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07.05.2018 14:35 Alter: 6 yrs

Aufbruchstimmung bei Stadtwerken

Großes Interesse fand die 22. EUROFORUM Jahrestagung Stadtwerke 2018 am 10. und 11. April in Berlin. Rund 300 vorwiegend kommunale Unternehmensvertreter diskutierten darüber, wie sich ihre Unternehmen in Zeiten rasanten Wandels positionieren und aufstellen müssen. Der Tenor: Nicht nur große Stadtwerke, auch die kleineren Versorger sehen aktuelle Entwicklungen als Chance, schon jetzt den Grundstein für die Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens zu legen.


Eine Betrachtung der Jahrestagung von Ingela Marré, Conference Director, EUROFORUM Deutschland GmbH, Düsseldorf.

Foto: Dietmar Gust / EUROFORUM

Der Transformationsprozess in der Energielandschaft vollzieht sich rasant. Neue rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen, Digitalisierung und Startups als Wettbewerber zwingen Energieversorger seit einigen Jahren zum Umdenken und einer Neuaufstellung am Markt.

Nicht zuletzt die Entwicklungen rund um innogy zeigen: Kein Energieversorgungsunternehmen wird bleiben, wie es ist. Das eigene Geschäftsmodell muss auf den Prüfstand gestellt werden. Veränderung tut Not. Rückendeckung bekommen die Stadtwerke bei ihrem Transformationsprozess durch die Politik. „Wir setzen auf Sie“, sagte Carsten Müller in seiner Keynote am Eröffnungstag der Stadtwerke Tagung. Als CDU-Politiker und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie des deutschen Bundestags betonte er die Wichtigkeit der Stadtwerke als Akteure bei der Energiewende und der Digitalisierung.

Wie kann der Transformationsprozess ausgestaltet werden?

Zahlreiche Veränderungsprozesse wurden bereits in Gang gesetzt, verdeutlicht durch die zahlreichen Bewerbungen zum EUROFORUM Stadtwerke-Award 2018 zum Thema „Transformation im Unternehmen“. Besonders beeindruckend ist hier der Weg der Technischen Werke Ludwigshafen AG, die mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurden. Die Jury überzeugten vor allem ganzheitliche Ansätze für eine Innovationskultur wie der „Freischwimmer“, die konsequente Strategiearbeit, die Innovationskraft aus dem eigenen Unternehmen heraus als auch durch die Aufnahme von äußeren Impulsen.

Dass Transformation auch mit einem internen Kulturwandel einhergehen muss, haben die Leipziger Stadtwerke als Zweitplatzierte eindrucksvoll aufgezeigt. Bei ihrem systembezogenen Modell „Strategie, Organisation und Kultur“ steht die Einbeziehung der Mitarbeiter an erster Stelle.

Wer Innovationen erreichen will, darf sich keine Denkverbote geben. Mit dieser Ausrichtung gelang es der drittplatzierten Würzburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft, Produkte zu entwickeln, die den künftigen digitalen Anforderungen der Kunden entsprechen.

Kooperationen als Weg zu künftigem Wachstum

Neben internen Transformationsprozessen lässt sich ein Trend hin zu einem veränderten Marktauftritt beobachten. Vorteile, die kommunale Unternehmen bieten, wie zum Beispiel Regionalität und Kundennähe, können künftig gemeinsam besser ausgespielt werden.

Auch strukturelle Veränderungen werden die Unternehmenslandschaft in Zukunft prägen. Über Kooperationen können Transformationsprozesse gemeinsam bewältigt, Synergien geschaffen und neue Geschäftsfelder erschlossen werden. Auf die Größe des Unternehmens allein kommt es nicht an – wichtig sind die richtige Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen sowie die frühzeitige Entwicklung eines Kooperationskonzeptes.

Dass dieser Weg äußerst komplex ist, wurde während der Konferenz am Beispiel Regionetz deutlich. Gerade beim Thema Personal, Stellenbesetzung und -abbau sei äußerste Sensibilität gefragt, schilderte der Geschäftsführer Stefan Ohmen.

Die besondere Bedeutung engerer Zusammenarbeit betonte auch Johannes Kempmann, Geschäftsführer der Städtische Werke Magdeburg GmbH & Co. KG und Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.: „Wir müssen für Kooperationen offen sein.“ Fusionen am Markt schloss er nicht aus.

Digitalisierung als Daueraufgabe auf dem Weg zur Transformation

Bei der Digitalisierung geht es zum einen um Prozesse, die optimiert und automatisiert werden müssen, um insbesondere Kosten zu reduzieren. Zum anderen geht es aber auch um die Implementierung einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrategie – singuläre Digitalisierungsprozesse greifen hier zu kurz. Nach Ansicht von Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender der Wuppertaler Stadtwerke und Vize-Präsident des VKU, erweitern Stadtwerke im digitalen Zeitalter ihre Marktrolle. Dies kann nur gelingen, wenn eine technologiegestützte Haltung vorgelebt, agile Strukturen implementiert und Digitalisierung als Daueraufgabe verstanden wird.

Neue Kundenlösungen sind offenbar nur ein Teilaspekt. Ist Disruption das eigentliche Ziel? Dass ein radikales Umdenken nötig ist, um bei den aktuellen Entwicklungen mitzuhalten, zeigt ein Blick in andere Branchen wie die Printmedien. „Man muss sich vom Silodenken der Branche befreien“, sagt Geschäftsführer Christoph Keese, Beratungsunternehmen „hy“.

Ganz praktisch – wie Digitalisierung bei Stadtwerken heute schon funktioniert

Wird heute zum Thema Digitalisierung diskutiert, stellt sich häufig die Frage nach der Praktikabilität und dem tatsächlichen Nutzen. Hier beeindrucken verschiedenste Projekte von und für Stadtwerke, in denen sich bereits heute Digitalisierung widerspiegelt: sei es beim Ausbau eines Glasfasernetzes als Basis für flächendeckende Internetversorgung, der Nutzung von Sensorik bei der intelligenten Straßenbeleuchtung, dem Einsatz von Algo-Tradern, der Entwicklung smarter Produkte auf Basis von Smart Metern oder dem Einsatz von Blockchain. Solche Projekte zeigen, es gibt schon heute wirtschaftliche Business Cases, die als Blaupause für weitere digitale Ansätze dienen können und so die Innovationskraft der kommunalen Unternehmen unter Beweis stellen.

Die Kundenschnittstelle digital besetzen

Bei allem Veränderungswillen darf aber der Kunde nicht auf der Strecke bleiben. Alle Akteure sind sich einig, die Schnittstelle zu ihm muss digital besetzt werden. Dabei verfügen Stadtwerke durch ihre Regionalität über einen ausgezeichneten Zugang zum Kunden. Beispiele aus Kassel und Trier zeigen wie dieser Vorteil genutzt werden kann: Die Schärfung des eigenen Markenauftritts trägt dazu bei, das eigene Selbstverständnis zu konkretisieren. Wofür steht das Stadtwerk? Die Kasseler Verkehrs- und Versorgungs- GmbH setzten sich kritisch mit dieser Frage auseinander und haben sich im Ergebnis den Faktor Emotionalität auf die Fahne geschrieben. „Herzen kaufen – und nicht (nur) Köpfe“, beschrieb Dr. Michael Maxelon den eingeschlagenen Weg.

„Regional und digital“ lautet der Ansatz in Trier, wo Strom und Gas zu regional und regenerativ erzeugten Commodities werden. Der Zugang zum Kunden gelingt vor allem über die eigene Stadtwerke-App „äppes“, die regionale Informationen liefert und auch die Region zusammenhält. Verschiedene Infrastrukturen sollen miteinander so vernetzt werden, dass sie dem Kunden einen echten Mehrwert bieten.

Welche Rolle Kundendaten spielen, brachte Andrea Arnold, Geschäftsführerin der A/V/E GmbH auf den Punkt: Guter Kundenservice ist der Schlüssel zum Erfolg, und die vorliegenden Daten tragen entscheidend dazu bei, dem Kunden das richtige Einkaufserlebnis zu verschaffen. Es gilt also, die verfügbaren Kundendaten auch tatsächlich zu nutzen.

Die Rolle der Stadtwerke bei der Sektorenkopplung

Ein weitreichender Aspekt der aktuellen Entwicklungen ist die Sektorenkopplung, die die Energiewirtschaft aktiv gestalten muss. Mögen die Rahmenbedingungen für die Wärmewende zwar noch nicht final ausgestaltet sein, so sind sich alle Marktakteure einig: Die Wärmewende entscheidet über das tatsächliche Gelingen der Energiewende. Stadtwerke sind jetzt gefordert, neue Wärmekonzepte zu entwickeln. Welche Rolle (Erd-)Gas hierbei einnehmen wird, bleibt abzuwarten.

Bei der Kopplung mit dem Verkehrssektor liegt die Elektromobilität hoch im Kurs. Durch moderne Fahrzeuge wird Strom plötzlich wieder „sexy“ und Geschäftsmodelle rund um das E-Auto lukrativ(er). Dass das Fahrzeug auch als Speicher dienen und zur Netzentlastung beitragen kann, mag auch von der Bereitschaft des Fahrzeugeigentümers abhängen – hier sollten Anreize geschaffen werden, die sich bislang regulatorisch nicht abbilden lassen. Der Aufbau von Ladeinfrastrukturen und die Schaffung entsprechender Plattformen sind Handlungsfelder, die Stadtwerke insbesondere zusammen mit Startups besetzen können.

Fazit:

Energieversorgungsunternehmen durchleben im Zuge der Digitalisierung eine Phase großer Veränderungen, bahnbrechender Innovationen und neuer Chancen, die es ermöglichen, den Kunden auf einer neuen Ebene zu erreichen und dabei wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Die Bereitschaft den Transformationsprozess im Unternehmen anzustoßen und so den externen Veränderungen Rechnung zu tragen, gehört zu den Hausaufgaben aller Stadtwerke. Klar ist aber auch, dass viele EVU noch ganz am Anfang der Reise stehen. Hier sehen alle Branchenvertreter ganz klar die Politik in der Pflicht, einen rechtlichen Rahmen für die notwendigen Veränderungen zu schaffen.

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