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28.04.2016 10:42 Alter: 8 yrs
Kategorie: Nachhaltigkeit

Der deutsche Retail-Energiemarkt muss wieder erwachsen werden

Im Oktober 2015 wagten die Kooperationspartner First Utility Ltd., der größte unabhängige Energieversorger in Großbritannien, mit seinem langjährigen Partner Shell Energy Europe den Einstieg in den deutschen Endkundenmarkt.


Foto. First Utility

themen:magazin Energie sprach mit Maik Neubauer, langjähriges Vorstandsmitglied der European Energy Exchange und heute als Geschäftsführer der First Utility GmbH verantwortlich für das Shell PrivatEnergie Angebot in Deutschland.

Herr Neubauer, der deutsche Energie Retailmarkt ist stark umkämpft und relativ margenschwach. Was hat die First Utility in Partnerschaft mit Shell dazu bewogen den Markteintritt in den Retailmarkt trotzdem zu wagen?

Im Rahmen des neuen Shell PrivatEnergie Angebotes kooperieren zwei sehr erfahrene Partner. Sie kombinieren ein seriöses und transparentes Angebot für Strom- und Gasprodukte mit hochqualitativem Kundenservice für Haushaltskunden sowie kleine Geschäftskunden.

Shell ist dabei der alleinige Energielieferpartner und das deutsche Team der First Utility nutzt die Erfahrung der englischen Muttergesellschaft bei Produktpositionierung aber auch bei Digitalisierungsstrategien im Endkundenmarkt. Viele unserer englischen Managementkollegen haben überaus aktiv im Bereich der Liberalisierung der Telekommunikationsbranche und des englischen Energiemarkts mitgearbeitet.

Aber der deutsche Energiemarkt ist auf den ersten Blick wesentlich stärker umkämpft?

Ja und leider auch auf den zweiten Blick – dafür ist er einer der größten Energiemärkte in Europa und bietet meines Erachtens im Zuge der nächsten Innovationswelle, das heißt im Rahmen einer zunehmenden Digitalisierung, neue Differenzierungs- und Geschäftsmöglichkeiten für Energieversorger. Die Kehrseite des deutschen Retailmarkts ist sicherlich die hohe Wettbewerbsintensität, die Dominanz der Wechselportale und zudem die immer noch sehr komplexen Energiemarktstrukturen, welche durch eine weitverzweigte Netzlandschaft sowie viele Steuern und Umlagen geprägt sind. Alle diese Faktoren werden leider vom Endkunden mit bezahlt.

Sie haben den Begriff der ‚Dominanz der Wechselportale’ genannt. Können Sie das etwas weiter ausführen?

Viele deutsche Haushalte denken beim Wechsel Ihres Energieversorgers, initiiert durch millionenschwere Werbe- und Medienetats, zuerst an einen Anbietervergleich auf den zwei größten Wechselportalen Verivox und Check24. Beide Portale haben sicherlich ihren positiven Erziehungsanteil an einer heute jährlichen Wechselrate von zehn bis zwölf Prozent in Deutschland geleistet. Diese ‚Erziehungsarbeit’ ist aber meines Erachtens über das Ziel hinaus geschossen und generiert heute durch eine übermächtige Medienpräsenz bei vielen Kunden die Erwartungshaltung bei jedem Anbieterwechsel Bonuszahlungen von mehreren hundert Euro zu erhalten und das bei einer möglichst hohen vertraglichen Flexibilität.

Beim ‚Bonusspiel’ machen viele Anbieter, insbesondere die sogenannten Discounter mit. In vielen Fällen sind einige Anbieter durch sehr hohe Bonuszahlungen gezwungen die eigentlichen Energiepreise für den Endkunden bereits mit Vertragsbeginn höher anzusetzen oder aber spätestens im zweiten Vertragsjahr anzuheben. Das Ziel einer objektiven und transparenten Verbraucherinformation über die Wechselportale ist somit nur sehr schwer herzuleiten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich einzelne Anbieter mit verschiedenen Vertriebsmarken auf den Portalen listen lassen und so die eigentlich gewünschte Transparenz weiter ausgehöhlt wird. Aus Kundensicht sind oft die vermeintlich attraktivsten Angebote nicht die günstigsten.

Sie sind mit den Shell PrivatEnergie Tarifen nicht auf den Portalen aktiv?

Doch sind wir, damit uns interessierte Kunden auch dort finden können und um zu zeigen, dass wir dem Kunden tatsächlich wettbewerbsfähige Preise bieten, auch wenn diese wie gesagt leider erst auf den zweiten Blick für den Kunden ersichtlich sind. Aus Kundensicht sind oft die vermeintlich attraktivsten Angebote mittelfristig nicht die günstigsten. Meines Erachtens muss der deutsche Retailenergiemarkt in diesem Punkt wieder ‚erwachsener’ werden.

Dem Kunden muss vermittelt werden – insbesondere im Hinblick auf die Energiewende –, das Energieversorgung auf Basis der komplexen Strukturen Geld kostet und nicht nachhaltig auf Discountniveau realisiert werden kann. Die technische Infrastruktur um deutschlandweit Energietarife anbieten zu können ist kompliziert und teuer. Wegen vieler hundert Netzregionen und damit verbundenen stark divergierenden Kostensätze müssen Anbieter regelmäßig Millionen von Preisen berechnen. Daher ist meiner Meinung nach eine Reduzierung der Komplexität im deutschen Energiesystem dringend notwendig.

 

Wie wollen Sie Ihre Kunden erreichen, wenn der Vertriebskanal ‚Wechselportale’ nur bedingt attraktiv ist?

Für den Vertrieb unserer Produkte nutzen wir verschiedene Vertriebsstrukturen. Natürlich ist dabei eine breite Onlinepräsenz unabdingbar. Wir arbeiten jedoch auch mit ausgewählten Direktvertriebspartnern, um die Kunden zu erreichen, die normalerweise kaum im Internet oder auf den Wechselportalen aktiv sind. Der Anteil dieser typischen ‚Nichtwechsler’ beträgt in Deutschland immerhin fast 70 Prozent der Bevölkerung. Nach unseren Analysen legt ein Großteil dieser Kunden zudem Wert auf transparente Tarifstrukturen, solide Anbieter mit einer bekannten Marke sowie eine zuverlässige und kompetente Beratung. Durch unsere enge Partnerschaft mit Shell werden wir zudem Informationen zur Shell PrivatEnergie und attraktive Kooperationsangebote im deutschen Tankstellennetz positionieren.

Die Wechselquote liegt seit Jahren bei circa 11 Prozent. Wie kann ein höherer Anteil der deutschen Bevölkerung zum Wechsel des Energieanbieters motiviert werden?

Zunächst einmal durch kontinuierliche Aufklärung, dass der Versorgerwechsel wirklich einfach und sicher ist und keinen großen bürokratischen Aufwand verlangt. Viele Kunden haben im Zuge eines Wechsels immer noch Angst vor einem Ausfall der Strom- und Gasversorgung. Die Insolvenzen von Teldafax und Flexstrom haben leider nicht zu einer Stärkung des Vertrauens in den deutschen Energiemarkt bei Endkunden geführt. Die Nachwehen dieser Ausfälle sind bei vielen Verbrauchern immer noch zu spüren. Hier ist meines Erachtens auch die Politik sowie die Aufsicht gefordert, um ein glaubwürdiges und transparentes Umfeld für Energiekunden zu schaffen. 

Zum zweiten wird Strom durch die eingeleitete Digitalisierung der Energieversorgung wieder ‚erlebbarer’: Systeme, Applikationen und Anwendungsmöglichkeiten‚ `behind the smart meter’ werden bei Kunden für steigendes Interesse an Energiepreisentwicklungen aber auch an kombinierten Angeboten von Energie, Telekommunikationsdiensten sowie ‚Smart Home Lösungen’ sorgen.

 

Das Thema ‚Digitalisierung der Energiewirtschaft’ befindet sich seit längerer Zeit in der Diskussion. Können neue Gesetze für eine einheitliche Basis sorgen?

Diese Basis ist in Deutschland dringend notwendig, um verlässliche Standards für eine Modernisierung der Energieversorgung aber auch für sinnvolle und kundenorientierte Technologien und Mehrwertdienste zu sorgen. Wir sind, auch im Hinblick auf das leider nicht praxisorientierte Gesetzespaket zur Digitalisierung, noch einige Jahre von diesen Zielen entfernt. Hier muss dringend nachgearbeitet, sauber kommuniziert und dann flächendeckend implementiert werden. Ein zweites BER oder deutsches Mautsystem können wir uns in der Energiewirtschaft nicht leisten.

Die Digitalisierung der Energiewirtschaft ist ein komplexes, teures Großprojekt mit vielen Risiken und Abhängigkeiten aber auch extrem vielen Chancen und muss in den nächsten Wochen Monaten exakt auf- und umgesetzt werden.

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