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12.12.2017 15:59 Alter: 6 yrs

Chancen und Grenzen der Elektrifizierung

Eine nachhaltige Energieversorgung ist der Schlüssel für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort Deutschland. Dabei stimmt Deutschland seine Klimaschutzziele nicht durchgängig auf die Vorgaben der EU ab. Zudem wird das Prinzip der Technologieoffenheit nicht konsequent genug umgesetzt. Insgesamt ist eine integrierte Betrachtung des Energiesystems auch dauerhaft erforderlich, insbesondere mit Blick auf das Zusammenspiel der Strom- und Gasinfrastruktur.


Zur Diskussion um die „Sektorenkopplung“ ein Beitrag von Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Universität zu Köln, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI)

Foto: Frank Beer

Wenn die Gesellschaft für deutsche Sprache einen Preis für das energiepolitische Unwort des Jahres 2017 vergäbe, so fiele meine Stimme zweifelsohne auf das Wort „Sektorenkopplung“. Und auf das – ob der Einzahl - noch befremdlichere „Sektorkopplung“.

Dieser Begriff ist derzeit in aller Munde, obschon in verschiedener Hinsicht schief. Gekoppelt werden sollen die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Man wirft also Endenergie (z. B. Strom, Fernwärme) und Nutzenergie (z. B. Erwärmung, Bewegung) in einen Topf. Und übersieht zudem, dass bereits heute in Teilen der Energieträger Strom für Wärme/Kälte oder Transport verwendet wird. „Entkoppelt“ sind diese drei Bereiche also derzeit jedenfalls nicht.

Ein vermiedenes Wort

Einfacher wäre es, sich direkt auf die Struktur des Endenergieverbrauchs in Deutschland zu beziehen. Laut der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) belegt Strom mit einem Anteil von 20 % nur den dritten Platz unter den verschiedenen Endenergieträgern (2016), hinter Mineralölen (37 %) und Erdgas (24 %). Der Anteil von Strom ist dabei übrigens seit dem Jahr 2005 ungefähr konstant, während er in den Jahren davor spürbar gestiegen war. Aus der Zielsetzung einer deutlichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis zur Mitte dieses Jahrhunderts folgt daher die Frage nach dem langfristigen Ersatz von Mineralölen und Erdgas durch End- Energieträger mit geringerem CO2-Fußabdruck.

Eine mögliche Antwort auf diese Frage ist die Substitution durch elektrische Energie, sofern diese beispielsweise aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Das ist der Kern aller Überlegungen unter der Überschrift „Sektorenkopplung“. Warum nennt man das dann aber nicht schlicht „Elektrifizierung“?

Es stellt sich mithin die Frage, welcher Anteil elektrischer Energie im Endenergieverbrauch zu welchem Zeitpunkt sinnvoll ist. Eine durchaus komplexe Abwägung, in der unter anderem jeweils der ökologische Fußabdruck einer zusätzlichen Einheit Stromerzeugung sowie die Kosten für den Ausbau von Infrastruktur und die Anpassung des bestehenden Kapitalstocks der Verbraucher berücksichtigt werden müssen.

Fundamentale Herausforderungen

Dass die Elektrifizierung von weiteren Verbrauchssektoren durchaus nicht einfach ist, zeigt der Blick nach Frankreich. Dort stehen seit mehreren Jahrzehnten umfangreiche Nuklearkapazitäten zur Verfügung. In der Folge ist die Haushaltswärme in unserem Nachbarland bekanntlich stärker elektrifiziert worden als hierzulande. Im Gesamtbild führt aber auch das nur zu einem Anteil von Strom am Endenergieverbrauch von rund 25 % - also weit entfernt von der „dominanten“ Rolle von Strom, wie es in Studien zur „Sektorenkopplung“ regelmäßig vorausgezeichnet wird.

Warum konnten Öl und Gas sich bislang so stark gegenüber dem Strom behaupten? Für die Wärme besteht die Herausforderung für Strom als Energieträger insbesondere in den extremen Spitzenlasten, welche an wenigen Tagen im Jahr anfallen und auf die das Stromsystem (Erzeugung und Netze) auslegt werden müsste. Welche Probleme sich daraus ergeben können, konnte man im vergangenen Winter beobachten, als der Strom in unserem Nachbarland Frankreich - aufgrund der Wartung etlicher Kernkraftwerke - auf einmal sehr knapp wurde.

Wenn schon ein von grundlastfähigen Kernkraftwerken dominierter Erzeugungsmix eine sichere Wärmeversorgung nur mit Mühe gewährleisten kann, um wieviel größer muss die Herausforderung bei der (voraus gedachten) Dominanz von Wind- und Solarkraftwerken sein? Ein Vergleich der stündlichen Einspeiseprofile von Wind und Photovoltaik mit den temperaturabhängigen Wärmelastprofilen zeigt jedenfalls eine erhebliche Diskrepanz.

Im Transportsektor geht es vor allem um die Energiedichte, mit der der jeweilige Energieträger im Fahrzeug gespeichert werden kann. Diese ist für Strom in Batterien weitaus niedriger als für flüssige kohlenstoffhaltige Brennstoffe; und selbst Gase haben noch höhere Energiedichten als Batterien. Für leitungsgebundene Fahrzeuge gilt diese Einschränkung naturgemäß nicht, und so war die Elektrifizierung bei Eisenbahnen, Straßenbahnen und O-Bussen eine erfolgreiche Idee. Auch bei Gabelstaplern und ähnlichem Gerät waren die Vorteile der Elektrifizierung höher als die Nachteile. Doch der größte Teil des globalen Transportsektors ist im 20. Jahrhundert auf der Grundlage von Brennstoffen mit hoher Energiedichte aufgebaut worden.

Neue Technologien, vor allem digital gesteuerte, autonome Fahrzeuge, sowie Fortschritte bei Batterien und Leistungselektronik werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten den Anteil der Elektrizität am Endenergieverbrauch im Transport vermutlich spürbar erhöhen. Doch wird es für diese Entwicklung Grenzen geben. Zudem ist die Wetterabhängigkeit des EE-Stroms auch im Transportsektor ein Problem. Denn die Ladeprofile der Fahrzeuge können durch digitale Technologien zwar im Stundenbereich flexibilisiert werden, nicht aber über Tage oder gar Wochen.

Sowohl für die Wärme als auch für den Transport braucht es also die Möglichkeit, große Energiemengen zu speichern und bei Bedarf abzurufen. Fossile Brennstoffe leisten genau das, und sind unter anderem deshalb nach wie vor die dominanten Endenergieträger in diesen Verbrauchssektoren.

Laut der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) belegt Strom mit einem Anteil von 20 % nur den dritten Platz unter den verschiedenen Endenergieträgern (2016), hinter Mineralölen (37 %) und Erdgas (24 %). Aus der Zielsetzung einer deutlichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis zur Mitte dieses Jahrhunderts folgt daher die Frage nach dem langfristigen Ersatz von Mineralölen und Erdgas durch End-Energieträger mit geringerem CO2-Fußabdruck.

Absicherung der Wetterabhängigkeit

Das Energiesystem einer entwickelten Volkswirtschaft wird also weiterhin, und langfristig, auf flüssige und gasförmige Brennstoffe zurückgreifen. Will man sich dies ohne Treibhausgasemissionen vorstellen, so gelangt man rasch zu Sekundärenergieträgern, welche mit erneuerbar (oder nuklear) erzeugtem Strom hergestellt werden: Wasserstoff, synthetisches Methan, Oxymethylenether (OME) oder andere mehr. Ob, wo und wann diese (oder andere) alternative Brennstoffe wettbewerbsfähig werden, ist aus heutiger Sicht ungewiss, und hängt vor allem von der Radikalität ab, mit der die Weltgemeinschaft die Nutzung von natürlichem Öl und Gas im Zuge des UNFCCC-Prozesses verteuern wird.

Zudem gilt: Ein Stromsystem, das von Wind und Solar dominiert wird, benötigt gesicherte Back-Up-Kapazitäten für Zeiten, in denen die EE-Einspeisung nicht ausreicht.

Und je stärker der Wärme- und der Verkehrssektor elektrifiziert werden, umso höher wird – ceteris paribus – die hierfür erforderliche gesicherte Stromerzeugungskapazität. Voraussichtlich wird es auf sehr lange Zeit ein gasförmiger Brennstoff sein, welcher das Stromsystem absichert. Dieser Brennstoff kann fossilen Ursprungs oder künstlich erzeugt sein. In beiden Fällen würden aber alle elektrischen Anlagen, und damit auch neue E-Autos und Wärmepumpen, mittelbar auch durch einen solchen Brennstoff beliefert.

Dann jedoch stellt sich die Frage, ob der Umweg über die Elektrizität überhaupt sinnvoll ist, oder ob man den Brennstoff, gegebenenfalls weiter veredelt, nicht direkt in der Wärme und im Transport einsetzen sollte - zumal sich damit vermutlich erhebliche Infrastrukturkosten für den Ausbau des Stromnetzes einsparen ließen.

Technologieoffenheit

Aus alldem folgt: Elektrifizierung des Endenergieverbrauchs ist keine Zauberformel für die Rettung der „Energiewende“. Sie kann und wird eine Rolle spielen, doch werden weite Teile des Energiesystems auch sehr langfristig nicht-elektrisch und Teile der Stromerzeugung nicht direkt erneuerbar bleiben. Daher erscheinen Rufe nach rascher, durch den Staat verordneter Elektrifizierung voreilig.

Stattdessen wäre Technologieoffenheit von größter Bedeutung; alle Energieträger sollten, zumindest innerhalb jeweils des Wärme- und Verkehrssektors, mit Blick auf staatliche induzierte Abgaben gleich behandelt werden, am besten nach ihrem CO2-Fußabdruck. Der Ausgleich der aktuell sehr unterschiedlichen Belastungen zwischen dem Wärme- und dem Verkehrsbereich ist demgegenüber übrigens von geringerer Bedeutung.

Aus einem solchen Politikansatz würden zunächst verbesserte Wirkungsgrade und eine weitere Verschiebung vor allem von Öl zu Erdgas resultieren. Die Ziele der Europäischen Union aus dem Pariser Klimaabkommen für das Jahr 2030 können auf einem solchen Wege grundsätzlich erreicht werden. Erst in einer späteren Phase, also bei höheren Minderungsambitionen, würde sich die Frage nach dem Ersatz der verbliebenen fossilen Brennstoffe stellen. Dann würden vermutlich sowohl elektrische Lösungen als auch alternative Kraftstoffe zum Einsatz kommen – wann, wie und in welchem Mix, ist jedoch aus heutiger Sicht völlig offen.

Kurzfristige Dringlichkeit

Unbenommen von diesen Zukunftsperspektiven ergibt sich ein für die „Energiewende“ dringendes Problem, welches im Kontext der „Sektorenkopplung“ häufig mitverhandelt wird: Die Abschaltung von EE-Anlagen, weil es in bestimmten Stunden keinen Abnehmer für deren Strom gibt. Mit weiterem Aufwuchs von Wind- und Solarkraftwerken in immer gleichen meteorologischen Bedingungen wird diese Herausforderung weiter zunehmen.

Netzausbau kann diese Problematik verringern, geht aber nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit vonstatten. Man kann also entweder den EE-Ausbau bremsen, oder versuchen, den temporär anfallenden Überschussstrom lokal in zusätzlichen Anwendungen zu nutzen. Hierfür bietet sich insbesondere der Wärmesektor an. Bestehende Wärmesysteme können, beispielsweise durch Heizstäbe, vergleichsweise einfach teil-elektrifiziert werden. Auch thermische und elektrische Kurzfristspeicher wären nutzbar.

Für eine solche sinnvolle Verwendung ansonsten abzuschaltenden EE-Stroms fehlt allerdings das regulatorische Rahmenwerk. Vor allem die Entgeltsystematik Strom, die diesen Energieträger extrem verteuert und die Netzengpässe verschleiert, steht dem im Wege.

Wenn die etwas schiefe Debatte um „Sektorenkopplung“ etwas Gutes mit sich bringen kann, dann vielleicht dies: dazu beizutragen, dass es rasch zu einer umfassenden Reform dieser Entgeltsystematik kommt.

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