz bestimmter Technologien werden dezentral, d. h. in jedem einzelnen deutschen Haushalt oder Unternehmen im Rahmen der wirtschaftlichen Gegebenheiten getroffen. Hier fallen ungleiche regulatorische Randbe­dingungen je nach Technologie und eingesetzter Energie an. Ein Beispiel: jeder Haushalt steht aktuell vor der Entscheidung, bspw. mit Öl für ca. 5 ct/kWh oder Wärmepumpenstrom für ca. 22 ct/kWh zu heizen. Bei diesen Unterschieden ist selbst eine Wärmepumpe mit einer Leistungszahl von 4 nicht konkurrenzfähig, ganz abgesehen von den deutlich höheren Installationskosten.

Ein weiterer Aspekt ist, dass gerade für eine systemdienliche Optimierung des Betriebs aller Sektoren die zunehmende Digitalisierung mit Regelungsmöglichkeiten in Echtzeit neue Möglichkeiten bieten: Durch das Monitoring mit Sensoren, die Berechnung optimaler Betriebsweisen wird zunehmend technisch möglich und wirtschaftlich attraktiv und erhöht somit den Komfort für die Nutzer.

Erfolg der Sektorenkopplung hängt von stringenten Anreizen ab

Eine Einschätzung lässt sich bereits heute treffen: Die Sektorenkopplung in Strom, Wärme und Verkehr wird sich nicht mehr durch Einzelmaßnahmen und punktuelle Anreize steuern lassen. Vielmehr werden die Entscheidungen von jedem einzelnen Haus­besitzer, Gewerbetreibenden, der Wohnungs­wirtschaft und der Industrie getroffen. Bleibt der Strom teuer, wird es wenig Sektoren­kopplung, aber dafür mehr Effizienz geben!

Vor diesem Hintergrund wird es umso wichtiger, das zentrale Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: Der Ausbau Erneuerbarer Energien und auch die Sektorenkopplung sind kein Selbstzweck, sondern Mittel zur Dekarboni­sierung. Hieran müssen sich die Anreize ausrichten und in ihrer Effektivität messen lassen. Der bisherige Ausbau regenerativer Ener­gien im Stromsektor hat jedenfalls keinen nennenswerten Rückgang des CO2-Aus­stoßes bewirken können.

Sobald ein klarer Anreiz zur CO2-Vermeidung gesetzt ist, muss der freie technologische Wettbewerb zeigen, welche Technologien sich für welche Anwendungsfälle eignen. Auf punktuelle Subventionen oder ähnliche verzerrende Maßnahmen muss verzichtet werden. Eine bestimmte Technologie zu fördern bedeutet auch immer, eine andere künstlich zu benachteiligen. 

Sektorenkopplung ist bereits heute umsetzbar. E.ON ist hier seit längerem erfolgreich unterwegs, ob im Transportbereich mit E-Mobilität, im Rahmen von Sustainable City u.a. in Malmö/Schweden sowie dezentralen Lösungen, wie KWK-Anlagen und PV-Spei­cher. Im engen Dialog mit unseren Kunden haben wir Produkte entwickelt, getestet und eingesetzt – und entwickeln und verbessern diese kontinuierlich weiter. Wir appellieren deutlich an die Politik, mehr Sektorenkopp­lung zu wagen, um die ambitionierten deutschen Klimaziele zu erreichen.

(Grundlage des Beitrages ist eine Keynote-Rede auf dem Energy Leaders –  Innovationsforum Energie Ende Februar in Berlin).