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< Ein Marktdesign zur Optimierung des gesamten Stromsystems
10.03.2017 09:00 Alter: 7 yrs

Energie in Europa

Wir stehen inmitten einer radikalen Umwälzung der energetischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Die Zeit einer paternalistischen Energie- und Klimapolitik ist vorbei. Diese Botschaft vermittelte Dr. Johannes Teyssen, CEO E.ON SE in seiner Keynote-Rede auf der Handelsblatt Jahrestagung Energie am 25. Januar 2017 in Berlin. Wir freuen uns, in einem Gastbeitrag von Dr. Teyssen Kernaussagen dieser Wortmeldung für die Leser unserer Business-Publikation aufzunehmen.


Foto: Dietmar Gust, Euroforum

Über Europa sprechen – das muss heute bedeuten: Über attraktive Perspektiven für die Menschen sprechen. Über den Fortschritt der Gesellschaft. Neue Energie ist ein grundlegendes und höchst spannendes Kapitel dieser Erzählung – oder kann es werden. Wir stehen inmitten einer radikalen Umwälzung der energetischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Fortschritte der Energienutzung waren meistens Auslöser oder Katalysator der epochalen Umbrüche im Fortschritt der menschlichen Gesellschaft. Das gilt auch und besonders für eine Form der Energie: die Elektrizität.

Kunden werden Teilnehmer des Energiesystems

Elektrifizierung war seit den Anfängen der Industrialisierung ein mächtiger Treiber des gesellschaftlichen Fortschritts. Mit ihr begann die Emanzipation der Energienutzung vom Feuer. Der enorme wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufschwung der westlichen Welt nach dem Zweiten Weltkrieg ging mit einer zweiten Welle der Elektrifizierung in den Unternehmen und Haushalten einher. Heute stehen wir vor einer neuen Elektrifizierungswelle, die Wärme und Mobilität erfasst. Es ist überdeutlich geworden, dass ein erneuerbares Energiesystem immer zugleich weit überwiegend strombasiert ist. Denn Strom ist oft die effizienteste Möglichkeit, erneuerbare Energie zu nutzen.

Strom ermöglicht mehr als andere Energieträger eine deutlich stärkere Rolle der Kunden. Sie können Strom im Unterschied zu Benzin oder Heizöl und Erdgas selbst herstellen. Sie können auch in Verbindung mit einem intelligenten Netz und digitalen Dienstleistungen ihre Energienutzung selbst managen oder managen lassen. Strom ermöglicht die Emanzipation des Kunden vom bloßen Energieverbraucher zum gleichberechtigten Teilnehmer des Energiesystems.

Nachhaltige Elektrifizierung verlangt Effizienz

Eine nachhaltige Elektrifizierung der großen Märkte für Wärme und Mobilität wird schnell die Möglichkeiten einer „Überschussverwertung“ übersteigen. Wir können aber auch nicht eigens dafür eine mindestens 5 bis 10fache Überdimensionierung der Erzeugungskapazitäten mit entsprechenden Kosten der Speicherung oder mehrmaliger Energieumwandlung aufbauen. Elektrifizierung von Wärme und auch Mobilität geht deshalb nur, wenn in gleichem Maße die Effizienz massiv gesteigert wird.

Gleichzeitig müssen sich die Erneuerbaren mittelfristig aus der Subventionsabhängigkeit befreien, um die Kosten des Energiewandels im Griff zu behalten. Wind- und Solarenergie sind längst der einstigen Graswurzelbewegung, angetreten zum Kampf David gegen Goliath, entwachsen. Sie sind Big Business, weil sie mittelfristig wirtschaftlich überlegen sind, wenn sie intelligent gefördert, gebaut, betrieben und integriert werden. Und nur so werden sie auch wettbewerbsfähig.

Auktionen sind offenkundig intelligent und verhindern Wachstum nicht, wie es in der Vergangenheit von Subventionsfreunden behauptet wurde. Aber es kann natürlich – wie auch sonst im Niedrigzinsumfeld? – zu Überzeichnungen durch den Verzicht auf eine angemessene Risikobepreisung kommen. Das ist die Entscheidung der Bieter und die möglichen Schäden sind von ihnen zu tragen. Wie bei den Telekomlizenzen steuert der Markt üblicherweise über die Zeit nach.

Verteilnetze sind die zentrale Plattform im System

In einem strombasierten Energiesystem, das Grundlast immer mehr durch Flexibilität aller Art ersetzt, werden die Verteilnetze zur zentralen Plattform für eine stabile Funktion des gesamten Systems. Damit wird aber auch die Regulierung immer dezentraler werden müssen. Auch das Unbundling sollte flexibel weiterentwickelt werden. Es muss mehr als bisher Raum geben für Wettbewerb um die besten Kundenlösungen, die oft aus der Verbindung von innovativen Produkten und Netzintelligenz entstehen.

Bereits im Jahr 2010 hat E.ON den Offshore- Windpark Rödsand II in dänischen Gewässern in Betrieb genommen. Mit einer installierten Leistung in Höhe von 207 Megawatt produziert der Windpark seitdem zuverlässig saubere Energie. Foto: E.ON

Energiezukunft wird vom Kunden gemacht

Die Kinder der Energierevolution sind erwachsen geworden. Wir sind an einem Punkt, wo wir akzeptieren müssen, dass die Energiezukunft nicht mehr in Parteizentralen, Ministerien oder Behörden gemacht wird. Auch in Unternehmenszentralen nicht. Sondern vom Kunden. Er entscheidet, wie er seine Energieversorgung organisieren will. Denn eigenes Denken und Entscheiden lässt sich der aufgeklärte Energiekunde nicht mehr aus der Hand nehmen. Heute hat er immer mehr technische Mittel, um seine Wünsche zu erfüllen.

Kostengünstige, dezentrale Speicher, wie unsere Photovoltaik-plus-Batterie-Lösung „E.ON Aura“, können die Energiestrukturen in Zukunft stärker verändern, als noch so ambitionierte Beschlüsse von Klimakonferenzen. Wir bei E.ON sind davon überzeugt, dass wir nur eng beim Kunden erfolgreich sein werden. Darauf richten wir die Strategie und Struktur von E.ON, das Denken und Handeln aller Mitarbeiter mit aller Konsequenz aus.

Digitalisierung befördert den Wettbewerb

Immer mehr ist es die Digitalisierung, die dem „König Kunde“ das Zepter in die Hand gibt. Er gewinnt volle Markttransparenz. Jeder Kunde hat Zugriff auf Produkte und Preise, Kundenreviews und Produktbewertungen. Und er vergleicht gnadenlos. Entscheidend ist, sich mit Innovationen und Servicequalität vom Wettbewerb abzuheben. Aus der Vielzahl von Interaktionen mit den Kunden entstehen Berge an Daten, aus denen – wenn Gesetzgeber und Kunde einverstanden sind – individuelle Angebote entwickelt werden können. 

Die Digitalisierung verschärft den Qualitätsund Effizienzwettbewerb auch im Unternehmen. Bürokratie kann sich nicht mehr verstecken. Jeder Prozess muss sich der Frage stellen: Kann er digital schneller und effizienter erledigt werden? Denn die Digitalisierung bietet Chancen, deren Sprengkraft für die Energiemärkte und Geschäftsmodelle erst in Konturen sichtbar wird.

Klimaschutz verlangt Vernunft

Während der Energiewandel vom technischen Fortschritt und den Kundenwünschen vorangetrieben wird, sind im Klimaschutz die großen Erwartungen von Paris Ernüchterung gewichen. Die USA wenden sich ab, Europa agiert halbherzig und Deutschland diskutiert die ansteigenden Kosten. So werden wir das 1,5-Grad-Ziel sicher nicht erreichen.

Was können wir in Europa und Deutschland tun?

Erstens:


Damit aufhören, den Menschen Angst zu machen! Untergangsszenarien nutzen sich schnell ab. Wenn jeder Sturm und jede Hitzewelle gleich als Vorbote künftiger Katastrophen gilt, entsteht ein Überdruck an moralischen Appellen, der die Bürger nicht überzeugt, sondern abschreckt. Was der kritische Bürger zu Recht verlangen kann, ist eine Strategie, die wirksamen Klimaschutz mit Wachstum und Beschäftigung verbindet.

Zweitens:

Die Energiewende als das begreifen, was sie inzwischen ist – ein bürgerschaftliches Projekt kompetenter und ermächtigter Kunden. Die Kunden können und wollen endlich entlassen werden aus ökopädagogischer Verhaltenslenkung. Denn längst sind sie es, die den Energiewandel vorantreiben. Die Politik kann sich jetzt darauf konzentrieren, die weitere Entwicklung mit intelligenten Leitplanken zu lenken.

Drittens:

Nichts anderes kann die Aufgabe einer intelligenten Leitplanke so effizient erfüllen, wie ein einheitlicher CO2-Preis. Denn er gibt allen Akteuren die transparente und unbestechliche Botschaft, wie lohnend Klimaschutz gerade ist. Derzeit sendet er die Botschaft: Klimaschutz lohnt sich nicht. Denn der ETS liegt nach wie vor im Koma, seine Reform kommt nicht voran. Deshalb wurde von Frankreich und anderen europäischen Ländern die Einführung eines CO2-Mindestpreises im ETS vorgeschlagen. So denkt Frankreich an 30 Euro ab 2020, ansteigend auf 50 Euro 2030. Das Kölner EWI-Institut sieht darin ein kosteneffizientes Instrument: Keine andere Maßnahme würde eine zusätzliche CO2-Reduzierung im Stromsektor zu geringeren Kosten erreichen.

Viertens:

Wir brauchen eine grundlegende Reform der Energiesteuern, -abgaben und –umlagen. Über die Jahre sind neu aufgetretene Probleme gerne beim Energiekunden abgeladen worden: Von der Finanzierung der Renten durch die Stromsteuer über KWK bis zum Offshore-Netzanschluss. Wer versteht noch, für was er alles zahlen soll? Und warum? Den Kunden wurde eine gesellschaftliche Aufgabe nach der anderen aufgebürdet. Hier ist endlich ein klarer Schnitt nötig. Und zwar über alle Energieträger. Denn sie werden heute zu unterschiedlich belastet, um einen sektorenübergreifenden Wettbewerb auf faire Weise zu ermöglichen. Die klimapolitischen Ziele im Wärme- und Verkehrssektor können so nicht erreicht werden. Es gibt bereits eine Reihe von Reformvorschlägen, jede mit Vor- und Nachteilen. Entscheidend ist aber zunächst die Bereitschaft, ernsthaft eine Reform der staatlichen Energiebelastungen anzugehen.

Wir erleben die Geburt eines völlig neuen Energiesystems, das auf erneuerbarem Strom, intelligenten Netzen und innovativen Kundenlösungen basiert - auch wenn in einer langen Übergangszeit weiterhin fossile Energie benötigt wird, vor allem das klimaschonende Erdgas. Gravitationszentrum der neuen Energiewelt ist nicht mehr das Kraftwerk, sondern der Kunde. Die Zeit einer paternalistischen Energie- und Klimapolitik ist damit vorbei. Der aufgeklärte Kunde braucht klare und intelligente Leitplanken, nicht immer neue Vorschriften. Und es beginnt die Zeit der in jeder Faser kundenorientierten Energieunternehmen. Dieser Zeit haben wir uns bei E.ON verschrieben.

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Der Bau von Solarparks im industriellen Maßstab ist ein Geschäftsfeld, mit dem E.ON besonders in den USA sehr erfolgreich ist. Foto: E.ON